Podiumsdiskussion zur angespannten Lage
„Wir lügen uns selbst in die Tasche“: Rosenheims Kitas am Limit
Große Gruppen, wenig Personal, zu wenig Plätze. Die Lage in vielen Kitas ist prekär und die Handlungsfähigkeit der Kommunen ist beschränkt. Etwas tun könnte man trotzdem.
Rosenheim - Die Väter sind an diesem Abend eher zu Hause geblieben als die Mütter, so scheint es jedenfalls, denn es sind deutlich mehr Frauen im Stellwerk 18 als Männer. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass viele Erzieherinnen da sind und das ist nach wie vor ein von Frauen dominierter Beruf. Es ging bei der Podiumsdiskussion um nicht weniger als die Frage, „wie wir eine gute Bildung und Betreuung unserer Kinder sichern?“ Denn bei Eltern, Kindergärten, Krippen und Horten brodelt es seit Monaten, wenn nicht Jahren.
Keine rosige Zukunft
Die Frauen, die bei der Bürgerversammlung im vergangenen November einen Antrag über eine verpflichtende räumliche Nähe zwischen Kita und Wohnort stellten, hatten gemeinsam mit den Rosenheimer Grünen zu der Diskussion geladen. Als Referenten konnten sie Sabine Schmitt, Verwaltungsleiterin des Katholischen Kita-Verbundes in der Stadt Rosenheim, und Veronika Masel, Kita-Geschäftsführerin der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Rosenheim, sowie den Landtagsabgeordneten und Sprecher für frühkindliche Bildung Johannes Becher (Grüne) gewinnen. Bereits beim gemeinsamen Vortrag von Schmitt und Masel wurde deutlich, wo der Hase im Pfeffer liegt: Zu wenig Personal, zu viele Verwaltungstätigkeiten und zu viele Unsicherheiten. So lässt sich ein Teil des Problems zusammenfassen. Zwar ist mehr Personal da also noch vor zehn Jahren, der Bedarf an Plätzen ist allerdings noch stärker gewachsen.
Auch für die Zukunft machten die Referentinnen wenig Hoffnung. Der demographische Wandel führe zwangsläufig zu Personalnot. Schmitt zählte kurz ein paar Köpfe und sagte dann: „Heute Abend sind neun Erzieherinnen von mir da, drei davon und ich selbst auch werden in zehn Jahren wohl eher nicht mehr arbeiten, sondern in Rente sein.“ Dazu sei anders als etwa in der IT-Branche der Fachkräftemangel nicht einfach durch Zuzug aufzufangen. „Da spricht sowieso jeder Englisch, da ist es dann egal ob die Mitarbeiter aus Spanien oder Indien kommen. Das geht bei uns nicht“, erklärte sie.
Kompliziertes Finanzierungssystem
Auch sonst bereitete gerade die Gewinnung von neuen Fachkräften Sorgen. Fünf Jahre Ausbildung sind sehr lang, insbesondere wenn man zwei Jahre davon nicht bezahlt wird. Dazu - so absurd das klingt - ist die Finanzierung der Kitas sehr wackelig. Zum einen liegt das in der komplizierten Natur: Pro Kind gibt es einen Basiswert, der sich nach dessen Buchungszeiten berechnet, dieser wird mit verschiedenen Faktoren (etwa wenn das Kind unter drei ist oder eine Behinderung hat) multipliziert. Das Problem daran sei einmal, dass damit wenig Planbarkeit herrscht. Personal lässt sich nur finanzieren, wenn genügend Kinder da sind, und genügend Kinder können nur da sein, wenn genug Personal da ist. Des Weiteren stammt der Basiswert von 2007. Noch nicht lange her, aber angesichts von Inflation, gestiegenen Ansprüchen an das Personal durch Eltern und Staatsregierung, sind 15 Jahre doch eine lange Zeit.
Die Forderungen der beiden Referentinnen an die Politik waren dementsprechend klar: Eine Neuberechnung des Basiswerts, eine Anhebung des Sockelbeitrags und weniger Verwaltungstätigkeiten. Alles keine Sache der Kommunen sondern des Freistaats. Der war zwar ebenso wenig anwesend wie städtische Vertreter, Oberbürgermeister Andreas März hatte „mittags ohne Begründung abgesagt“, wie Antonia Heil, Sprecherin der Grünen Rosenheim, zu Beginn mitteilte. Dafür war aber der Grünen Landtagsabgeordnete Johannes Becher vor Ort. Der verwies zuerst auf die enorme Wichtigkeit der frühkindlichen Bildung: Laut dem Soziologen Jan Skopek seien die ersten Lebensjahre entscheidend für Bildungs- und Berufschancen. Also auch die Zeit in Kindergarten und Krippe. Becher übte harte Kritik an der Landesregierung. Anstatt das Geld aus dem Gute-Kita-Gesetz für die Qualität der Kitas auszugeben, habe man sich entschlossen die Beiträge zu senken. Er forderte einen ans Einkommen der Eltern gekoppelte Beitrag. Damit ließe sich, so Becher, viel finanzieren.
