Abschied in den Ruhestand
Priener Pfarrerin Christine Wackerbarth über Klinik-Seelsorge und die Arbeit im Hospiz
24 Jahre hat Christine Wackerbarth als Pfarrerin in der Priener Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde gewirkt. Im Interview erzählt sie, warum ihr Sterbebegleitung im Hospiz viel leichter fiel als die Betreuung psychisch schwer belasteter Menschen.
Prien – Wenige Wochen nach ihrem Ehemann Karl-Friedrich Wackerbarth wurde Christine Wackerbarth in einem feierlichen Gottesdienst durch Dekanin Dagmar Häfner-Becker von ihrem Dienst entpflichtet. 16 Jahre ihrer Amtszeit war Christine Wackerbarth zudem als Seelsorgerin in vier Priener Kliniken, im Bernauer Hospiz sowie in einer Aschauer Gesundheitseinrichtung tätig. Wie sie den Übergang in den Ruhestand erlebt, schildert sie im Interview mit der Chiemgau-Zeitung.
Welche Gefühle haben Sie wenige Tage vor ihrer Entpflichtung aus dem Seelsorgeamt begleitet?
Christine Wackerbarth: Die Gefühle waren zwiespältig: Einerseits habe ich während meines längeren Resturlaubes eine große Vorfreude auf den Ruhestand gespürt, es ging mir richtig gut, ich habe gut geschlafen in dieser Zeit, konnte mir meine Freizeit selbst einteilen, hatte Zeit für meine Familie und für mich. Dann war der Urlaub vorbei: Nach meiner letzten Andacht in der Roseneck-Klinik mit intensiven persönlichen Begegnungen machte sich ein Gedanke breit in mir: Eigentlich kannst Du doch nicht aufhören…
Warum nicht?
Wackerbarth: Weil die besondere, intensive Dichte der Gemeinschaft in einer psychosomatischen Klinik sehr berührend und erfüllend ist.
Was war zudem in all den Jahren das Besondere für Sie in Prien und der Arbeit dort?
Wackerbarth: Unsere evangelische Kirchengemeinde besteht unter anderem auch aus Zugereisten aus der gesamten Republik, die hier in Prien oder Umgebung vor allem in Gesundheitsberufen arbeiten. Viele bringen sich in ihrer Vielfältigkeit ins Gemeindeleben mit ein. Das war schon vor 24 Jahren für meinen Mann und für mich besonders inspirierend (Karl-Friedrich Wackerbarth wurde bereits vor wenigen Wochen entpflichtet und in den Ruhestand verabschiedet. Anm. d. Red.).
So habe ich es auch in der Klinikseelsorge erlebt. Denn auch die Heimatorte der Patienten unserer örtlichen Psychosomatik-Kliniken sind im gesamten Land verteilt. Und so bringen sie ihren Lokalcolorit, ihre Weltanschauungen und ihre religiösen Ansichten mit, wie auch ihre Ängste und psychischen Belastungen.
Aber doch auch belastend? Wie schwierig war es für Sie, kranken oder sterbenden Menschen zur Seite zu stehen?
Wackerbarth: (Nachdenklich) Ich habe in den vergangenen zwei Jahren unter anderem auch das Bernauer Hospiz betreut. Die Sterbebegleitungen dort wie auch allgemein in der Gemeinde habe ich gerne gemacht. Viel belastender war all die Jahre für mich die Betreuung psychosomatisch erkrankter Menschen, wie Menschen mit Essstörungen, Verhaltenszwängen, Depressionen oder auch Missbrauchsopfer. Gerade bei diesen Patienten offenbaren sich schnell sehr viel mehr Baustellen in ihrem Menschenleben, als zu erwarten ist. Da stellt sich auf die Frage: Wo anfangen?
Wie intensiv waren sie denn involviert bei der Betreuung dieser Menschen?
