Über schwierige und traurige Momente
Einsamkeit und Ohnmacht: Schüler aus der Region von Corona hart getroffen – was sie erlebten
Harte Jahre in Rosenheim und Mühldorf: Mit Ausbruch der Corona-Pandemie schlossen von einem Moment auf den anderen die Schulen. Ein schwerer Schlag für die Kinder, vor allem für die Jüngsten. Fünf Jahre danach erzählen Schüler ihre Erlebnisse – von schwierigen bis zu besonders traurigen Momenten.
Rosenheim – Vor rund fünf Jahren wurde das Leben von Louisa auf den Kopf gestellt. Das Mädchen, das inzwischen in die 6b der Rosenheimer Mädchenrealschule geht, kam am Montagmorgen (16. März 2020) gerade in ihrer Grundschule an, als ihre Lehrerin eine schlechte Nachricht für sie hatte: „Sie sagte gleich, dass die Schule heute schließen muss“. Kurz darauf sei sie mit ihrem Papa wieder nach Hause geschickt worden. „Da musste ich erstmal weinen, weil ich mich so gefreut habe, meine Freundinnen zu sehen“, erinnert sich Louisa. Was hinter dem ganzen Trubel steckte, habe sie damals gar nicht verstanden.
Start in der Grundschule mitten in der Corona-Pandemie
So geht es nicht nur Louisa, sondern vielen ihrer Klassenkameradinnen der 6b. Alle waren damals frisch in der ersten oder vereinzelt in der zweiten Klasse. „Meine Eltern haben mir dann erklärt, dass ein Virus oder eine Krankheit der Grund ist“, sagt Zoe. Sie sitzt zusammen mit rund 15 Mädchen aus ihrer Klasse in einem Klassenzimmer der Realschule. Wie einschneidend die Pandemie für die damals Sechs- und Siebenjährigen gewesen sein muss, zeigt, dass die Mädchen kaum aufhören wollen, darüber zu erzählen. Im Sekundentakt schnellen ihre Finger nach oben, um die nächste Frage beantworten zu dürfen.
Wirklich vorstellen konnten sich die Mädchen – trotz der Erklärungen – unter Corona zunächst aber nichts. „Ich dachte, dass es wie eine normale Grippe ist und wir spätestens nach einer Woche wieder in die Schule können“, sagt Melinda. Erst als immer mehr Menschen ins Krankenhaus mussten, sei auch bei den Kindern die Angst gekommen, erinnert sich die Schülerin. Auch, weil es Familienangehörige traf. „Meine Oma mit 91 Jahren ist schwer krank geworden“, erzählt Leni. Von einem anderen Mädchen musste der Vater wegen akuter Atemnot von einem Moment auf den anderen ins Klinikum.
Schulausfall und viel Ablenkung im Homeschooling
Allerdings hätten sich die Schülerinnen zu Beginn auch gefreut, dass sie plötzlich nicht mehr in die Schule mussten. „Aber als es dann immer länger und länger gedauert hat, war es schon irgendwie blöd“, sagt Helena. Vor allem, weil vieles vom Unterrichtsstoff im Homeschooling nicht so leicht zu verstehen gewesen sei. „Das war sehr stressig, weil das Erklären über den Bildschirm schwierig war“, sagt auch Luna.
Und ein weiteres Problem: die Ablenkungen zuhause. „Wenn draußen schönes Wetter war, wollten wir schon dauernd rausgehen“, erinnert sich Leonie und schmunzelt. Am eigenen Schreibtisch, in der Küche oder im Wohnzimmer sei es viel schwieriger gewesen, sich zu konzentrieren. „In der Zeit ist meine kleine Schwester auf die Welt gekommen und hat dauernd geschrien“, erzählt Helena.
Ohnmacht bei Unterricht mit Masken und fehlende Kontaktmöglichkeiten
Umso glücklicher seien die Mädchen gewesen, als sie wieder zurück in die Schule durften. Wenn auch in verschiedenen Gruppen, mit Masken und täglichen Tests. „Das war auch seltsam, da sich die Lehrer mit Kitteln und Hauben wie Ärzte verkleidet haben“, sagt Wanda. Noch lästiger sei das dauernde Tragen der Masken in der Schule gewesen. „Mir ist immer die Brille angelaufen, wenn ich die Maske aufhatte“, sagt Felicitas. Eine andere Klassenkameradin von ihr sei sogar manchmal ohnmächtig geworden, da sie Asthma und damit mit der Maske noch weniger Luft bekommen habe. Fast allen sei daher das Homeschooling irgendwann lieber gewesen.
Und das, obwohl die Mädchen in der ersten Klasse gerade dabei waren, feste Freundschaften untereinander aufzubauen. Einige hätten sich dann erst ab der dritten Jahrgangsstufe besser kennengelernt. „Irgendwann habe ich meine Mama gefragt, wann wir endlich wieder in die Schule dürfen und ich dort meine Freundinnen wieder sehen kann“, erinnert sich Antonia. Schließlich sei auch der Kontakt in der Freizeit kaum möglich gewesen.
