Ein Jahr Schule, Sushi und süßer Senf
„Milchreis war ein Schock“: Wie ein Japaner in Bad Aibling zum echten Oberbayer wurde
Ryosei Wada hat sein Leben im weit entfernten Japan für eine intensive Zeit in Oberbayern eingetauscht. Trotz einiger Kulturschocks hat sich der junge Mann an manch besondere Bräuche gewöhnt. Wie er nach Bad Aibling kam und ob frittierte Sprossen zum Weißwurstfrühstück passen.
Bad Aibling – Nein, Ryosei Wada ist nicht gerade ein typisch deutscher Name. Schon gar kein bayerischer. Doch der 16-Jährige, der vor einem Jahr aus Japan in die Kurstadt kam, hat sich mittlerweile so an das Leben und die Eigenheiten in der Region angepasst, dass er fast als echter Oberbayer durchgehen könnte. Fast. Denn an wirklich alles konnte sich der junge Mann bisher dann doch noch nicht gewöhnen.
Doch was verschlägt einen Jugendlichen aus Japan überhaupt nach Oberbayern? Grundsätzlich, erklärt Ryosei Wada, habe man im Ausland ein Bild von Deutschland, dass exakt dem Bild von Bayern entspreche. Dass Tracht, Biergarten und Oktoberfest nicht für die ganze Bundesrepublik stehen, sei in seiner Heimat nicht wirklich bekannt. Seit einem Jahr lebt Wada nun schon in Bad Aibling bei den Herolds, seiner Gastfamilie aus Harthausen. Vermittelt wurde das Austauschjahr durch die gemeinnützige Jugendaustauschorganisation „Deutsches Youth For Understanding Komitee e.V.“ (YFU).
„Das schmeckt schon gut, aber. . .“
Seine Gasteltern, Lilian und Andreas Herold, hatten bereits vor ein paar Jahren Kontakt zu der Organisation. Damals unternahm einer ihrer drei Kinder einen Austausch im US-Bundesstaat Michigan. Nun wollten die Herolds einem jungen Menschen selbst die Möglichkeit bieten, Deutschland kennenzulernen. Und Sohn Thorben hatte sich schon immer für die asiatische Kultur interessiert. Und so entstand der Kontakt zu Ryosei Wada, der in den vergangenen Monaten Deutschland und vor allem Bayern intensiv kennengelernt hat. Dabei hat er auch große kulturelle Gegensätze wahrgenommen.
Denn da wären etwa die kulinarischen Unterschiede. Mit der japanischen und der deutsch-bayerischen Küche prallen Welten aufeinander. „Milchreis war ein Schock“, sagt Ryosei Wada in auffallend gutem Deutsch. Und mit der Süßspeise ist der 16-Jährige bis heute nicht ganz warm geworden. „Das schmeckt schon gut, aber es füllt ganz anders als normaler Reis“, schmunzelt Wada. Ansonsten hat er jedoch großen Gefallen an den typischen Speisen, vor allem an der vielen Wurst, gefunden. „Am liebsten mag ich Weißwurstfrühstück und ich liebe Brezen.“
Große Unterschiede im Schulalltag
Die volle Ladung bayerische Kultur, etwa Volksfeste, Biergärten oder ein Besuch des Schlosses Neuschwanstein, kann der Japaner mittlerweile auf seiner To-do-Liste abhaken. „Mich fasziniert hier die Architektur mit vielen traditionellen Häusern“, sagt der Japaner. In seiner Heimat werde eher auf „moderne, langweiligere“ Bauweisen gesetzt.
Große Unterschiede auch im Schulalltag. Wada besucht derzeit die 10. Klasse am Aiblinger Gymnasium, wo er von Mitschülern und Lehrern – trotz anfänglichen „Dialekt-Problemen“ – herzlich aufgenommen und integriert wurde. „Ich war aber überrascht, wie kurz der Unterricht hier ist.“ Während es hier am Mittag schon häufig nach Hause geht, sitzen die Schüler in Japan bis 18 Uhr im Klassenzimmer. Ohnehin herrsche dort ein sehr starker Leistungsdruck – mehr Hausaufgaben, mehr Disziplin, kein Taschenrechner.
An diesen „Luxus“ in Deutschland hat sich Ryosei Wada inzwischen gewöhnt. Zu seiner Gastfamilie hat er ein inniges Verhältnis, verbringt zum Beispiel mit Gastbruder Thorben viel Zeit beim gemeinsamen Anschauen von Anime-Filmen. Und auch kulinarisch will er seinen Aiblinger Vertrauten möglichst viel zurückgeben. „Wir haben zusammen Sushi gemacht oder auch Tempura (beispielsweise Schrimps oder Gemüse und Sprossen in frittierten Teigtaschen).“ Vermischt wurde das selbstverständlich nicht mit der bayerischen Küche, schon gar nicht mit dem Weißwurstfrühstück.
Das Problem mit dem „R“
„Wir wussten davor gar nichts über die asiatische Kultur“, sagt Gastmutter Lilian Herold. Deshalb sei die Anschaffung eines Reiskochers im Vorfeld „die beste Entscheidung“ gewesen. Vater Andreas hat von Ryosei Wada japanisches Schach gelernt, „ich warte jedoch noch auf meinen ersten Sieg“, schmunzelt der Aiblinger. Und auch sprachlich hat sich die Familie gut mit dem Gast aus Asien arrangiert. Wada lernte im Vorfeld schon fleißig durch Onlinekurse Deutsch. Dann behalf man sich zunächst mit Händen und Füßen sowie Englisch. Seit August 2022 ist er nun in der Kurstadt, „ab November haben wir aufgehört englisch zu sprechen“, erinnert sich Lilian Herold. Dies hat auch Wada als hilfreich empfunden, wenngleich das „R“ und die „Artikel-Plage“ im Deutschen große Herausforderungen waren.
Nun neigt sich die Zeit in Deutschland dem Ende entgegen und die Familie Herold blickt genau wie Wada wehmütig auf die gemeinsame Zeit zurück. „Ich fühle mich gar nicht mehr wie ein Austauschschüler“, sagt der japanische Wahl-Oberbayer der in einem Jahr nur einmal mit seiner japanischen Familie telefoniert hatte. „Das war eine ganz bewusste Entscheidung, damit ich mich voll und ganz auf Sprache und Kultur hier einlassen kann.“ Was bleibt ist eine innige Verbindung zwischen Wada und den Herolds. Und klar ist: Sie wollen sich in Zukunft besuchen, sowohl in Japan als auch in Bad Aibling.
Was ist YFU?
Youth For Understanding (YFU) ist eine gemeinnützige Austauschorganisation und bietet seit über 65 Jahren Schüleraustausch weltweit an. YFU sucht auch in der Region aktuell weitere interessierte Familien ab August 2023. Weitere Infos unter www.yfu.de/gastfamilien, Kontakt: gastfamilien@yfu.de.

