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Romed-Chef Dr. Jens Deerberg-Wittram im OVB-Interview

„Das ist Irrsinn“: Wie Vielfach-Krisen auch die Romed-Kliniken krank machen

Notarzt fürs Gesundheitswesen? Dr. Jens Deerberg-Wittram kann als Chef des Romed-Verbunds abschätzen, wie die aktuellen Krisen das System erschöpfen.
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Notarzt fürs Gesundheitswesen? Dr. Jens Deerberg-Wittram kann als Chef des Romed-Verbunds abschätzen, wie die aktuellen Krisen das System erschöpfen.

Harte Zeiten, auch für Kliniken in der Region Rosenheim: Romed-Chef Dr. Jens Deerberg-Wittram spricht im OVB-Exklusiv-Interview über die Unmöglichkeit, in einer Krisenzeit zu planen, über Bürokratie und die Gefahr des System-Kollaps.

Rosenheim - Droht dem Gesundheitswesen der Ermüdungsbruch? Am Romed-Klinikum in Rosenheim und den anderen Häusern des Romed-Verbunds kann Geschäftsführer Dr. Jens Deerberg-Wittram gut sehen, wie Corona, Inflation und Energiekrise den Krankenhäusern zu schaffen machen.

Mit dem OVB sprach er über Planung in der Krisenzeit, erschöpftes Personal und die Gefahr des Systemkollaps. Und darüber, warum Personalknappheit nicht nur nur am Fachkräftemangel liegt.

Herr Dr. Deerberg-Wittram, welches Ergebnis werden Sie für 2022 verkünden können, was heißt das für 2023?

Dr. Jens Deerberg-Wittram: Wir haben für das Jahr 2023 noch keine konkrete Planung vorgelegt, im Gegensatz zu früheren Jahren. Die Prämissen, die man für eine Planung kennen muss, sind heute in wichtigen Bereichen noch nicht klar. Da warten wir noch auf entsprechende Vorgaben aus Berlin. Normalerweise muss man bei der Jahresplanung Annahmen treffen, wie viele Fälle man behandeln wird und was für Fälle das sein werden. In der jetzigen Situation ist das aber unmöglich, weil wir seit Monaten einen hohen Krankenstand haben und auch einige freie Positionen nicht besetzt sind. Wenn Sie aber nicht wissen, wie viel Personal im nächsten Jahr zur Verfügung stehen wird, dann können Sie unmöglich Umsatz und Kosten planen.

Hört sich an, als ob Sie einen Kaffeesatzleser bräuchten.

Deerberg-Wittram: Die Planung ist normalerweise nicht besonders kompliziert, weil man sich recht zuversichtlich an den Vorjahren orientieren kann. In diesem Jahr gibt es aber so viele Fragezeichen, sowohl bei Umsätzen als auch bei Kosten, dass eine verlässliche Planung schwierig ist. Ich kann derzeit nicht vorhersagen, wie viele Fälle wir behandeln können. Haben wir genug Mitarbeiter in unseren Kliniken? Und wenn ja, sind sie gesund und stehen sie uns im ganzen Jahr zur Verfügung? In den vergangenen drei Jahren hat die Covid-Pandemie immer wieder zu Personalausfällen und Bettensperrungen geführt. Keiner weiß, ob das im folgenden Jahr wieder so sein wird.

„Alle kommunalen Versorgerkliniken werden Verluste machen“

Welche Rolle spielt die Inflation bei der Unsicherheit?

Deerberg-Wittram: Die Bedeutung der Inflation ist natürlich gewaltig. Wir haben in einigen Bereichen derzeit Kostensteigerungen von 30 Prozent und mehr. In normalen Jahren werden die steigenden Kosten für alle Krankenhäuser durch die Anhebung des sogenannten Landesbasisfallwertes aufgefangen. Das waren in der Vergangenheit meist Steigerungen zwischen 2 und 3 Prozent pro Jahr. So eine Steigerung wird für das nächste Jahr bei Weitem nicht reichen, weil die Inflation natürlich auch zu höheren Tarifabschlüssen führen wird. Die Gewerkschaften fordern Lohnsteigerungen von 10,5 Prozent. Diesen verständlichen Forderungen steht derzeit keine Finanzierung gegenüber. Aber wenn die von uns unverschuldeten Kostensteigerungen nicht von den Krankenkassen beziehungsweise vom Bund aufgefangen werden, werden diese unser Jahresergebnis erheblich beeinträchtigen.

Und die Energie?

Deerberg-Wittram: Für steigende Gas- und Strompreise wird es einen Ausgleich geben. Es sieht derzeit so aus, dass wir in diesem Bereich zumindest einen wesentlichen Teil der Kostensteigerungen vom Bund erstattet bekommen werden.