Wackerbarth: Es gab immer wieder Fälle, die mich anfangs stark belastet haben. Im Laufe der Zeit ließ diese Belastung aufgrund meiner Erfahrungen aber deutlich nach, sodass ich damit besser umgehen konnte. Ich fand schneller in meine Rolle hinein, helfen zu können mit der Erkenntnis: Mitfühlen ja, aber nicht mitleiden und in ein seelisches Loch fallen...
Ein extremer Lernprozess.
Wackerbarth: Ja, aber das Spannende war, dass ich in der ersten Zeit meine Klinikseelsorge nacheinander mit einer Massivität von einzelnen Themenbereichen konfrontiert wurde wie Abtreibung, Trauerproblemen, Missbrauch oder Verhaltenszwängen. Das gab mir die Gelegenheit, mich jeweils intensiv mit diesen Herausforderungen auseinanderzusetzen und auch Riten für die Patienten zu entwickeln.
Gab es Rückmeldungen, inwieweit ihre Hilfestellungen gegriffen haben?
Wackerbarth: Durchaus, das war das Schöne an meiner Arbeit und hat mich sehr gestärkt. Zu erleben, dass sie Früchte trägt und von vielen Patienten umgesetzt wird. So sprach mich eine Patientin an, die vor Jahren hier in der Trauma-Station einer Klinik behandelt und jetzt wieder stationär aufgenommen worden war. Sie schwärmte von den Ritualen, die sie von mir damals gelernt hätte und zu Hause regelmäßig praktiziere. Es stellte sich aber heraus, dass ich sie nicht persönlich betreut hatte, sie aber in meinen Klinikgottesdiensten die Verhaltensrituale kennengelernt hatte. Das war für mich sehr überraschend, dass sich auch über diesen Weg dem Betroffenen helfen konnte.
Wie können diese Rituale helfen? Welchen Stellenwert haben sie in der Psychosomatik?
Wackerbarth: Rituale können ganz einfache Gesten sein, die wiederholt werden können. Eine Gestenfolge, die ich sehr gerne weitergebe, sind die drei Schritte der Pilgerschaft. Die Hände aufs Herz gelegt stehen für Demut und Dankbarkeit, dass ich mein Leben von Gott geschenkt bekommen habe. So wie ich das meiste mir im Leben geschenkt wird. Die geballte Faust versinnbildlich das Bemühen, alles festzuhalten, zwingend alles kontrollieren zu wollen. Drehe ich die Hand um und öffne sie, lasse ich los von den Zwängen und bin bereit, Lebensgeschenke entgegennehmen zu können. Aber ich habe auch sehr individuelle Rituale für Patienten entwickelt, die wir auf dem Taufstein in der Kirche oder in der Natur gefeiert haben.
Sie haben sich um die Seelen vieler Menschen gesorgt, viel Leid erfahren, aber auch helfen können. Mit dem Eintritt in den Ruhestand ist das vorbei. Wie schwierig wird es für Sie sein?
Wackerbarth: Ich brauche jetzt erst einmal eine Ruhephase, weil ich das Gefühl habe, dass sie fällig ist. Ich werde Zeit dafür haben, mich um meine Bedürfnisse zu kümmern, die Freiheit zu genießen und mein Tagesablauf selbst bestimmen zu können. Ich freue mich auf Begegnungen mit der Natur, mit der Sonne, aufs Wandern und Kajak fahren.
Wie lange werden Sie das durchhalten?
Wackerbarth: Das wird sicherlich nicht ewig so bleiben. Denn wenn ich eine interessante Thematik sehe, wird es mich sicherlich jucken, dazu zum Beispiel ein Seminar zu entwickeln. Sicherlich werde ich in der neugestalteten Kirche in Breitbrunn Seminare geben. Eine Projektidee treibt mich besonders an, die ich verwirklichen möchte: Zum Thema Schuld und Vergebung hatte ich eine Ausbildung von einem Therapeuten bekommen, der mittlerweile leider verstorben ist. Diese Methodik ist unglaublich wichtig, deshalb möchte ich sie unbedingt weiter bekannt machen.
Interview: Ulrich Nathen-Berger
