2690-Kilometer-Fußmarsch des Aschauers
„Manchmal steht mir das Wasser in den Augen“: So geht‘s Max Baudrexl kurz vor dem Ziel am Nordkap
Am 31. Mai ging‘s für Max Baudrexl los: Fast 2690 Kilometer ist der Aschauer seitdem gewandert – der Länge nach durch ganz Norwegen. Grund für seinen Mammut-Fußmarsch zum Nordkap ist ein Schicksalsschlag.
Aschau im Chiemgau – Als wir Max Baudrexl am Telefon erreichen, ist er seit 111 Tagen in Norwegen unterwegs, zu Fuß. Der 41-jährige Filmemacher und Fotograf, der mit seiner Frau in Aschau im Chiemgau lebt, ist am 31. Mai losgelaufen. Startpunkt: der südlichste Punkt Norwegens. In wenigen Tagen kommt er an seinem Ziel an, dem Nordkap. Dann ist er 2690 Kilometer gelaufen, einmal durch Norwegen – der Länge nach. Norge på langs heißt das auf Norwegisch. Ein Grund für diese Reise ist ein Unglück, bei dem seine Frau fast gestorben wäre.
Vier Monate zu Fuß durch Norwegen – wie sind Sie auf den Trip gekommen?
Max Baudrexl: Norwegen kenne ich schon aus früheren Urlauben. Aber der Impuls für diese Wanderung war der traurige Unfall meiner Frau Nicole. Sie ist Krankenschwester und Bergführerin und fliegt wie ich auch gerne Gleitschirm. Letztes Jahr im Frühling kollidierte sie mit einem anderen Gleitschirmflieger. Sie stürzte 70 Meter ab, wurde schwer verletzt. Das war ein Schock.
Wie ging es Ihnen damit?
Baudrexl: Das hat mir vor Augen geführt, dass es an diesem Tag vorbei sein hätte können für sie. Als sie in der Reha war, habe ich gemerkt, dass ich mal raus muss. Ich bin elf Tage durch Norwegen gewandert, soziale Medien habe ich vom Handy gelöscht. Das hat mir total gutgetan. Am Ende der Reise habe ich von Norge på langs gelesen. Ich habe Gänsehaut bekommen und beschlossen, das zu machen.
Wie ist das – ganz ohne Facebook, Twitter oder Instagram?
Baudrexl: Ich hatte das Bedürfnis, nicht erreichbar zu sein. Ich merke das auch, wenn ich daheim in den Bergen bin: Da ist man eins mit der Natur, und plötzlich wird man von einer unwichtigen Nachricht gestört. Deshalb habe ich auch mit Nicole ausgemacht, nur eine Nachricht am Abend zu schreiben. Sie hat das zum Glück absolut verstanden.
Spenden für Familien
Mit seiner Tour möchte der Aschauer Familien in Not unterstützen. Auf seiner Homepage www.maxbaudrexl.com können sich Firmen oder Privatpersonen auf einen Spendenbetrag pro Kilometer festlegen. Der Erlös geht dann an die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München. Bislang sind schon fast 12 000 Euro zusammengekommen.
Waren Sie damals in einer Lebenskrise?
Baudrexl: Ich hatte lange das Gefühl, ich lebe am Leben vorbei. Job, Wochenende, Job, Wochenende. Mein Schritt in die Selbstständigkeit vor einigen Jahren hat vieles in die richtige Richtung gelenkt. Und trotzdem war immer noch dieses Gefühl da, da muss doch noch mehr sein. Dann Nicoles Unfall. Am gleichen Tag bekam ich die Nachricht, dass eine Bekannte aus dem Gleitschirmverein tödlich verunglückt ist. Die Nachrichten waren extrem hart. Und ein Wachmacher, dass das Leben nicht immer gewinnt. Es kann morgen vorbei sein, und dann will ich meinem Herzen gefolgt sein.
Das Herz führte Sie in die Natur. Was waren die Höhepunkte der Reise?