War‘s das mit Unwägbarkeiten?

Deerberg-Wittram: Der medizinische Sachbedarf ist teurer geworden, weil zum Beispiel globale Lieferketten nicht mehr funktionieren. Die Kosten für Baumaßnahmen und Instandhaltung gehen durch die Decke. Unter den genannten Umständen ist völlig unmöglich, eine seriöse Planung aufzustellen. Heute gehe ich davon aus, dass im nächsten Jahr alle kommunalen Versorgerkliniken ein deutliches Defizit machen werden. Das wird auch für die Romed-Kliniken so sein, wenn nicht erheblich gegengesteuert wird. Wir hoffen inständig, dass die Politik versteht, dass man uns in dieser Situation helfen muss.

Bereitet Ihnen das schlaflose Nächte?

Deerberg-Wittram: Nein. Weil ich hundertprozentig davon ausgehe, dass uns die Politik am Ende helfen wird. Die Bevölkerung und auch die Politiker haben verstanden, dass die vier Romed-Kliniken mit ihren Notaufnahmen und ihrem breiten Angebot für die Versorgung der Menschen unserer Region einfach gebraucht werden. Spätestens seit Beginn der Pandemie ist jedem klar, was meine Kolleginnen und Kollegen jeden Tag leisten. Ich würde mir aber wünschen, dass man mit diesen Problemen nicht die kommunale Ebene hängen lässt. Die aktuellen Herausforderungen sind zu groß, als dass sie allein von Stadt und Landkreis gelöst werden können.

Was sagen denn Rosenheims Oberbürgermeister Andreas März und Landrat Otto Lederer?

Deerberg-Wittram: Ich muss klar sagen: Unsere Aufsichtsräte sind wirklich an unserer Situation interessiert und hören sich unsere Punkte genau an. Wir diskutieren die genannten Themen und mögliche Lösungen in aller Offenheit und Schonungslosigkeit. Das ist konstruktiv. Und unser Aufsichtsrat sagt auch sehr klar, dass die Kliniken natürlich bleiben werden. Abbau von Versorgungsangeboten ist keine Option. Stadt und Landkreis werden uns auch in schlechten Zeiten stützen. Aber: Es ist auch ganz klar, dass sie nicht über Jahre hinweg zweistellige Millionensummen zur Rettung der Kliniken ausgeben können. Da gibt es natürlich auch eine Erwartung, vernünftige und wirtschaftlich tragfähige Lösungen für die Zukunft zu entwickeln.

Wie sehen die Szenarien für die Bilanz denn aus?

Deerberg-Wittram: Die Bandbreite ist bei den genannten Unwägbarkeiten sehr groß. Und wenn die Szenarien noch sehr weit auseinanderliegen, können Sie damit nichts anfangen.

Sie würden keine ungefähre Hausnummer wagen?

Deerberg-Wittram: Nein, das wäre wirklich reine Spekulation. Im Moment muss man sagen, dass fast alle Krankenhäuser noch so weit von ihren Umsätzen im Jahr 2019 entfernt sind. Es müsste also fast ein Wunder geschehen, wenn wir im nächsten Jahr auf einmal wieder zurück auf Normalkurs wären. Wegen Covid, wegen des Krieges, wegen der Kostensteigerung. Und zusätzlich kamen in den letzten drei Jahren noch gesetzliche Regelungen hinzu, die sich für uns als zweischneidig erwiesen haben. Etwa die Pflegepersonal-Untergrenze.

War die nicht nötig?

Deerberg-Wittram: In den letzten zehn Jahren hat das Fallpauschalensystem den wirtschaftlichen Druck in den Krankenhäusern enorm erhöht. Unter diesem System hat die Pflege besonders gelitten, weil in vielen Kliniken an der Pflege gespart wurde. Deshalb war es durchaus sinnvoll, die Belastung der Pflege durch Personalvorgaben kontrollieren zu wollen. Wenn man aber festlegt, dass Pflegekräfte weniger Patienten versorgen sollen als bisher, dann braucht man halt mehr Pflegekräfte. Und wenn es die nun nicht mehr gibt, oder wenn die Löhne nicht attraktiv sind, dann führt so eine Regelung zu Problemen. Der Fachkräftemangel wird dann durch solche Regelungen noch verschärft, weil die Anzahl der Patienten ja eher steigt als runtergeht.

Welche Erfahrungen hat Romed damit gesammelt?

