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Exklusiv-Interview mit Romed-Chefarzt

Nachdem Polio-Erreger im Abwasser gefunden wurden: Rosenheimer Arzt rät dringend zur Impfung

Dr. Torsten Uhlig, Chefarzt am Romed-Klinikum, rät zu einer Polio-Impfung. Die Schluckimpfung, wie sie im Bild zu sehen ist, wird in Deutschland nicht mehr verabreicht.
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Dr. Torsten Uhlig, Chefarzt am Romed-Klinikum, rät zu einer Polio-Impfung. Die Schluckimpfung, wie sie im Bild zu sehen ist, wird in Deutschland nicht mehr verabreicht.

Niedrige Impfquote in der Region: In München, Köln, Bonn und Hamburg wurden bei Untersuchungen von Abwasserproben Polio-Erreger nachgewiesen. Das gab das Robert-Koch-Institut im Dezember bekannt. Romed-Chefarzt Dr. Torsten Uhlig erklärt, warum sich jeder gegen das Polio-Virus impfen lassen sollte.

Rosenheim – Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer: In gleich mehreren deutschen Städten wurde der Polio-Erreger im Abwasser nachgewiesen. Zwar wurde schnell Entwarnung gegeben, trotzdem sollte man auf der Hut sein. Vor allem, mit Blick auf die Impfquote – die gerade in Bayern niedriger ausfällt als in anderen Ländern. Warum das zum Problem werden könnte, erklärt der Rosenheimer Arzt Dr. Torsten Uhlig im Exklusiv-Interview.

Hatten Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn schon einmal mit dem Polio-Virus zu tun?

Dr. Torsten Uhlig: Nein, nur im Rahmen meiner Tätigkeit in der Entwicklungshilfe. In Mittelamerika wurde ich mit den Folgeerscheinungen der Krankheit konfrontiert. Noch gut erinnere ich mich an einen jungen Mann, der sich nur auf einer Art Skateboard mit den Armen fortbewegen konnte, weil seine Beine nicht mehr funktionsfähig waren. Am Romed-Klinikum hat es in den vergangenen 24 Jahren – also seit ich dort tätig bin – keinen Polio-Fall gegeben.

Wie verläuft eine Polio-Erkrankung?

Uhlig: Bei den meisten unbemerkt. Bei unter zehn Prozent der Fälle äußert es sich in Halsschmerzen, Fieber, Durchfall oder Erbrechen. Das Polio-Virus hält sich im Magen-Darm-Trakt auf.

Wie kann man sich infizieren?

Uhlig: Durch Schmierinfektionen, also Hautkontakt. Der Erreger hält sich beispielsweise im Stuhl auf. Bei fehlender oder schlecht ausgeprägter Hygiene kann der Erreger von Mensch zu Mensch übertragen werden. Die gute Nachricht: Es gibt keine Erreger im Tierreich. Das bietet die einzigartige Möglichkeit, dass wir die Erkrankung vollständig eliminieren können – aber eben nur dann, wenn es eine Herdenimmunität gibt.

Heißt?

Uhlig: 95 Prozent der Bevölkerung müssen geschützt oder immunisiert sein. Ähnlich wie beispielsweise bei den Masern. Überall dort, wo die Impfquote unter 95 Prozent liegt, kann es lokale Ausbrüche geben. Die sind zwar begrenzt, aber diejenigen, die erkranken, leiden natürlich darunter.

Ab wann raten Sie Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen?

Uhlig: Zwei Impfungen sind im ersten Lebenshalbjahr regulär vorgesehen. Damit hat man schon einen wesentlichen Schutz erreicht. Und die Auffrischimpfung im zweiten Lebensjahr bedeutet dann, dass die Grundimmunisierung abgeschlossen und ein vollständiger Schutz erreicht ist. Aber um ganz sicher zu sein, bedarf es eben noch mal einer Auffrischimpfung im jugendlichen Alter. Fest steht: Wer vier Impfungen in seinem Leben erhalten hat, bei dem ist davon auszugehen, dass er eine vollständige Immunisierung hat, die dann auch lebenslang anhält und nicht mehr aufgefrischt werden muss.

Die Corona-Pandemie hat gezeigt: In Bayern gibt es viele Impfverweigerer. Wie sind Ihre Erfahrungen bei den Polio-Impfungen?

