Situation der Tafeln in Prien, Rosenheim und Wasserburg
Streit um Behr-Äußerung: Arme Kinder zu den Tafeln? Ehrenamtliche arbeiten schon jetzt am Limit
Die CSU-Politikerin Andrea Behr sorgte mit ihrer Aussage, Kinder aus Bürgergeld-Familien sollten zur Tafel gehen, für Empörung. Will die Politik die Grundsicherung auf das Ehrenamt abwälzen? Die Tafeln sind ohnehin schon überlastet. So ist die Situation in Prien, Rosenheim und Wasserburg.
Von Michael Bartel
Prien/Rosenheim/Wasserburg – Eine Aussage der Würzburger CSU-Landtagskandidatin Andrea Behr sorgt aktuell für Aufsehen. Bei einer Podiumsdiskussion zur Landtagswahl, veranstaltet von der Würzburger Zeitung Main-Post, ging es um die Grundsicherung und darum, wie viel finanzielle Unterstützung es für Familien geben soll. Ein Zuschauer rief in die Debatte: „Sollen die Kinder nix essen? Dann wird‘s billiger.“ Behr antwortete: „Die können doch zur Tafel gehen. Die sind doch tafelberechtigt.“
Rosenheimer Diakonie kein offizielles Hilfsmittel
Der Tafel Deutschland e.V. bezeichnete diese Aussage auf X (vormals Twitter) als „Unverschämt” und führt weiter aus: „Ehrenamtliche Angebote [sind] für vorübergehende Notsituationen gedacht [und] ersetzen nicht den Staat.”
Unverschämt. Ehrenamtliche Angebote, für vorübergehende Notsituationen gedacht, ersetzen nicht den Staat. Dass sich die Not bei so vielen Menschen verfestigt hat, ist auch Folge der Politik von @cducsubt. Statt etwas zu ändern, wird widerlich abfällig über Betroffene gesprochen👎 https://t.co/3iPvWpdCu3
— Tafel Deutschland e.V. (@Tafel_DE) September 18, 2023
„Ich teile die Empörung über diese Aussage”, so Sebastian Kurz, Geschäftsbereichsleiter bei der Diakonie Rosenheim, welche Tafeln in der Rosenheimer Region betreibt. Es sei unfassbar, wie die Politik die Grundsicherung auf das Ehrenamt abwälzen wolle. Kurz merkt an: „Die Aussage stammt von einer Würzburger Politikerin. In unseren Kommunen haben wir eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit.” Die Politik in der Region wisse sehr wohl, was sie von der Tafel habe. Obwohl keine Gemeinde mehr auf die Tafel verzichten könne, sei sie trotzdem kein offizielles Hilfsmittel. „Sie ist rein ehrenamtlich organisiert und auf Sach- und Geldspenden angewiesen.“
Nachfrage bei den Tafeln verdoppelt
Die Nachfrage nach dem Angebot der Tafeln hat sich laut Kurz seit der Pandemie und der Ukraine-Krise verdoppelt. „Es stabilisiert sich seit letztem Jahr auf einem sehr hohen Maß. In der Stadt Rosenheim haben wir etwa 800 Kunden, von denen 300 bis 350 Kinder sind.” Die Auslastung der Helfer sei auch dementsprechend groß und es gebe weniger Lebensmittel zu verteilen.
Besonders Senioren und Alleinerziehende von Inflation betroffen
Diesen Trend kann Elke Haas der Caritas und Leiterin der Chiemseer Tafel in Prien bestätigen. Sie hat die Stelle im März übernommen und sieht seitdem vor allem die gestiegenen Kosten als Treiber bei den Zahlen der Tafelkunden: „Immer mehr Leute kommen zu uns, die erzählen: ‘Bisher habe ich es alleine geschafft, aber jetzt brauche ich Hilfe. Das Geld reicht nicht mehr.’” Dies sei besonders bei Senioren und Alleinerziehenden der Fall.
Lange Warteliste bei der Ausgabe am Chiemsee
Zusätzlich seien die Spenden zurückgegangen, so Haas. Durch die Begrenzung an Lebensmitteln und Personal ist die Kapazität der Tafel ausgereizt. Aktuell gibt es eine Warteliste bei der Ausgabe von rund 50 Haushalten und Einzelpersonen. Das ist auch für die Helfenden frustrierend. „Kaum haben wir die Warteliste gelehrt, ist sie wieder voll. Es ist ein Kampf gegen die Windmühlen”, berichtet Haas. Die besonders betroffenen Gruppen der Senioren und Alleinerziehenden werden wegen der langen Warteliste bei der Chiemseer Tafel priorisiert als neue Kunden aufgenommen. Trotz der Hürden ist es für Haas „schön, hier mitwirken zu dürfen”.
Ukraine-Flüchtlinge größte Gruppe bei der Ausgabe
Die Tafel in Prien mit der Außenstelle Endorf bedient laut Haas etwa 500 Personen, von denen rund 180 Kinder sind. Vor ihrer Stelle bei der Chiemseer Tafel war Haas in der Flüchtlingsberatung tätig. In ihrer jetzigen Position spielt das Thema weiterhin eine tragende Rolle. „Ukrainer sind die größte Gruppe innerhalb der Kunden”, erklärt Haas. „In Prien gibt es eine Nachmittags-Ausgabe, zu der hauptsächlich Flüchtlinge kommen.”
Ehrenamtliche Helfer werden unzufrieden
In Wasserburg hat sich die Zahl seit Anfang 2022 laut Tafel Leitung Andreas Geiger fast verdreifacht: „Wir haben mittlerweile 180 bis 200 Abholer, bei denen ebenfalls noch Familien dahinter stehen.” Geiger sieht die Aussage der CSU-Politikerin Andrea Behr ebenfalls kritisch und „über der Grenze”. „Behr schustert uns die Rolle der Grundsicherung zu”, so Geiger. Die Unzufriedenheit bei den ehrenamtlichen Helfern wird auch größer. „Wir helfen, weil wir helfen wollen”, erklärt die Tafelleitung, aber bei einem Durchschnittsalter von 67 Jahren bei den Helfern sei die Belastungsgrenze erreicht.
