Mehrere schwere Gewitter über der Region
Die Frau im Sturm: Neue Hagelflieger-Chefin über ihre gefährlichen Einsätze und Rosenheims Unwetter
Heftige Stürme, gefährliche Geschosse aus Eis und wilde Manöver: Die Rosenheimer Hagelflieger setzen sich immer wieder einem Risiko aus, um die Region vor schweren Unwettern zu schützen. Die neue Chefin der Flieger verrät im Interview, wie riskant ihre Einsätze sind und bei welchem Gewitter sie Sorgen hatte.
Rosenheim – Sie kommen meist innerhalb weniger Minuten, hinterlassen aber oft eine Spur der Verwüstung. Auch 2023 haben einige Unwetter in der die Region Rosenheim für Chaos gesorgt. Während diese auf den ein oder anderen furchteinflößend wirken, will Andrea Lindner immer so nah wie möglich an die Gewitter heran. Die Frau aus Vogtareuth ist seit September 2024 die neue Chefin der Rosenheimer Hagelflieger. Im Gespräch mit dem OVB verrät sie, bei welchem Gewitter über Rosenheim sie Sorgen hatte, welche Gefahren es bei den Einsätzen gibt und wie sie mit Kritik an der Wirksamkeit der Hagelabwehr umgeht.
Sie fliegen mit kleinen Flugzeugen direkt zu Unwettern – brauchen Sie den besonderen Kick?
Andrea Lindner: Der Kick ist es nicht (lacht). Es ist tatsächlich mehr die Abwechslung. Das Spannende am Fliegen oder die Herausforderung sind der Start und die Landung. Alles andere kann man im Flugzeug so einstellen, dass es bei schönem Wetter selbstständig fliegt. Das ist dort oben, wenn es ruhig ist, fast ein wenig wie Urlaub und Entspannung.
Unwetter hören sich aber nicht nach Entspannung an.
Lindner: Nein, das ist dann nicht mehr der Fall. Aber ich wollte einfach mehr, als „nur“ im Kreis herumfliegen. Das ist aber nicht die Suche nach einem Kick, denn dann wäre ich bei den Hagelfliegern komplett falsch. Ich würde zum Beispiel auch keinen Bungee-Jump machen, ich weiß, was mein Körper aushält. Es ist immer ein gewisser Respekt mit dabei. Risikobewusstsein muss man schon haben, auch beim Fliegen. Aber: Ein bisschen verrückt muss man sein, wenn man das macht (lacht).
Wie groß ist denn das Risiko für die Piloten der Hagelflieger?
Lindner: Solange ein Pilot am Steuer sitzt, ist es kontrollierbar. Weil der weiß, wie seine Maschine funktioniert. Er hat zwei Motoren und weiß, wenn der eine ausfällt, läuft der andere weiter. Dazu haben wir auch eine gute Beratung von Meteorologen. Dadurch wissen wir im Voraus, welche Einsatzlagen sinnvoll sind und bei welchen wir erst gar nicht starten.
Wann starten Sie nicht?
Lindner: Wenn der Seitenwind zu stark ist. Bei dem schweren Unwetter am 13. August waren es bei der Landung 47 Knoten – etwas mehr als 80 km/h. Das war schon grenzwertig. Bei dieser Geschwindigkeit eine Landung durchzuführen, ist sehr herausfordernd. Da kann es vorkommen, dass das Flugzeug so schräg in der Luft steht, dass man die Landebahn statt durch die Frontscheibe durch das Seitenfenster sieht. Dafür muss der Pilot sehr viel Erfahrung haben. Wenn es noch stärker ist, können wir nicht starten. Bei starkem Regen macht das sogenannte Impfen der Gewitterwolken – Verbrennen von Silberjodid, damit sich keine größeren Hagelkörner bilden – keinen Sinn, da das Silberjodid nach dem Verbrennen einfach runterfällt und keine Wirkung in den Wolken hat. Und wir dürfen nur bis eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang fliegen.
Wie sind Sie zum Fliegen gekommen?
Lindner: Ich war als Kind schon davon fasziniert, vor allem wegen Peter Pan. Das hat mich beeindruckt, wie der durch die Gegend geflogen ist. Während des Studiums bin ich dann mit jemandem im Flugzeug mitgeflogen und wusste, dass ich das auch machen muss. Gott sei Dank hatte ich Eltern, die mich dabei ideell unterstützt haben. Das Fliegen ist kein billiges Hobby. Ich habe damals rund 10.000 Euro bezahlt. Die Ausbildung dauert dann ungefähr eineinhalb Jahre, je nachdem, wie viel Zeit man investiert.
Und wie viele Einsätze hatten Sie für die Hagelflieger?
Lindner: Bisher war ich als Co-Pilotin dabei. Wie oft, das kann ich gar nicht genau sagen. Noch darf ich nicht selbst fliegen, da ich mit der Ausbildung nicht fertig bin. Ich habe meine Privatpiloten-Lizenz, das ist die Grundlage. Jetzt fehlt noch das Sprechfunkzeugnis und die Instrumentenflugberechtigung. Bis zum Saisonstart im April 2025 hoffe ich aber, dass das geschafft ist.
