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Gespräch mit Priener Experten Ulrich Voderholzer

Psychische Erkrankungen: „Stigmatisierung ist immer noch ein Thema“

Wenn die Seele schmerzt, ist nicht jeder in der Lage, sich aus dieser Situation wieder zu befreien. Spätestens dann sollten sich Betroffene professionelle Hilfe suchen, findet der Psychiater Ulrich Voderholzer.
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Wenn die Seele schmerzt, ist nicht jeder in der Lage, sich aus dieser Situation wieder zu befreien. Spätestens dann sollten sich Betroffene professionelle Hilfe suchen, findet der Psychiater Ulrich Voderholzer.

Nachdem sich immer wieder Prominente dazu bekannt haben, unter seelischen Problemen zu leiden, scheint der Umgang mit psychischen Erkrankungen unverfänglicher. Doch noch immer traut sich nicht jeder mit derartigen Beschwerden, sich Hilfe zu holen. Dabei gibt es inzwischen viele Therapieansätze.

Prien – Am 10. Oktober, ist Tag der psychischen Gesundheit. Mit dem Ärztlichen Leiter der Priener Schön Klinik Roseneck, dem Psychiater Professor Ulrich Voderholzer, sprachen die OVB-Heimatzeitungen über Hilfsangebote für Betroffene, körperliche Folgen und die Angst, sich mit psychischen Erkrankungen zu outen.

Was versteht man gemeinhin unter dem Begriff „psychische Gesundheit“?

Ulrich Voderholzer: Ganz allgemein bedeutet psychische Gesundheit, dass wir uns seelisch und geistig wohlfühlen sowie belastbar sind und mit Stress im Leben fertig werden können. Wenn wir uns seelisch und geistig wohlfühlen, können wir auch zum Leben in der Familie, mit Freunden, Bekannten und Nachbarn beitragen. Um uns wohlzufühlen, müssen wir dabei auf eine gute Balance zwischen Aufgaben und Ausgleich durch Freizeit und Entspannung achten. Für viele trifft natürlich der Idealzustand nicht immer zu. Viele dürften vermutlich die meiste Zeit irgendwo in der Mitte zwischen ausgeglichen und psychisch belastet pendeln.

Ab wann sollen sich Betroffene professionelle Hilfe suchen?

Voderholzer: Dann, wenn Symptome einer psychischen Erkrankung – wie Ängste, Niedergeschlagenheit, Lust- und Antriebslosigkeit, aber auch Schlafstörungen – über einen längeren Zeitraum bestehen und das Leben deutlich beeinträchtigen. Und wenn die Möglichkeiten, mit eigenen Mitteln und Kräften dagegen anzukämpfen, ausgeschöpft sind.

Damit meine ich etwa die Unterstützung durch Freunde, durch Familie oder Aktivitäten, die uns ansonsten im Alltag helfen, negative Befindlichkeiten zu verbessern. Spätestens dann, wenn die Betroffenen das Leben als zunehmend sinnlos erleben oder sich gar lebensmüde Gedanken einstellen, ist es dringend geboten, sich Hilfe zu holen. Es gibt heute viele Therapiemöglichkeiten – ambulant, oder wenn das nicht ausreicht, in Kliniken und auch online, die wissenschaftlich erprobt sind.

Ulrich Voderholzer.

Wie sehr ist die „psychische Gesundheit“ in den vergangenen Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt?

Voderholzer: Ich sehe hier eine positive Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten, die sich sicherlich auch weiterhin fortgesetzt hat. Positiv ist, dass psychische Erkrankungen weniger stigmatisiert sind, als sie es früher waren. Dazu haben auch Prominente beigetragen, die offen über ihre mentalen Probleme gesprochen haben. Auch in den Medien sind solche Krankheiten sicherlich mehr präsent als dies früher der Fall war.

Also hat sich die Akzeptanz insgesamt verbessert.

Voderholzer: Stigmatisierung ist trotzdem immer noch ein Thema. Und dies führt leider immer noch dazu, dass sich viele Betroffene nicht trauen, notwendige Hilfe zu suchen und nicht konstruktiv mit der Erkrankung umgehen. Wenn professionelle Hilfe gar nicht oder erst verzögert in Anspruch genommen wird, hat das negative Wirkungen auf die Erkrankung und deren Dauer. Psychische Krankheiten haben vielfältige Folgen. Die Betroffenen leiden, und dies wirkt sich oft negativ auf Partnerschaft, Familie, Schule oder Beruf aus. Die negativen Folgen verschlimmern dann die psychische Krankheit noch mehr.

