Für den guten Zweck
Von wegen alter Leier: Das macht Joachim Voit im Landkreis Rosenheim einzigartig
Seit 20 Jahren steht Joachim Voit mit seiner Drehorgel auf dem Rosenheimer Christkindlmarkt und dem Herbstfest. Und sammelt mehrere tausend Euro für den guten Zweck. Ein Portrait über einen Mann, den die meisten schon einmal gesehen haben und dennoch die wenigsten kennen werden.
Rosenheim/Amerang - Wenn seine Musik in der Stadt zu hören ist, bleiben die meisten stehen und holen die Geldbeutel raus: Joachim Voit ist einer der bekannteste Drehorgelspieler in Stadt und Landkreis Rosenheim. Der 73-Jährige aus Amerang spielt seit 20 Jahren bei Wind und Wetter auf dem Rosenheimer Herbstfest und Christkindlmarkt. Und hilft damit ganz nebenbei bedürftigen Kindern.
Drehorgelspieler aus Zufall
Reiner Zufall sei es gewesen, sagt Voit am Telefon auf die Frage, wie er zum Drehorgelspielen gekommen ist. Er spricht ruhig und deutlich mit bayerischem Akzent. Die Leidenschaft für sein Hobby ist aber in jedem Satz zu hören. Denn immer, wenn Voit von seiner Drehorgel spricht, gerät er ins Schwärmen. „Drehorgelspielen is einfach schee.“
Eigentlich ist Voit Raumausstatter mit eigener Firma in Amerang, die sein Großvater vor über 100 Jahren gegründet hat. „Irgendwann hatten wir ein Seminar für Unternehmer auf dem ein Drehorgelspieler aus Hannover war, der auch etwas vorgespielt hat“, erzählt Voit. In Norddeutschland sei der Leierkasten, wie die Orgel auch genannt wird, viel verbreiteter als in Bayern.
Liebe zur klassischen Musik
„Das hat mich so begeistert, dass ich zu meiner Frau gesagt hab: Do kaff´ ma oane!“ Gesagt, getan: Für 12.000 Mark kaufte Voit eine Drehorgel, die extra für ihn angefertigt wurde, bei einem Orgelbauer im Schwarzwald - ohne musikalische Vorerfahrung. Bis auf ein paar Klavierstunden hatte er bis dahin noch nie ein Instrument gespielt.
Er habe aber schon immer großes Interesse an klassischer Musik gehabt, vor allem an Weihnachtsmusik von Bach und Händel. Auch, weil er 14 Jahre lang Mesner in der katholischen Kirche in Amerang war. „In der Zeit hatten wir einen fantastischen Organisten.“ So sei letztlich „seine Liebe“ zur Orgelmusik entstanden.
Nach dem Kauf des Musikinstruments stellte sich Voit die Frage: „Jetzt habe ich eine Drehorgel, was nun?“ Ihm sei zwar klar gewesen, dass er vor Leuten spielen möchte, aber nicht wie und wo. „2003 habe ich einfach mal beim Wirtschaftlichen Verband in Rosenheim nachgefragt, ob ich nicht auf dem Christkindlmarkt auftreten kann, da das ganz gut passen könnte.“ Dieser sei von der Idee auch begeistert gewesen, das Rosenheimer Ordnungsamt allerdings nicht. „Die wollten erst keine Straßenmusik. Wenn ich die Einnahmen aber für einen gemeinnützigen Zweck spende, könnten sie ihre Meinung nochmal ändern, hieß es damals“, erzählt Voit und lacht.
Spenden für den Kinderschutzbund Rosenheim
Die Wahl fiel auf den Kinderschutzbund von Stadt und Landkreis. „Wahrscheinlich weil ich Kinder mag“, erklärt Voit seine Entscheidung, „bei vier Kindern, zehn Enkelkindern und einem Urenkel aber auch kein Wunder.“ Gleich im ersten Jahr auf dem Christkindlmarkt konnte er 1500 Euro sammeln - allein mit dem, was Passanten in den Beutel des Plüschaffen, der an seiner Drehorgel hängt, warfen. „Meist sind das kleine Eurobeträge mit Münzen“, sagt Voit.