Welche Unwetter sind Ihnen dabei in Erinnerung geblieben?
Lindner: Das Gewitter am 26. August 2023, welches das Herbstfest unter Wasser gesetzt hat. Das war auch mein erster Einsatz. Aber auch 2024 hatten wir starke Einsatzlagen. Zum Beispiel am 13. August, das war das massivste, das wir heuer hatten. Da waren zwischenzeitlich auf dem Radar vier lila Zellen, das sind extreme Wetterlagen. Auch am 14. August war es nicht ohne, da war ich auch selbst in der Luft. Und am 10. Juli hatten wir auch eine Gewitterlage, die von Meteorologen als Superzelle bezeichnet wird.
Hat man Angst, wenn man auf die dunklen Wolken zufliegt?
Lindner: Angst nicht – großen Respekt schon. Bei den Piloten heißt das „Situational Awareness“. Das heißt, du musst dir immer bewusst sein: Wo bin ich gerade im Flieger? Wie steht es um mein Flugzeug gerade? Wie sind meine Anzeigen? Wie geht es mir gerade? Und solange du da drauf achtest, kommt es gar nicht zur Angst – zumindest bei mir. Man ist da sehr fokussiert.
Die Sorge, dass doch mal etwas schiefgeht, fliegt nie mit?
Lindner: Die fliegt immer mit, aber in jedem Flugzeug, in das man steigt. Darüber muss man sich immer bewusst sein, dass etwas schiefgehen kann. An einen Moment kann ich mich auch noch gut erinnern: Da haben wir eine „schöne Klatsche“ vom Unwetter bekommen. Der Windstoß hat das Flugzeug am Heck so getroffen, dass es von hinten angehoben wurde. Das ist schon komisch, wenn das Gewitter eine Bewegung des Flugzeugs verursacht, die man sonst nicht hat. Auch ein Motoren- oder Generatorenausfall sowie ein Hagelschaden kann immer mal passieren.
Wie sieht das Ihre Familie?
Lindner: Die sind ziemlich begeistert. Mein Mann war tatsächlich auch derjenige, der gesagt hat, dass die Hagelflieger eine einmalige Chance sind.
Manchmal wirkt es dennoch so, dass die Fliegerei immer noch eine Männer-Domäne ist.
Lindner: Ich war am Flugplatz eigentlich immer ein Unikat. Ein gibt noch zwei andere Frauen bei uns am Flugplatz, ansonsten bin ich aber tatsächlich unter Männern – sowohl im Hagelforschungsverein als auch bei der Hagelabwehr selbst.
War das mal ein Thema auf dem Weg zu Ihrer Position als Chefin?
Lindner: Die Akzeptanz der Kollegen ist voll da. Ohne die hätte ich es auch nicht gemacht. Bevor ich das Amt übernommen habe, habe ich mich bei Ihnen umgehört und nach deren Meinung gefragt.
Eine Herausforderung als Chefin wird auch der Klimawandel sein. Nehmen die Unwetter-Einsätze in der Region zu?
Lindner: In den vergangenen Jahren war das statistisch gesehen nicht der Fall. Heuer waren es zwölf Einsatztage. Was wir aber beobachten ist, dass die Unwetter heftiger werden, weil in den Wolken mehr Feuchtigkeit drin ist. Auffällig war auch, dass solche Gewitter wie das vom 26. August 2023 laut Meteorologen bislang nur alle 30 bis 40 Jahre aufgetreten sind. Davon hatten wir heuer aber wieder welche.
Was verändert das bei den Hagelfliegern – muss man sich anpassen?
Lindner: Im Moment gibt es interessante Entwicklungen für die Hagelabwehr mit Drohnen. Das steckt aber noch in den Kinderschuhen, da es noch keine Drohnen gibt, die nach dem Gewitter wieder heil herunterkommen. Vorteil wäre, dass es dann gar kein Risiko mehr für die Piloten gibt. Das Silberjodid hat sich – unabhängig von der Intensität der Unwetter – etabliert und ist bislang nahezu alternativlos.
Die Wirksamkeit der Hagelabwehr wird aber immer wieder mal infrage gestellt.
Lindner: Wir arbeiten seit Jahren schon mit der Hochschule Rosenheim zusammen. Und da gibt es inzwischen viele Nachweise, viele Studien, die belegen, dass eine Wirksamkeit da ist. Aber auch da sind wir noch nicht am Ende. Und es gibt immer Einzelfälle, zum Beispiel das Gewitter am 10. Juli. Da sind wir unter anderem gelandet, weil die Zelle eigentlich in sich zusammengefallen ist. Allerdings hat sie dann nochmal Fahrt aufgenommen. Das kann man nicht verhindern. Aber auch da gibt es Forschungen, bei denen diese Lebenszyklen von Gewitterzellen untersucht werden.