Es erweckt dennoch den Eindruck, als könnten Betroffene heuer offener mit ihrer Erkrankung umgehen als in den Jahren zuvor. Teilen Sie diese Auffassung?

Voderholzer: Ja, definitiv. Wobei ich auch hier eher eine längerfristige Entwicklung sehe. Ob es speziell in diesem Jahr anders ist als in den Jahren zuvor, lässt sich natürlich nicht so einfach beurteilen.

Wir wissen, dass sich in diesem, aber auch in den vergangenen Jahren deutlich mehr Menschen um professionelle Hilfe wegen psychischer Beschwerden bemüht haben. Dafür sprechen Daten der Krankenkassen. Dies kann größtenteils nur dadurch erklärt werden, dass es normaler geworden ist, sich wegen einer psychischen Erkrankung um Hilfe zu bemühen als früher.

Mit welchen körperlichen Beschwerden gehen psychische Erkrankungen in der Regel einher?

Voderholzer: Seelische und körperliche Befindlichkeit sind eng miteinander verbunden. Dementsprechend können vielfältige körperliche Beschwerden die Folge sein. Angsterleben geht typischerweise einher mit Engegefühl in der Brust, einem Gefühl der Atemnot, Übelkeit und Magen-Darm-Beschwerden, aber auch vielen anderen Symptomen. Mit Depressionen ist oft eine starke körperliche Erschöpfung und Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Schlafstörungen und anderes verbunden.

Jeder Mensch hat seine individuellen Schwachstellen, die insbesondere dann zum Tragen kommen, wenn länger anhaltender Stress oder akute Belastungssituationen die Bewältigungsmöglichkeiten des Betroffenen übersteigen. Vor allem, wenn die erforderlichen körperlichen Untersuchungen negativ ausgefallen sind, muss auch nach Symptomen psychischer Erkrankungen gefragt werden.

Wie hat sich die Coronapandemie aus Ihrer Sicht auf die psychische Gesundheit Ihrer Patienten ausgewirkt?

Voderholzer: Von der Coronapandemie wissen wir sicher, dass sie sich negativ auf die psychische Gesundheit vieler Menschen ausgewirkt hat. Vor allem die Kontaktbeschränkungen waren sehr belastend. Und besonders gefährdet waren Menschen, bei denen bereits psychische Erkrankungen vorlagen.

Denn Betroffene mit einer seelischen Erkrankung haben oftmals geringere und auch weniger stabile soziale Beziehungen als Menschen, die nicht betroffen sind. Da wirkt es sich noch stärker aus, wenn man weniger Möglichkeiten hat, andere zu treffen.

Am meisten haben ja augenscheinlich Jugendliche und jüngere Menschen gelitten.

Voderholzer: Die Coronapandemie hat bei vielen Jugendlichen psychische Probleme ausgelöst oder vorhandene psychische Probleme verstärkt. Es gibt Daten über die Zahl der Krankenhauseinweisungen aufgrund psychischer Erkrankungen, die sich signifikant erhöht haben. Gerade in der Phase der Entwicklung sucht man nach festem Halt und Orientierung. Der Austausch mit anderen und die gemeinsamen Aktivitäten mit Freunden und in Gruppen sind hier besonders wichtig.

Und die Entwicklung mit Blick auf den Ukrainekrieg?

Voderholzer: Hier wissen wir noch nicht, wie sich dies auf die psychische Gesundheit unserer Patienten auswirkt. Mein Eindruck ist, dass es bisher noch keine erkennbaren Auswirkungen auf die psychische Gesundheit gibt. Möglicherweise auch deshalb, weil die meisten die Konsequenzen des Kriegs noch nicht im Alltag spüren, außer dass so vieles teurer geworden ist. Dennoch: Wegen der Inflation, die ja auch eine Folge des Kriegs ist, wird es für viele finanzielle Probleme geben.

Wir müssen mit einer Einschränkung des Wohlstands rechnen, und das wird Menschen mit psychischen Erkrankungen auch besonders betreffen. Viele sind ja gerade deswegen arbeitsunfähig. Denkbar wäre auch, dass ein hohes Maß an existenziellen Belastungen zu einer Relativierung von psychischem Leiden führen könnte. Psychisches Leiden wird sozusagen durch existenzielle Bedrohungen überschattet.

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