Die Lage im Mangfalltal
„Es wird noch schlimmer“: Ohne bezahlbaren Wohnraum steigt Zahl der Obdachlosen
Die Lage ist angespannt. Es gibt es keinen bezahlbaren Wohnraum. Die Zahl der Eigenbedarfskündigungen und Zwangsräumungen steigt. Obdachlosenunterkünfte werden dringend gebraucht. Wie sieht es im Mangfalltal aus?
Mangfalltal – Der Druck steigt. Bezahlbarer Wohnraum für Menschen mit geringem oder durchschnittlichem Einkommen ist kaum mehr vorhanden. Darunter leiden vor allem Familien mit Kindern, Alleinerziehende und Rentner. Wie das Bundesjustizministerium jetzt informierte, gab es im Freistaat Bayern im vergangenen Jahr 20 Prozent mehr Zwangsräumungen als 2020 – insgesamt 3432. Bei den angespannten Wohnungsmärkten bedeutet das nicht selten Wohnungslosigkeit. Doch wie sind die Kommunen im Mangfalltal darauf vorbereitet? Gibt es ausreichend bezahlbaren Wohnraum? Und wie viel Platz ist für obdachlose Menschen vorhanden? Die OVB-Heimatzeitungen haben nachgefragt.
Vier Millionen Euro in Unterkünfte investiert
Der Markt Bruckmühl hat vorgesorgt und circa vier Millionen Euro in einen Neubau am Rübezahlweg investiert. Hier entstanden neben bezahlbarem Wohnraum für Bruckmühler Familien auch neun Ein-Raum-Wohnungen mit je 25 Quadratmetern für wohnungslose Menschen. Nach dem verheerenden Brand am Fabrikweg in Heufeldmühle konnten die Familien dort vorübergehend ein Dach über dem Kopf finden. „Das war das erste Mal, dass Menschen über Nacht wirklich alles verloren hatten“, erinnert sich Elfriede Bengl-Kimmel, Fachbereichsleiterin für Ordnung und Sicherheit beim Markt Bruckmühl.
Allgemein sei die Situation von plötzlich Obdachlosen sehr unterschiedlich, beschreibt Bengl-Kimmel: „Wir hatten in diesem Jahr vier Zwangsräumungen. Die Betroffenen müssen ihre Einrichtung dann vorübergehend irgendwo unterstellen. Zu unseren Obdachlosen zählen aber auch Menschen, die schon jahrelang in einem Zimmer bei Freunden gelebt haben und plötzlich raus müssen.“
14 Menschen wohnen in Obdachlosenunterkünften
Auf der Straße hausen muss in Bruckmühl niemand. 14 Menschen sind im Moment in den Obdachlosenunterkünften der Marktgemeinde untergebracht „Wir haben in der Gottlob-Weiler-Straße eine Unterkunft und am Rübezahlweg neun Apartments mit je zwei Plätzen, die im Notfall aufgestockt werden können“, erläutert Bengl-Kimmel.
Die Gründe für die Obdachlosigkeit seien unterschiedlich. Auch Krankheit gehöre dazu. Eine sechsköpfige Familie beispielsweise sei betroffen, weil der Familienvater als Alleinverdiener krank wurde und sein Einkommen längere Zeit ausfiel. Aber auch alleinerziehende Mütter oder Väter gehörten dazu. „Sie finden keine Wohnungen in der entsprechenden Größe oder können die Mietpreise nicht bezahlen“, beschreibt sie das Dilemma. Hinzu komme, dass Vermieter Familien mit sicheren Einkommen Alleinerziehenden vorzögen. „Das ist ein großes Problem. Und ich fürchte, dass es noch schlimmer wird.“
Der Markt Bruckmühl hat 72 gemeindliche Wohnungen. „Keine einzige ist frei, und die Warteliste lang“, betont Markus Zehetmaier, Fachbereichsleiter Immobilienwirtschaft.
Unter Obdachlosen sind auch Arbeitende
Ähnlich ist die Situation in der Stadt Kolbermoor. „In unseren Unterkünften wohnen im Moment 20 Menschen, darunter auch alleinerziehende Mütter mit Kindern, darunter auch Menschen, die Arbeit haben“, macht Ordnungsamtschef Thomas Rothmayer die Bandbreite der Betroffenen deutlich.
