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Seltene Erkrankung

Kinder mit Syngap1-Syndrom: Nicht nur für sie ist der Chiemsee eine Oase der Ruhe

Der neunjährige Jamie hat den Gendefekt Syngap1. Am Wasser findet der Bub wie auch viele andere Kinder mit dem Syndrom Ruhe.
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Der neunjährige Jamie hat den Gendefekt Syngap1. Am Wasser findet der Bub wie auch viele andere Kinder mit dem Syndrom Ruhe.

Syngap1 kann vielerlei sein: ein Gen oder eben ein Defekt an ebendiesem Teil der Erbinformation. Kinder, welche mit dem gleichnamigen Syndrom zur Welt kommen, lernen langsamer und bekommen immer wieder epileptische Anfälle. Am Chiemsee finden viele dieser Kinder eine Oase der Ruhe. Das hat seinen Grund.

Gstadt – Lukas und Jamie fahren gerne im Auto mit, und auch am Wasser fühlen sich die beiden Buben pudelwohl. Im Gegensatz zu anderen Situationen. Vor allem immer dann, wenn sich eine Situation ändert. Dann können beide auch sehr bockig werden, schreien, beißen oder kratzen.

Lukas und Jamie sind an Syngap1-Syndrom – kurz Syngap1 – erkrankt. Sie haben einen Defekt am gleichnamigen Gen ihres Erbgutes. Dadurch kann ihr Körper gewisse Eiweiße nicht korrekt bilden. Die braucht er aber, damit seine Nervenzellen so funktionieren, wie das bei anderen Menschen der Fall ist.

„Roadtrip durch Deutschland“

Lukas und Jamies Krankheit tritt selten auf. Nur rund 1100 Fälle sind weltweit diagnostiziert, in Deutschland kennt Verena Schmeder derzeit 92 Familien mit Kindern, die das Syngap1-Syndrom haben. Schmeder ist Vorsitzende des Vereins „Syngap Elternhilfe“. Und sie ist mit ihrem Sohn Jamie gerne am Ufer des Chiemsees.

Erst jüngst waren sie, Jamie und seine Großmutter, genannt „Omimi“ in Gstadt zu Gast. Eine Station ihres „Roadtrips“ durch Deutschland, wie Schmeder sagt. Denn im Chiemgau hat sie ein tragbares EEG-Gerät von ihrem Vertreter im Vereinsvorstand, Marcos Mengual, übernommen.

Regelmäßiger Austausch am Chiemsee

Zum Chiemsee fährt die 40-Jährige aber auch regelmäßig, um sich mit anderen über Syngap1 auszutauschen: Mit Vereinskollegen genauso wie mit Medizinern und sonstigen Forschern, mit denen sie in Kontakt steht. Auch, um die Krankheit besser zu verstehen und im Idealfall irgendwann eine Therapie zu finden. Denn eine Möglichkeit zur Behandlung gibt es derzeit noch keine.

Betroffene Mädchen und Buben sind in ihrer Entwicklung gehemmt, brauchen etwa länger, bis sie laufen lernen. Viele erleiden regelmäßig Krampfanfälle – manchmal schwerer, manchmal leichter. Aber sie haben noch eine andere Besonderheit: Syngap-Kinder lieben das Wasser.

Eine Stunde für neue Kraft

Und wenn sie ihre Leidenschaft ausleben dürfen, sind diese Buben und Mädchen für ihre Umwelt oft eine helle Freude. „Ihr Lachen ist ansteckend“, ist auf der Internetseite eines internationalen Elternnetzwerkes zu lesen, dessen Mitglieder sich mit der Erkrankung beschäftigen. Das können auch Schmeder und Menguel bestätigen: „Die Kinder haben gewisse Vorlieben, Dinge, für welche sie sich begeistern“, sagt Schmeder.

Sie könnten sich vor einem Springbrunnen im Dorf begegnen und begännen dort erfreut über das Schauspiel gemeinsam fröhlich in die Hände zu klatschen. Diese Vorliebe für Wasser habe auch einen therapeutischen Effekt für viele Kinder – sie würden ruhiger. Und für die Krefelderin Verena Schmeder reicht schon eine Stunde am Chiemseeufer, um neue Kraft tanken zu können.

Mehr Verständnis in der Gesellschaft

Denn auch wenn es viele Glücksmomente mit Syngap-Kindern gebe, sei die Erkrankung für viele Eltern sehr belastend, sagt Vereinsvize Marcos Mengual. „Es gibt Fälle, bei denen Familien ziemlich hart kämpfen müssen“, schildert er. Denn der Umgang mit den Buben und Mädchen sei nicht immer einfach. Vor allem kleine Fortschritte in der Entwicklung ihrer Kinder hätten für Mütter und Väter einen hohen Stellenwert.

Und auch gesellschaftlich eckten die Syngap-Kinder durch ihre mitunter autistischen Verhaltensweisen immer mal wieder an. Hier brauche es mehr Verständnis, wenn ein Bub zum Beispiel schnurstracks an eine Warteschlange vorbeizieht. Weil sich ihm schlichtweg nicht erschließt, warum die Leute in einer Reihe stehen und warten.

Und es gibt noch ein weiteres Problem: Die Diagnose von Syngap1 gleicht mitunter einem Marathonlauf. Oft würden die Symptome des Syndroms anders gedeutet, anderen Entwicklungsstörungen zugeordnet. Und bislang sei es mitunter schwer gewesen, die Krankenkassen zu bewegen, jene Genomanalyse – eine Exom-Sequenzierung – zu bezahlen, welche notwendig ist, um Syngap1 zu erkennen. Für betroffene Kinder gebe es dann mitunter auch die falschen Medikamente, um zumindest einiger der Symptome, darunter die Epilepsie, zu lindern.

Spezialisten in Vogtareuth

Das habe sich zwischen geändert, sagt Verena Schmeder. Und dennoch müsse das Bewusstsein für die Krankheit größer werden. In der Gesellschaft wie auch in der Ärzteschaft. „Wichtig wäre uns, dass vor allem Kinderärzte alle verstehen, wie total wichtig eine Gendiagnostik ist, um die richtige Ursache manche Symptome zu finden“, betont sie.

Der Chiemsee zumindest bleibt für die Krefelderin auch künftig ein Dreh- und Angelpunkt für ihre Vereinsarbeit. Nicht nur, wegen der Nähe zur spezialisierten Schön Klinik in Vogtareuth mit ihren Experten in Sachen Syngap1 und den „guten Orthopädietechnikern im Chiemgau“, sondern auch, weil sich Schmeder und Mengual vorstellen können, dass sich betroffene Eltern dort künftig einmal im Jahr treffen. Um über die Krankheit ihrer Kinder zu reden und vielleicht auch, um einfach mal wieder den seelischen Akku aufzutanken.

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