Mehr wahrnehmen, mehr zuhören, mehr wertschätzen
Aber auch kommunal könne man etwas tun. Es fehle die Wertschätzung, erklärte Becher. Als positives Beispiel nannte er eine Gemeinde im Landkreis Ebersberg, bei der der Bürgermeister einmal die Woche in der Kita vorbeischaue, um zu hören wie es allen geht. Mehr wahrnehmen, mehr zuhören, mehr wertschätzen könnten auch Kommunen leisten.
Die fehlende Wertschätzung war auch dann Thema der Diskussion, zu der unter anderem Peter Reith, Berufsberater beim Rosenheimer Arbeitsamt, dazustieß: „Das Thema ist so alt, das war schon am ersten Tag meines Beruflebens da“, erklärte er. Zwar wären junge Menschen oft durchaus am Beruf interessiert, aber vielmals seien die Eltern dagegen. Auch die komplizierte und lange Ausbildung, die wie erwähnt teilweise nicht bezahlt wird, schrecke viele ab. Bei so einer langen Ausbildung seien dann auch die Gehaltsaussichten für viele zu gering.
„Das Hundefutter redet nicht mit mir“
Silke Deschle-Prill, Leiterin der Fachakademie für Sozialpädagogik, verwies darauf, dass die Akademisierung - Erzieher besitzen inzwischen den Grad eines Bachelors - da bereits einige Fortschritte gebracht hätte, aber noch viel zu tun sei. Ein Teilnehmer erzählte, dass er häufig beobachte, dass Erzieherinnen oft noch zu hören hätten, sie würden ja nur ein bisschen spielen und Kaffee trinken.
Die Erzieherinnen meldeten sich dann auch noch eindrücklich zu Wort. Astrid Fürlinger, Kitaleitung von Christkönig, erklärte sie kenne Kollegen, die jetzt beim Fressnapf arbeiteten. Das Geld sei das gleiche und der Stress, insbesondere der Lärmpegel, deutlich geringer: „Das Tierfutter redet nicht mit mir“, sagten diese. Auch bei Lidl an der Kasse wären Kolleginnen gelandet. Die Fülle der Aufgaben sei einfach zu viel: Die Bürokratie, wie etwa das Erfassen, ob alle Kinder gegen Maserngeimpft sind, müsse eigentlich ausgelagert werden. Die Kindergruppen seien zu groß, zudem bräuchten sie eigentlich Dolmetscher in den Kitas, in einigen Gruppen würden über zehn Sprachen gesprochen werden. Und gerade die nicht-deutschsprachigen Kinder seien es, die bei der Platzvergabe oft durchrutschen würden.
„Wir lügen uns da was in die Tasche“
Die Platzvergabe und die Kommunikation seitens Stadt waren dann auch das nächste Thema. Es sei jedes Jahr das gleiche Spielchen, erklärte Sonja Gintenreiter, Fraktionssprecherinder Grünen im Rosenheimer Stadtrat, die Stadt vermelde im Sommer, dass alle Kinder einen Platz hätten. Das sei aber dann doch gar nicht der Fall. Viele Eltern bekämen Absagen und würden keinen dringenden Bedarf anmelden. Die Kinder bekämen dann auch keinen Platz, obwohl sie einen rechtlichen Anspruch haben und auch ihr Kind in eine Tagesstätte geben wollen. „Man kann auch alle Daten schön rechnen“, sagte sie resigniert.
Dabei vergaß Gintenreiter auch nicht die vielen Bemühungen der Stadt und des Stadtrats zu erwähnen: Den Bau neuer Kindergärten und Krippen für rund 28 Millionen Euro oder die Ideen Personal durch ein Jobticket und ähnliche Boni zu gewinnen. Dennoch sei das alles zu wenig: Denn am Ende käme es eben auf genug Geld für mehr Personal an. Ein Teilnehmer, der Kitas nördlich vom Landkreis Rosenheim betreut, brachte es auf den Punkt: „Ich muss mir den Personalschlüssel auch leisten können - wir lügen uns da was in die Tasche.“