Außer im vergangenen Jahr: „Da waren ganz oft Geldscheine dabei. So viel wie 2022 habe ich noch nie eingenommen, am Ende waren es 2550 Euro an nur sieben Tagen.“ Voit spendet das komplette Geld an den Kinderschutzbund - seit über 20 Jahren, wie auch Barbara Heuel, stellvertretende Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes bestätigt. Und in all den Jahren sei eine „schöne Summe zusammengekommen“, da er nicht nur an den Wochenenden auf dem Christkindlmarkt, sondern auch an mehreren Tagen auf dem Herbstfest „leiert“.
Vereinzelt spielt er zudem auf Hochzeiten oder Geburtstagen im Bekanntenkreis. „Nur nicht in den vergangenen Jahren, da ging es ja nicht“, sagt Voit. Es wird still am anderen Ende der Leitung. „Die Jahre waren nicht leicht“, sagt er leise. 2020 habe er aufgrund von Corona seine Frau verloren. „Umso schöner ist es, dass ich endlich wieder auftreten kann.“
Von Marschmusik bis Moderne
Musikalisch könne er dabei fast alles auf der Drehorgel spielen, erklärt Voit. Von Weihnachtsliedern über Marsch- und Hochzeitsmusik bis zu hin Schlagern, ABBA und modernen Liedern. Die Noten sind in sogenannte Lochstreifen, auf denen rund fünf Lieder Platz haben, gestanzt. Diese werden in die Orgel eingelegt und erzeugen durch die Drehbewegung mithilfe eines Blasebalgs und den Orgelpfeifen im Inneren die Töne - rein mechanisch und ohne Strom. „Auch wenn es kompliziert klingt, im Prinzip ist die Drehorgel vergleichbar mit einer Pfeifenorgel in der Kirche.“
Bei seinen „Konzerten“ trägt Voit immer Frack und Zylinder. „Das ist die Tracht des Drehorgelspielers, man muss anständig gekleidet sein.“ Auch der graue Zwirbelbart ist zu seinem Markenzeichen geworden. Die Idee, sich den mit den Enden nach oben gebogenen Schnurrbart wachsen zu lassen, sei ihm auf dem Herbstfest gekommen, als er einige Trachtler mit diesen Bärten gesehen hat. Wegen seines Aussehens werde er inzwischen selber oft nach Fotos gefragt. „Eine Frau hat unser Bild sogar mal ihrer Tochter in Amerika geschickt, da die sowas nicht kennen.“
Bei jedem Wetter unterwegs
Anstrengend sei das Kurbeln nicht, einen Muskelkater im Arm habe Voit noch nie gehabt. Nur das stundenlange Stehen - bis zu acht Stunden am Tag - macht ihm mit zwei künstlichen Kniegelenken immer mehr zu schaffen. Und das bei jedem Wetter. „Es ist egal, ob es regnet oder schneit, dann spanne ich eben meinen großen Schirm auf“, sagt der Drehorgelspieler und lacht wieder. Außer die Temperatur fällt unter minus acht Grad. „Dann geht´s nicht mehr, da die Luft für die Pfeifen zu kalt ist und sich die Töne komisch anhören.“
Ansonsten sei das Wetter das geringste Problem. Die Parksituation in Rosenheim an den Advents- und Wiesnwochenenden hingegen schon. „Wie oft ich da einen Strafzettel bekommen habe.“ Deswegen musste er einmal auf einen besonderen Trick zurückgreifen: Voit hing einen Zettel hinter der Windschutzscheibe seines Autos mit der Aufschrift: „Drehorgelspieler bittet um Nachsicht.“ „Das hat glücklicherweise funktioniert, obwohl ich nicht vorschriftsmäßig geparkt habe“, erzählt er.
Schwierige Nachfolgersuche
Wie lange Voit noch mit seiner Drehorgel unterwegs sein will: „Solange es gesundheitlich geht.“ Trotzdem schaut er sich bereits nach einem Nachfolger um. Die Suche sei allerdings schwierig. „Und das, obwohl es in der Familie von der Anzahl her ja einige Kandidaten gibt“, sagt der 73-Jährige. Theoretisch könne jeder, der „etwas Gefühl für Musik hat und die Musikstücke kennt“, die Drehorgel spielen. So wird Voit auch heuer wieder mit seinem Leierkasten durch Rosenheim ziehen und mit seiner Musik Geld für die Kinder der Stadt sammeln.
