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Diskussion im Stellwerk in Rosenheim 

Sind Frauen die Corona-Verlierer? Wie die Gleichberechtigung noch immer unter der Pandemie leidet

Zoe Lefkofridi und Nadine Zwiener-Collins bei der Diskussion im Stellwerk 18
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Zoe Lefkofridi und Nadine Zwiener-Collins bei der Diskussion im Stellwerk 18

Die beiden Politikwissenschaftlerinnen Zoe Lefkofridi und Nadine Zwiener-Collins sprechen im Interview über Frauen in der Kommunalpolitik, die Realitäten des Lebens und wie diese unsere Einstellungen ändern.

Rosenheim - Das Aktionsbündnis „Internationaler Frauentag Rosenheim“ der Stadt Rosenheim hatte zusammen mit den Rosenheimer Grünen die beiden Hochschullehrerinnen Professor Dr. Zoe Lefkofridi und Dr. Nadine Zwiener-Collins eingeladen, um über die Gleichstellung von Frauen und Männern zu referieren. Im Interview erklären die beiden, dass von alleine sowie so nichts passiert und das von den Problemen auch Männer betroffen sind.

Wie steht es denn um die Gleichstellung von Männern und Frauen in Deutschland?

Prof. Zoe Lefkofridi: Die Schätzung des globalen Wirtschaftsforums ist, dass es global noch 99,5 Jahre dauert, bis Frauen und Männer gleichgestellt sind. Nach der Pandemie ist diese Zahl auf 135,6 Jahre gestiegen - also gab es eindeutig einen Pandemie-Effekt. Deutschland hat keine Vorreiterrolle in der Gleichstellung, sondern liegt es rund um den EU Durchschnitt - im EU-weiten Vergleich auf Platz 11.

Dr. Nadine Zwiener-Collins: Wir sprechen im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit von verschiedenen Lebensbereichen. Wir sind beide Politikwissenschaftlerinnen, daher haben wir auf die Gleichstellung in der Politik geschaut. Aber auch in den Bereichen Gesundheit, Bildung und in der Familie selbst. Wir sprechen von Ungleichheiten in allen Lebensbereichen. Wir haben uns jetzt auf Politik, Familie und Arbeit konzentriert. Auch unbezahlte Arbeit - also Sorge und Pflegearbeit, aber auch Hausarbeit. 

Welche Bereiche untersuchen Sie denn? 

Zwiener-Collins: Wir haben untersucht, wie sich Geschlechterrollen und die Einstellungen dazu verändert haben. Mit Geschlechterrollen meinen wir, wie sich die Aufteilung von unbezahlter Arbeit und von bezahlter Arbeit verändert hat. Traditionell ist die Frau für die unbezahlte Arbeit und der Mann für die Erwerbsarbeit zuständig. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten etwas verändert. Immer mehr Frauen sind erwerbstätig. Aber dann kam die Pandemie und durch die Schulschließungen fiel sehr viel mehr Sorgearbeit an - Homeschooling und so weiter. Und diese Arbeit wird vornehmlich von Frauen verrichtet.

Das ist ja in diesem Sinne nicht unlogisch, dass man in Krisen auf alt bekannte Muster zurückfällt. Aber Corona ist ja mehr oder weniger vorbei.

Zwiener-Collins: Ja, wir sind in diese alten Rollen zurückgefallen. Das hat sich zwar relativiert, weil die Kindergärten und Schulen wieder offen sind, aber uns hat interessiert, ob die Einstellungen zu den Rollenbildern sich auch verändert haben, also wie wir darüber denken. Und leider hat sich das schon verändert. Frauen, die mehr Sorgearbeit gemacht haben, und auch deren Männer haben die Einstellung, dass Kindererziehung Frauensache sei. Insofern haben sich die Einstellungen an die gelebten Realitäten angepasst. Das wirkt über die Pandemie hinaus.

Lefkofridi: Wir hatten ja auch schon vor der Pandemie keine Parität. Wenn vor allem Frauen mit Betreuungspflichten nicht in der Politik sind, dann werden auch die Bedürfnisse von  diesen Frauen nicht berücksichtigt. Wir brauchen mehr diverse Stimmen in der Politik. Die Top Positionen werden meist von Frauen erreicht, die keine Kinder haben. Viele opfern den Kinderwunsch im Verlauf der Karriere, denn beides ist oft nicht möglich. Das gleiche gilt auch für Väter, die sich viel um ihre Kinder kümmern wollen. Das sind Geschlechterstereotypen, die sehr hartnäckig sind.

Ist das bei Frauen und Männern in etwa gleich?