Deerberg-Wittram: Wir haben bei Romed in den vergangenen Jahren auch deshalb positive Ergebnisse erzielt, weil wir eine im Vergleich sehr hohe Anzahl von Pflegekräften hatten. Für diese engagierten Kolleginnen und Kollegen haben wir in den letzten Jahren viel Geld aus dem Pflegebudget bekommen und konnten gleichzeitig unsere Kliniken immer voll betreiben. Jetzt ist es anders. Wir haben hohe Krankenstände und viele Kolleginnen und Kollegen – übrigens auch im ärztlichen Dienst und in anderen Bereichen wie dem Funktionsdienst oder der Verwaltung – sind wegen Erkältungskrankheiten, Grippe oder Covid zu Hause. Und einige Stellen zum Beispiel auf Intensivstationen sind nicht besetzt. In einer Situation der Personalknappheit führen die Pflegepersonaluntergrenzen unweigerlich dazu, dass wir Bereiche und Betten sperren müssen, die wir vor einigen Jahre noch hätten betreiben können. Und das führt dann wiederum dazu, dass die verbleibenden Bereiche alles auffangen müssen, was in die Kliniken strömt. Das merken wir besonders in unseren Notaufnahmen, die ja bekanntlich seit Monaten erheblich überlastet sind.

Sie können dann auch nicht so viele Patienten annehmen, wie möglich wäre?

Deerberg-Wittram: Früher konnten wir auf Belastungssituationen beim Personal aber auch auf erhöhte Nachfrage von Patienten flexibler reagieren. Das dürfen wir heute nicht mehr. Das System hat keine Atmungsfähigkeit mehr. Wir können die Zahl der Patienten nur noch runterfahren. Gerade in Corona-Zeiten bereitet uns das große Probleme.

Ihnen fehlt der Spielraum?

Deerberg-Wittram: Genau. Unsere Spielräume wurden durch einige staatliche Regelungen eingeengt, die sicherlich gut gemeint waren. Aber man hat total unterschätzt, wie sehr Krankenhausversorgung von Flexibilität und Kreativität abhängt. Im Ergebnis brauchen wir alle mehr Personal.

Das Sie nicht bekommen werden.

Deerberg-Wittram: Das ist das eigentlich verrückte: Doch, wir bekommen ja Personal!

Überrascht mich schon, in Zeiten des Fachkräftemangels.

Deerberg-Wittram: Seit 2019 haben wir 13 Prozent Personal aufgebaut, vor allem in der Pflege und bei den Ärzten. Wir haben das geschafft, weil wir uns wirklich alle bei Romed anstrengen, Menschen für uns zu gewinnen. Das Problem sind seit Monaten die Krankenstände, zunächst durch Covid und jetzt durch die Grippe. Ein Beispiel: Im Moment ist bei uns eine Pflegekraft im Jahr im Durchschnitt sechs Wochen krank. Der Krankenstand ist in der Pflege um 42 Prozent und bei Ärzten um 66 Prozent gestiegen. Das ist unser Hauptproblem. Es gibt genug Patienten. Es gibt genügend Personal in unserer tollen Region. Aber unter den neuen Spielregeln beziehungsweise bei den hohen Krankenständen funktioniert es oft einfach nicht mehr. Das ist völliger Irrsinn. 

Long Covid bei den Krankenhäusern?

Deerberg-Wittram (lacht): Ja, das kann man so sagen. Das ist wie bei den Menschen: Die Spezialisten diskutieren noch, welche Symptome dazugehören.

Kollabiert unser Gesundheitssystem?

Deerberg-Wittram: 2020 waren laut Krankenhaus-Rating-Report sieben Prozent der Krankenhäuser insolvenzgefährdet. 68 Prozent waren im grünen Bereich. Derselbe Report geht davon aus, dass im günstigsten Fall, also Rückkehr auf das Niveau von 2019, der Anteil der insolvenzgefährdeten Krankenhäuser bis 2030 auf 25 Prozent steigt. Und falls wir dieses Niveau nicht mehr erreichen, könnten bereits kommendes Jahr drei Viertel aller Krankenhäuser Verluste machen. Das werden vor allem die Häuser sein, die sich um die Notfallversorgung kümmern. Wir werden nächstes Jahr wohl noch zu denen gehören, die mit am besten abschneiden. Aber wenn es so weitergeht, werden wir auch in schwere See kommen.

Nach Sanierungsbedarf traue ich mich schon gar nicht mehr zu fragen.

Deerberg-Wittram: Sanierung ist derzeit nicht unser großes Thema. Wir müssen die Menschen unserer Region optimal versorgen, und wir müssen ein guter und verlässlicher Arbeitgeber sein. Das sind unsere Ziele für das neue Jahr!

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