Uhlig: In der Klinik sehen wir natürlich Kinder dann gehäuft, wenn sie nicht geimpft sind und es zu Komplikationen gekommen ist. Ich arbeite jetzt seit fast 35 Jahren als Kinderarzt und bin ein Impfbefürworter. Ich war lange Zeit in der Entwicklungshilfe tätig, war unter anderem viermal in Kambodscha. Vor Ort habe ich gesehen, was passieren kann, wenn die Hygieneverhältnisse nicht so gut sind und die Impfprogramme nicht funktionieren.

Und trotzdem bleiben viele der Polio-Impfung gegenüber skeptisch.

Uhlig: Heutzutage gibt es in Deutschland kaum noch Polio-Fälle. Die Krankheit ist eine Rarität geworden. Dinge, die uns nicht alltäglich begegnen, geraten oft in Vergessenheit. Viele Menschen kennen weder die Erkrankung noch ihre Auswirkungen. Aus diesem Grund verstehen viele Eltern nicht, wieso sie ihre Kinder gegen eine Krankheit impfen lassen sollten, die in Deutschland seit 1990 gar nicht mehr existiert.

Ein falscher Gedankengang, oder?

Uhlig: Ja. Die Krankheit existiert nur deshalb nicht mehr in Deutschland, weil die Impfungen so effektiv sind. Wenn die Impfquoten jetzt jedoch weiter zurückgehen, könnte auch das Polio-Virus wiederkommen. Aus diesem Grund ist es so wichtig, immer wieder auf das Thema hinzuweisen und darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig eine Impfung ist.

Gibt es bei der Polio-Impfung eigentlich Nebenwirkungen?

Uhlig: Es gibt keine gravierenden oder längerfristigen Nebenwirkungen. Bei der Polio-Impfung werden inaktivierte Polio-Viren verimpft, auch bekannt als Totimpfstoff. Jede Impfung sollte natürlich das Immunsystem anregen. Das bedeutet, dass es zu einer Erhöhung der Temperatur oder Fieber kommen kann. Das ist ein Zeichen dafür, dass sich der Körper mit dem Erreger oder dem Impfstoff auseinandersetzt. Zudem kann es bei jeder Impfung zu Rötungen, Schwellungen oder Schmerzen an der Einstichstelle kommen.

Etwas anders sieht es bei der Schluckimpfung aus, oder?

Uhlig: Die orale Polio-Vakzine, also die Schluckimpfung, hatte zur Folge, dass abgeschwächte, aber lebende Polio-Viren verwendet wurden, die zwar vergleichsweise milde, aber eben existente Lähmungserscheinungen bei im Schnitt zwei bis drei Menschen pro Jahr in Deutschland hervorgerufen haben – bei mehreren Millionen Impfungen. Aus diesem Grund hat man sich Ende der 90er-Jahre dazu entschieden, zu abgetöteten Erregern überzugehen. In manchen Ländern gibt es die Schluckimpfung aber nach wie vor.

Im Abwasser einiger deutscher Städte wurden jetzt Polio-Viren entdeckt. Ein Grund zur Sorge?

Uhlig: Wir haben immer noch relativ hohe Impfquoten, auch wenn die im Vergleich mit anderen Regionen deutlich schlechter ausfallen. Heißt: Zu größeren Epidemien wird es nicht kommen. Aber statistisch gesehen, erhöht sich die Chance, bei einem unvollständigen oder fehlendem Impfschutz doch irgendwann einmal eine Polio-Infektion zu entwickeln.

Wenn ich also jetzt, durch welchen unglücklichen Zufall auch immer, mit den Polio-Viren in Kontakt komme, habe ich ein Problem?

Uhlig: Es hängt von davon ab, ob Sie die vier Impfungen gegen Polio haben. Sollte das nicht der Fall sein, würde ich Ihnen nahelegen, den Impfschutz zu vervollständigen. Diesen kann man übrigens auch mit anderen Impfungen kombinieren. So ist es ohnehin sinnvoll, seine Schutzimpfung gegen Tetanus und Diphtherie spätestens alle zehn Jahre aufzufrischen. Und hier gibt es eben die Möglichkeit, sich mit einer Spritze sowohl gegen Polio, als auch gegen Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten impfen zu lassen.

Also ist es nie zu spät für eine Impfung?

Uhlig: Nein. Denn mit dem Polio-Virus kann man sich in jedem Alter infizieren. Nicht nur Kinder können sich anstecken. Und nochmal: Die Mehrzahl der Infektionen verläuft unbemerkt. Aber hin und wieder kommt es eben zu Lähmungserscheinungen, die auch erst Jahre nach der Infektion auftreten können. Und dafür gibt es keine Heilung.

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