Zwiener-Collins: Das ist ganz interessant. Vor der Krise hatten Frauen tendenziell egalitäreren Einstellungen als die Männer. Aber der Effekt der gelebten Realität zeigt sich auch in den Einstellungen: Frauen, die während der Pandemie zuhause geblieben sind, sind konservativer geworden. Und Männer, die zuhause geblieben sind, sind egalitärer geworden. Wir glauben, dass das kognitive Dissonanzvermeidung ist. Also, die Einstellung passt sich an die Realität an.

Lefkofridi: Wie viele männliche Bezugspersonen gibt es im Kindergarten? Meist gar keine. Dabei wäre das so wichtig. Studien aus Schweden zeigen den positiven Einfluss von männlichen Bezugspersonen. Die Männer kommen aber erst ab dem Gymnasium. Wir können nicht warten, dass die Gesellschaft das von alleine ändert. Es braucht politische Maßnahmen.

Aber damit wir einen Bundeskanzler mit zwei kleinen Kindern haben, dafür muss sich doch wahnsinnig viel ändern?

Zwiener-Collins: Das fängt auf der lokalen Ebene aber schon an. Politikerinnen mit Kindern starten da mit einem riesigen Nachteil. Wir wissen, dass auf lokaler Ebene viel außerhalb des institutionellen Rahmens entschieden wird. Da werden Entscheidungen auch nach der Sitzung beim Bier getroffen. Das schließt eigentlich Politikerinnen mit kleinen Kindern aus. Das setzt sich fort und eigentlich müsste man diese Rahmenbedingungen ändern. Es gibt gute Vorschläge aus anderen Ländern, aber da fehlt oft der politische Wille. Da beißt sich die Katze in den Schwanz, weil eben keiner da ist, der diese Bedingungen selbst hat und ändern will.

Lefkofridi: Die neue Generation von Männern betrifft das aber auch. In meiner Umgebung und bei meinen Studierenden sehe ich, dass Karriere denen nicht mehr so wichtig ist. Familie und Work-Life-Balance ist für diese Generation viel wichtiger. Auch diese Männer werden wenig in der Politik vertreten. Auch weil Politiker im Zweifelsfall eher älter als jünger sind. Wir reden immer über Frauen, aber die Männer sind genauso betroffen. 

Was gibt es denn für positive Beispiele?

Lefkofridi: In Schweden zum Beispiel gibt es steuerliche Anreize, dass beide Eltern arbeiten und die Männer Elternzeit nehmen. In Deutschland ist das genau umgekehrt.

Zwiener-Collins: Gut designte Quoten. Also dass Frauen nicht einfach auf die aussichtslosen Listenplätze von Parteien gesetzt werden. In Spanien muss diese Quote für je zehn Kandidaten erfüllt werden. 

Lefkofridi: Oder das Reißverschluss-System. Also immer abwechselnd.

Zwiener-Collins: Spanien ist eines der Länder mit einer der höchsten Frauenquoten im Parlament. Ähnlich ist es nur in Skandinavien, die haben das organisch erreicht, also da war die Einstellung schon vorher da. In Spanien war es eine Entscheidung von oben herab. Und es war erfolgreich, und dann hat sich auch die Einstellung geändert. 

Lefkofridi: Hier bekommen Frauen immer maximal das Sozialministerium, in Finnland gerne auch mal das Finanzministerium. Aber diese Denke, dass Frauen das Eine können und das Andere nicht, ist ganz tief in uns drinnen.

Zwiener-Collins: Wenn wir in Deutschland oder Österreich darauf warten, dass sich das organisch entwickelt, dann warten wir eben noch 136 Jahre.

Aber die wirtschaftliche Realität bestimmt doch inzwischen sowieso, dass beide Eltern arbeiten müssen. 

Lefkofridi: Es ist unmöglich, ohne zwei Gehälter zu überleben, aber wir brauchen eben auch die Infrastruktur. 

Zwiener-Collins: Die Erwerbsquoten von Frauen sind in den letzten 50 Jahren ja stetig angestiegen. Aber das bedeutet nicht, dass Männer mehr Haus- und Sorgearbeit erledigen. Deshalb kommen Frauen abends nach Hause und machen die sogenannte zweite Schicht. 

Sind wir Männer dafür zu faul?

Lefkofridi: Männer werden auch von Müttern großgezogen und es liegt an den Müttern, das auch weiterzugeben. Früher war das eben der Job der Mütter, der nicht weitergegeben wurde. Aber jetzt sind die Verhältnisse anders, da müssen auch die Frauen, die das internalisiert haben, jetzt den Haushalt aktiv weitergeben.

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