Dabei dürfe nicht übersehen werden, dass als „obdachlos“ wirklich erst Derjenige zähle, der nirgendwo sonst – auch nicht bei Familie oder Freunden – ein Dach über dem Kopf finde. Die Dunkelziffer der Betroffenen könnte also höher sein. Die Situation ist auch in Kolbermoor angespannt: Keine der 345 städtischen Wohnungen ist frei. Auf der Warteliste stehen 450 Familien.
Tuntenhausen mietet Ferienwohnungen an
Die Gemeinde Tuntenhausen hat keine eigenen Wohnungen. Im Neubauprojekt „Ostermünchener Mitte“ soll bezahlbarer Wohnraum entstehen, frühestens aber 2026. Auch über Obdachlosenunterkünfte verfügt die Gemeinde nicht. „Im Notfall mieten wir Ferienwohnungen an“, erklärt Sabine Meindl von der Verwaltung. Die Tuntenhausener arbeiten eng mit der Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit im Landkreis Rosenheim zusammen. „Hier werden die Betroffenen umfassend beraten. Dort hilft man ihnen auch bei der Wohnungssuche“, erklärt Meindl.
Familien mit Kindern und Alleinerziehende besonders stark betroffen
Doch wo suchen, wenn nichts zu finden ist? „Der Druck auf den Wohnungsmarkt steigt immens“, bestätigt Sozialpädagogin Lilo Lüling, die Bereichsleiterin der Fachstelle in Rosenheim. „Familien und Alleinerziehende mit geringen bis durchschnittlichen Einkommen haben große Probleme, im Ballungsraum München, wozu auch der Landkreis Rosenheim gehört, etwas zu finden. Der Markt ist dicht.“ In Richtung Chiemgau käme des Phänomen des Zweitwohnsitzes hinzu. Die Fachstelle beobachte, dass die Zahl der Kündigungen wegen Eigenbedarfs und die der Zwangsräumungen steige.
Bezahlbare Wohnungen gibt es fast nur noch bei den Kommunen. Deshalb sind auch die Wartelisten lang. Der Feldkirchen-Westerhamer Gemeinderat hat Kaltmietpreise von 7,50 Euro pro Quadratmeter für die gemeindlichen Wohnungen festgelegt. 63 gibt es. Alle sind belegt. 50 Familien stehen auf der Warteliste.
Gemeinde spüren die angespannte Lage
„Wir spüren, dass es momentan keine bezahlbaren Wohnungen mehr gibt“, sagt Karoline Peidli von der Gemeindeverwaltung. Zwei Wohncontainer und sechs Zimmer stehen in der Gemeinde für obdachlose Menschen bereit. „Erst gestern haben wir einen verzweifelten Mann untergebracht. Auch alleinerziehende Mütter und Familien gehören zu den Betroffenen“, so Peidli. Manche von ihnen hätten sogar Arbeit. Andere mit einem ausländischen Familiennamen kaum eine Chance auf Wohnraum.
Auch geduldete Asylbewerber suchen Wohnungen
Sechs Menschen ohne Obdach werden in Bad Aibling gegenwärtig betreut. Ihnen stehen bei Bedarf zwei Sozialarbeiterinnen zur Seite. Unterkünfte werden im ehemaligen „Schützenwirt“, einem Wohncontainer und zwei weiteren Häusern vorgehalten. „Bei uns sind es vor allem Menschen, die nach einer Suchttherapie in unserer Region nicht in ihr altes Umfeld zurückkehren und hier einen Neustart wagen wollen“, erklärt Ordnungsamts-Chef Martin Haas. Aber auch Asylsuchende gehörten dazu, die die Asylunterkunft verlassen müssen, sobald sie eine Duldung erhalten haben.
