Blaue Kraken auf der Wand
Sprühdose statt Füller: Warum Rosenheimer Jugendliche ihre eigene Schule mit Graffiti besprühen
Die eigene Schule mit Graffiti zu besprühen, scheint für die meisten Schüler sehr riskant. Doch an der Johann-Rieder-Realschule ist jetzt eine ganze Wand voller Malereien aus der Sprühdose. Warum die Schüler dennoch keinen Ärger kriegen.
Rosenheim – Isabella Wall (14) sprüht zum ersten Mal in ihrem Leben ein Kunstwerk – und das ausgerechnet an der Hauswand ihrer Schule. Vorsichtig zieht sie die schwarzen Linien ihres Motivs – ein blauer Krake. Die Inspiration dafür fand sie in einem Buch über Streetart, mit dem sie und ihre Klassenkameraden der Johann-Rieder Realschule sich im Unterricht beschäftigten. „Ich zeichne sehr gerne Tiere, da war für mich klar, dass wir einen Kraken malen“, sagt Wall. Die Achtklässlerin und ihre Mitschüler werden dabei als Teil des „Transit Art“-Projekts von dem Künstlerduo „ATE“ aus Würzburg unterstützt.
„Wir haben den Jugendlichen im Theorieunterricht von Streetart erzählt und ihnen die Bilder der anderen Künstler von ‚Transit Art‘ gezeigt“, sagt Simon Schacht, der zusammen mit Christian Schlosser das Künstlerduo „ATE“ bildet. Sie selbst hatten in den vergangenen Jahren mit eigenen Projekten am Festival teilgenommen. „Uns war es wichtig, dass die Jugendlichen lernen, sich etwas zuzutrauen“, sagt Schacht. Für viele Schüler sei es zunächst einschüchternd gewesen, sich auf der Schulwand zu verewigen. „Die Wand ist groß und jeder kann sehen, was gesprüht wurde“, sagt Schacht. Wegradieren gibt es nicht, jeder Strich muss sitzen.
Die Jugendlichen meistern die Herausforderung
„Das Schwierigste war, die ganze Fläche voll zubekommen“, sagt Isabella Wall. Leon Huber (13), der Wall beim blauen Kraken hilft, findet das Arbeiten mit der Sprühdose herausfordernd. „Manchmal verwechsele ich ähnlich aussehende Farben miteinander“, sagt er. Von den Profi-Künstlern habe er daher den Tipp bekommen, die Farbe auf seinem Hemd zu testen, bevor er mit der Sprühdose an die Wand geht. Huber hat bereits Erfahrung mit Wandmalereien. „Ich habe zu Hause und im Rahmen eines Kirchenprojekts auf einer Wand gemalt“, sagt er. Doch damals habe er mit Acrylfarben gearbeitet – der Umgang mit der Sprühdose sei neu für ihn.
Neue Erfahrungen macht auch Elias Kopala (15). „Das ist das erste Mal, dass ich auf einer Wand sprühe“, sagt er. Als Motiv haben er und sein Bruder Jonas ebenfalls einen Kraken ausgesucht, allerdings ist dieser Krake violett. „Isabellas Gruppe und unsere hatten zufällig eine ähnliche Idee, deshalb haben wir unsere Kraken miteinander verbunden“, sagt er. So geht nun ein Tentakel der beiden Kraken ineinander über.
Eigene künstlerische Stimme
„Wir lassen den Schülern freien Lauf bei ihren Ideen“, sagt Simon Schacht. Ihm und seinem Kunstpartner Schlosser sei es wichtig, die Schüler nicht zu korrigieren oder ungefragt einzugreifen. Er möchte den Jugendlichen ermöglichen, ihre eigene künstlerische Stimme zu entfalten. „Es geht bei dem Projekt nicht nur um Mut zur großen Leinwand, sondern auch um Mut zur eigenen Stimme“, sagt er. Schacht und Schlosser setzen auch eigene Projekte um, aber die Arbeit mit Schulklassen finden die Künstler besonders spannend. „Wir können den Schülern etwas beibringen“, sagt er. Genauso spannend sei, dass sie dabei überhaupt nicht absehen könnten, wie das Resultat der Schüler am Ende aussieht. Wie beim Kunstwerk, das ab sofort an einer Wand der Johann-Rieder-Realschule zu sehen ist.
