An diesen Bergen passiert am meisten
Tote und verschollene Vermisste: Welche Rätsel die alpine Polizei-Spezialeinheit in der Region löst
Tote, Schwerverletzte und Vermisste: In den Bergen der Region spielen sich nicht selten Dramen ab. Meist kommt dann auch die Alpine Einsatzgruppe der Polizei zum Einsatz. In welchen Fällen die Polizisten ermitteln, wie oft die Unfälle nicht gut ausgehen und an welchen Bergen am meisten passiert.
Rosenheim – Manchmal entscheidet ein Schritt über Leben und Tod. Immer wieder kommt es in den Bergen zu Unfällen, bei denen Wanderer in die Tiefe stürzen oder vermisst werden. Wenn das passiert, beginnt die Arbeit von Florian Helminger und Maximilian Thome. Die beiden sind Polizeibergführer beim Alpinen Einsatzzug (AEZ) des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd. Im Gespräch mit dem OVB verraten die Polizisten, in welchen Fällen sie zum Einsatz kommen, an welchen Bergen in der Region am meisten passierten und wie kurios Vermisstensuchen manchmal ablaufen.
In den Bergen passieren manchmal schreckliche Unfälle, die tödlich enden. Warum braucht es da überhaupt noch die Polizei?
Florian Helminger: Wir von der Alpinen Einsatzgruppe der Bayerischen Grenzpolizei beim Polizeipräsidium Oberbayern Süd untersuchen in solchen Fällen immer die Umstände, die zum Tod geführt haben und versuchen, das Passierte möglichst genau zu rekonstruieren. Es gilt festzustellen, zu welchem Zeitpunkt die Person verstorben ist und wie das Unfallgeschehen abgelaufen ist. Da geht es auch darum, dass wir den Angehörigen eine Sicherheit über den Unfallverlauf beziehungsweise den Unfallhergang darstellen können. Oftmals ist es für die Verarbeitung der Todesfälle wichtig zu wissen, was passiert ist – besonders in Fällen, in denen die Person lange nicht gefunden wurde. Wir legen sozusagen den Grundstein für die Verarbeitung.
Wie oft mussten Sie das im vergangenen Jahr machen?
Helminger: In unserem Einsatzgebiet von der Zugspitze bis zum Watzmann verloren 2024 40 Menschen im alpinen Bereich ihr Leben. Darunter fallen neben Abstürzen auch Ski- oder Lawinenunfälle. In 135 Fällen wurde bei verletzten Personen unter anderem aufgrund der Schwere der Verletzungen oder aufgrund möglichen Fremdverschuldens eine polizeiliche Unfallaufnahme durchgeführt. Insgesamt gab es 2024 für den Alpinen Einsatzzug (AEZ) mit den drei Gruppenstandorten Rosenheim (Kiefersfelden), Traunstein (Piding) und Weilheim (Murnau) 338 Einsätze. In der Summe waren es 61 Vermisstensuchen, in elf Fällen konnten die Personen nur noch tot aufgefunden werden.
Wie viel davon ist in den Bergen um Rosenheim passiert?
Helminger: In diesem Gebiet gab es zwei tödliche Unfälle und die polizeiliche Abarbeitung von 15 Fällen mit verletzten Personen. Im Landkreis Rosenheim haben wir tendenziell weniger Einsätze als in anderen Bereichen. Das liegt daran, dass wir an den anderen Standorten zum Beispiel mit der Zugspitze am Standort Mittenwald, dem Watzmann oder dem Hochkalter in unserer Gegend um Piding wesentlich höhere Berge haben. Aufgrund der Bekanntheit dieser Berge sind hier mehr Menschen unterwegs und folglich passieren dort mehr Unfälle.
Haben die Einsätze in den Bergen zugenommen?
Helminger: Rein von den Zahlen her gab es 2023 193 Einsätze mit 37 tödlichen Unfällen und 80 Verletzten. Es ist schon so, dass seit mehreren Jahren eine große Anzahl an Personen in die Berge drängt. Dazu hat man das Gefühl, dass „Bergsport-Events“ wie in Hochseilgärten oder Canyoning, Social Media-Hotspots und die Frequentierung der Kletterhallen zunehmen. Wenn dort etwas passiert, sind wir auch im Einsatz. Die Ursache für das Einsatz- und Unfallgeschehen ist sehr vielfältig. Dabei spielen auch Faktoren, wie zum Beispiel die aktuellen Witterungsverhältnisse, die Tourenplanung, die Ausrüstung und die individuellen Voraussetzungen eine Rolle. Oftmals ist es eine Verkettung unglücklicher Umstände, welche zum Unfallgeschehen führt. Demnach können die jährlichen Einsatzzahlen im Gebirge auch schwanken.
Wo sind Sie sonst noch im Einsatz?
Helminger: Grundsätzlich sind wir zuständig für Einsätze im alpinen Gelände, im unwegsamen Gelände. Unsere Aufgabe ist ähnlich wie bei Verkehrsunfällen oder bei Betriebsunfällen, dass wir die Tatbefundaufnahme machen, versuchen das Unfallgeschehen und dann die Unfallursache zu erforschen, mögliche Verantwortliche festzustellen und gegebenenfalls präventive Schritte einzuleiten. Das Rettungswesen im Alpinen Bereich wird durch die Bergwacht durchgeführt.
Welche Einsätze können das konkret sein?