Baudrexl: Am Anfang hatte ich schönstes Wetter und die besten Zeltplätze, die man sich vorstellen kann. Die Einsamkeit ist überwältigend. Dann das erste Rentier! Die ersten Nordlichter! Gerade ist es unfassbar schön, in den Herbst zu laufen. Alles wird gelb und rot. Das werde ich nie vergessen.
Was haben Sie denn auf der Tour gegessen?
Baudrexl: In Südnorwegen kann man alle paar Tage einkaufen. Ab Trondheim kommt man über hunderte Kilometer an keinem Supermarkt vorbei. Deshalb habe ich mir Pakete geschickt zu meinen Zielen. Klopapier, Essen, Schokolade. Grundnahrung ist Trekkingkost, das ist leicht und wird nur mit heißem Wasser übergossen, das spart auch Gas. Tagsüber habe ich vor allem Snacks und Schokolade gegessen. Einmal bin ich 57 Kilometer zu einem Supermarkt getrampt und habe kiloweise Schokolade gekauft.
Ist es nicht langweilig, so viel alleine zu sein?
Baudrexl: Überhaupt nicht. Ich wander einfach vor mich hin. Ich höre keine Podcasts, keine Hörspiele. Ich bin frei von Druck, keiner will was von mir. So schön es im Chiemgau ist, hier ist es noch wilder, unberührter. Gewaltig. Manchmal steht mir echt das Wasser in den Augen.
Wollten Sie auch mal hinschmeißen?
Baudrexl: Oh ja. Ungefähr nach einem Drittel der Strecke. Ich hatte Schmerzen im Bein, dazu kam eine gigantische Mückenplage. Ich wurde im Sekundentakt gestochen. Dann Dauerregen, Sumpflandschaft, alles war nass, kalt. Dann tat mein zweites Bein auch noch weh. Ich habe Nicole eine Nachricht geschickt, dass ich abbrechen werde.
Warum blieben Sie doch?
Baudrexl: Ich habe mir spontan ein kleines Hotel gesucht, da habe ich mal wieder richtig geschlafen, gefrühstückt. Als die Mückenstiche abgeschwollen waren und die Sachen wieder trocken, habe ich gemerkt, dass meine Füße das einzige Problem sind. Der Rest war nicht so schlimm. Aber von da an ging es bergauf, auch, weil ich mir den Abbruch gestattet hätte. Das habe ich vorher nicht.
Haben Sie sich auch mal einsam gefühlt?
Baudrexl: Ich habe beim Wandern immer wieder Menschen getroffen, der Austausch über Probleme hilft total. Aber ich wollte schon allein sein. Es gab Momente, in denen die Einsamkeit schmerzhaft war. Meine Mutter ist schwer dement, lebt seit Jahren in einem Heim im Ruhrgebiet. Einmal lag ich im Zelt, das Thema kam hoch und ich habe mich so alleine gefühlt. Aber es ging dann auch wieder.
„Freue mich auf bayerisches Essen, richtig deftig und viel zu viel“
Sie wollten sich auf das Wichtige im Leben konzentrieren. Was ist das?
Baudrexl: Dass wir das Leben als Geschenk begreifen und nicht als unsere Pflicht. Die meisten haben den Alltag voll von Dingen, die sie machen müssen. Das Leben als Geschenk zu verstehen macht es viel leichter, Möglichkeiten zu sehen anstatt Pflichten.
Freuen Sie sich aufs Heimkommen?
Baudrexl: Ja, schon. Jetzt hat es langsam Minusgrade, das Zelt war schon ein paar Mal gefroren. Meine größte Angst war, auf den letzten Metern krank zu werden. Ich hatte mal ein bisschen Kratzen im Hals, aber ansonsten reißt sich mein Körper echt zusammen. Ich freue mich so auf meine Frau, auf ein bayerisches Essen, richtig deftig und viel zu viel. Und ich habe total Lust auf etwas Gesundes, einen knackigen Salat.
Interview: Carina Zimniok