Einsamkeit während Corona, aber auch schöne Momente
Einige der Mädchen hätten sich in der Zeit auch sehr alleine gefühlt. Eine Schülerin habe sogar nach der Pandemie ihre Großeltern nicht mehr erkannt, da diese weiter weg leben. Das sei schon „krass“ gewesen. Bei Lina sei der Uropa gestorben, von dem sie sich nicht verabschieden konnte.
Dennoch können die Mädchen – trotz der vielen Schwierigkeiten – der Pandemie auch ein paar gute Dinge abgewinnen. „Ich fand es schön, dass ich so viel mit meinem Bruder gemacht habe, obwohl er älter als ich ist“, erzählt Lina. Und auch ihre Mitschülerinnen sind sich einig: „Es war trotz allem schön, mehr Zeit als sonst mit der Familie zu verbringen“. „Auch wenn wir uns manchmal richtig in die Haare bekommen haben“, sagt Luna und lacht.
Schwierigkeiten während des Abschlussjahres
Der Ausbruch der Corona-Pandemie hatte jedoch nicht nur für die Erstklässlerinnen Konsequenzen, sondern auch für ältere Schüler. Im Frühjahr 2020 stand Maximilian Schuster aus Mühldorf kurz vor seiner Abschlussprüfung an der Realschule. „In den ersten zwei Wochen haben wir alle noch geglaubt, dass das mit Corona eh nichts weiter ist“, erinnert er sich. Doch auf einmal schloss die Schule und Homeschooling stand auf dem Stundenplan.
Der „Vorteil“ daran: „In dem Alter war es natürlich cool, wenn die Schule drei Wochen lang ausfällt.“ Mit dem Fernunterricht habe es anfangs noch nicht so geklappt, man versuchte über E-Mail-Verteiler den Unterricht weiterzuführen. „Technologisch waren die Schulen wahnsinnig ineffizient“, sagt Schuster. Anfangs habe er mit einem Leihlaptop gearbeitet, während andere ein iPad hatten. Da seien Ungleichheiten sichtbar geworden und auf einmal war es eine Frage, wie Eltern ihre Kinder unterstützen können. „Bei unserem Abschluss hat man das an den Leistungen aber noch nicht so stark gemerkt.“
Pandemie war für viele Lernenden eine Herausforderung
Als er anschließend in die FOS wechselte, spürte er auch die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie. Die politische Debatte habe sich zunehmend zugespitzt. „Durch die Inzidenzregelung war oft unklar, ob die Schule vor Ort stattfindet oder nicht, mit Maske oder ohne – stellenweise hat sich das alle paar Tage geändert“, erzählt Schuster. „Das war einfach dämlich.“
Das selbstständige Lernen sei nicht allen leicht gefallen, zwei seiner Mitschüler hätten sogar die Schule abgebrochen. „Jüngere Menschen wurden bei den Entscheidungen untergewichtet, das nach Hause schicken hat erhebliche Schäden angerichtet“, ist Schuster überzeugt. Als Nachhilfelehrer bei der VHS spürt er noch heute die Langzeitfolgen der Pandemie. Vielen würde Grundwissen fehlen und insbesondere Schüler mit Migrationshintergrund seien in ihrer sprachlichen Entwicklung ein bis zwei Jahre zurück. „Viele kommen einfach nicht mehr mit“, sagt er.
Jugendliche ohne Möglichkeit für Partys und Sport
Schuster selbst studiert heute im zweiten Semester Medizin in Erlangen und schließt nicht aus, dass die Pandemie zu seiner Studienwahl beigetragen hat. Gelitten hat er vor allem unter den fehlenden sozialen Kontakten. Zu seinem 18. Geburtstag gab es eine Obergrenze an Personen für Treffen, eine große Party war ausgeschlossen. Der Vereinssport sei stark eingeschränkt gewesen. Auch Reisen waren lange Zeit nicht möglich. „Alles, was über den normalen Schulstoff hinausgeht, wurde eingestampft“, sagt Schuster. „Dabei passiert, wenn man jung ist, eigentlich ganz viel, aber mit einem Schlag war alles wegradiert.“
Auf einmal war die Pandemie dann vorbei und schnell pendelte sich wieder Normalität ein. „Es gab keine Kompensation für die Jahre ohne Möglichkeit, keine Entschuldigungen für die Schulschließungen“, kritisiert Schuster. Stellvertretend für das Mühldorfer Jugendparlament wünscht sich der 21-Jährige, dass die Pandemie aufgearbeitet wird, dass sich der Stadtrat ernsthaft damit auseinandersetzt, was man aus dieser Zeit lernen kann. „Viele Jugendliche wurden benachteiligt: Wir sind auch vulnerabel, aber auf andere Art und Weise“, sagt Schuster.