Helminger: Das Hauptaufgabengebiet ist das klassische Unfallgeschehen im alpinen Bereich. Wenn jemand abgestürzt ist, schauen wir, wie diese Person unterwegs war, hat die Ausrüstung gepasst oder war der Verunfallte zum Beispiel bei einem Klettersteigunfall mit einem verschlissenen Klettersteigset unterwegs. Im Rahmen der Unfallaufnahme prüfen wir auch, ob zum Beispiel der Klettersteig in Ordnung ist, oder aufgrund aktueller Witterungseinflüsse Sicherungen beschädigt, verschlissen oder im schlimmsten Fall sogar mutwillig zerstört wurde. Zudem sind wir bei Sportveranstaltungen eingesetzt, unterstützen bei Hochwasserlagen und arbeiten sehr eng mit dem Lawinenwarndienst zusammen. 2024 haben wir auch einen Hütteneinbrecher festgenommen (lacht). Genauso schauen wir uns bei Kletterunfällen die Verantwortlichkeiten an, ob es beim Sichern einen Fehler gab. Auch bei Kollisionen mit Skiern oder Rodeln überprüfen wir mögliche Schuldfragen.
Landen Ihre Fälle am Ende vor Gericht?
Helminger: Viele Fälle gehen als Ermittlungsbericht weiter an die Staatsanwaltschaft. Darin ist der Sachverhalt geschildert, ein formelles Ermittlungsverfahren wird in vielen Fällen nicht eröffnet. Wir suchen nicht zwingend danach, ob jemand etwas falsch gemacht hat, sondern halten das Passierte objektiv fest. Dies kann aber natürlich bei strafrechtlichen oder zivilrechtlichen Aufarbeitungen verwendet werden. Die Entscheidung, ob ein strafrechtliches Verfahren eingeleitet wird, obliegt der zuständigen Staatsanwaltschaft. Bei Abstürzen handelt es allerdings meist um tragische Unglücke ohne Fremdverschulden.
Wie sieht Ihre Arbeit – zum Beispiel nach Abstürzen – am Berg aus?
Maximilian Thome: Wir sichern vor Ort die Spuren, wo die Person womöglich ausgerutscht und abgestürzt ist. Man schaut letztendlich, was sind die Ursachen, hat sich die Person irgendwo festgehalten, ist eine Veränderung am Bodenmaterial zu erkennen, gibt es Ausbrüche am Fels oder ist etwas im Schnee zu erkennen. Zum Beispiel ist es anhand des Abrutschmusters, der Schuhspuren oder anhand eines ausgerissenen Grasbüschels, möglich, die genaue Stelle des Absturzes zu bestimmen. Wir versuchen alle Spuren, welche auf das Unfallgeschehen schließen lassen, festzustellen.
Ab wann spricht man von einem Absturz?
Thome: Eine genaue Definition gibt es nicht. Für die Einordnung als Absturz ist nicht entscheidend, ob man über mehrere Hundert Meter oder nur wenige Meter hinunterfällt. Das bloße Umknicken wird nicht reichen, es braucht schon eine gewisse Fallstrecke. Wir haben auch Fälle, bei denen die Person nur zwei, drei Meter in ein Bachbett gefallen ist, aber trotzdem schwerst verletzt war. Der Neigungswinkel des Geländes spielt für die Einordnung als Absturz auch keine Rolle, man kann die steile Felswand hinunterfallen, aber genauso auch durch einen offenen Bergwald schwer verunfallen.
Hin und wieder werden Wanderer tagelang gesucht – wie laufen diese Suchen ab?
Helminger: Das kann passieren, wenn der Absturz nicht unmittelbar wahrgenommen wird, sondern wenn jemand in die Berge aufbricht und nicht mehr nach Hause kommt. Da kann ein Absturz dahinterstecken oder auch etwas anderes.
Wie geht es dann weiter?
Helminger: Oft kommt in diesen Fällen abends der Anruf, dass jemand vermisst wird. Zusammen mit der Bergwacht planen wir dann den ersten Aufschlag der Vermisstensuche. Wir als Polizei können dabei zusätzlich zur Absuche den Ermittlungsapparat einfließen lassen, dies können unter anderem Maßnahmen wie Ermittlungen im Umfeld, Zeugenvernehmungen oder Ortungsmaßnahmen sein. In einigen Fällen wird die Vermisstensuche sofort oder zeitnah, je nach Einschätzung der Einsatzleiter, noch größer angelegt. Dabei wird versucht, jede Lücke zu schließen und alle infrage kommenden Bereiche so gut wie möglich abzusuchen. Leider muss man aber auch irgendwann einen Schlussstrich unter eine Suche ziehen. Genauso gibt es Fälle, bei denen der Vermisste nach Stunden gesund auf einen zukommt und erklärt, dass er wegen Müdigkeit langsamer gegangen ist oder länger auf einer Hütte war.
Gibt es eine Zeit, ab der es fast unmöglich ist, jemanden noch lebend zu finden?
Helminger: Das kommt auf die Witterungsverhältnisse und das Gebiet an. Im Winter bei Lawinenabgängen sinkt die Wahrscheinlichkeit sehr schnell. Wir haben vergangenes Jahr auch Personen nach zwei Tagen bei niedrigen Temperaturen in der Nacht unversehrt gefunden. Sowas gibt es auch immer wieder. Genauso wie Vermisstenfälle in unserem Einsatzgebiet, die bis heute noch offen sind.
Kann man so etwas vorbeugen?
Helminger: Das Wichtigste ist, dass der Wanderer irgendjemand mitteilt, wohin er geht, was das Ziel ist und welchen Zeitplan man hat. Wenn sich Angehörige Sorgen machen, dann ist die Polizei natürlich der Ansprechpartner.