Es gibt auch noch soziale Vermieter
Die Gemeinde Bad Feilnbach hat eigentlich kein Problem mit Obdachlosigkeit. „Gestern aber war sie ganz nah“, sagt Bürgermeister Anton Wallner. Eine ukrainische Flüchtlingsfamilie musste ihre private Unterkunft verlassen. „Wir haben sie vorübergehend in einer Ferienwohnung unterbringen können. Zum Glück gibt es im Winter freie Kapazitäten.“ Wallner ist dankbar , dass er in seiner Gemeinde Vermieter weiß, die sozial mit ihren langjährigen Mietern umgehen und ihnen das Wohnen zu verträglichen Preisen ermöglichen.
Fachstelle beriet im vergangen Jahr 110 Menschen aus dem Mangfalltal
• Die Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit im Landkreis Rosenheim erarbeitet mit den Ratsuchenden Lösungsmöglichkeiten. Die meisten Menschen, die in Kontakt mit der Fachstelle kommen, laufen Gefahr, wegen Mietschulden ihre Wohnung zu verlieren. Je nach individueller Lage werden ihnen verschiedene Hilfen angeboten. Vorrangiges Ziel ist der Erhalt des Wohnraums.
• Im vergangenen Jahr wurden Menschen in 307 Wohnungsnotfälle beraten und betreut. Darunter waren 185 Einzelpersonen, 51 Familien, 38 Alleinerziehende, 32 Paare und eine Wohngemeinschaft. Das geht aus dem Jahresbericht für 2021 hervor.
• Insgesamt wandten sich 427 Menschen an die Fachstelle, die von Obdachlosigkeit betroffen oder bedroht waren.
• Ursachen dafür waren unter anderem Kündigungen (68), Räumungsklagen (94) und Zwangsräumungstermine (45). 85 Menschen waren bereits wohnungslos, darunter auch acht alleinerziehende Mütter (7) oder Väter (1) mit ihren Kindern.
• Ursachen für die 68 Kündigungen war in 21 Fällen Eigenbedarf der Besitzer. Aber auch Mietschulden (15 Fälle) oder untragbares Mietverhalten (3) führten zu Kündigungen.
• Von den 94 Räumungsklagen wurde die Fachstelle vom Amtsgericht oder den Betroffenen selbst informiert. 70 Betroffenen konnte im Jahr 2021 geholfen werden. In 65 Prozent der Fälle wurde ein positiver Ausgang erreicht, das heißt: Es gab eine Einigung mit dem Vermieter, die Mietschulden wurden gezahlt oder der Umzug in eine andere Wohnung war möglich.
• Bei den 45 anstehenden Zwangsräumungsterminen ist es durch die Berater gelungen, 38 Fälle zu lösen. Dabei wurde eine Einigung mit den Vermietern erzielt (8 Prozent) oder es war ein Umzug möglich (37 Prozent).
44 Kolbermoorer suchten Hilfe
Von den betreuten Wohnungsnotfällen im Jahr 2021 betrafen 24 die Stadt Bad Aibling, 44 die Stadt Kolbermoor, 15 die Marktgemeinde Bruckmühl, acht die Gemeinde Tuntenhausen, neun die Gemeinde Feldkirchen-Westerham und zehn die Gemeinde Bad Feilnbach.
• Im Jahr 2021 konnten die Mitarbeiter der Fachstelle insgesamt 135 Fälle abschließen – 105 davon positiv. Das bedeutet, dass der Wohnraum erhalten werden konnte oder ein Umzug in eine andere Wohnung stattfand oder die Betroffenen vorübergehend bei Angehörigen oder Bekannten unterkamen oder eine Vermittlung in eine Einrichtung (Sozialtherapeutische Einrichtung, Suchttherapie, Seniorenheim) erfolgte. Die anderen Betroffenen (30) wurden von ihrer Gemeinde untergebracht oder in die Wohnungslosenhilfe Rosenheim, eine Ferienwohnung oder eine Pension vermittelt.
Beraten wurden im Jahr 2021 insgesamt 307 Bedarfsgemeinschaften, die selbstständig erwerbstätig waren (7) von Minijobs (70), Arbeitslosengeld (10), Hartz IV (80), Grundsicherung im Alter (15), Rente oder Erwerbsminderungsrente (40) oder von Krankengeld beziehungsweise ihren Ersparnissen (51) lebten.




