Von Polen in die Region
„Keine Angst“: Anna Janka wird 100 Jahre alt - Wie die Soyenerin die Zwangsarbeit überstand
„Keine Angst“, so könnte Anna Jankas Lebensmotto lauten. „Wenn du nicht sagst, was du willst, bekommst du es nicht.“ Mit 100 Jahren und einer bewegten Biografie muss sie es wissen. Im Zweiten Weltkrieg war die gebürtige Polin Zwangsarbeiterin in Österreich.
Soyen/Reitmehring – Ihr Alter würde Janka wohl niemand ansehen. Ohne Gehhilfe bewegt sie sich durch ihr Zimmer im Pflegeheim Sankt Martin in Soyen. Für den Termin mit der Wasserburger Zeitung hat sie sich hübsch gemacht, mit einem orangen Pullover, grauer Stoffhose und türkiser Kette. Die Nachbarn in Reitmehring, wo Janka einige Jahre gewohnt hat, seien schon gespannt auf den Artikel und würden schöne Fotos erwarten, erzählt sie mit einem Augenzwinkern.
Mit 17 Jahren nach Österreich verschleppt
Es ist ihre Aussprache, die dem Zuhörer verrät, dass Janka nicht aus der Region kommt. Polen, das ist ihr Geburtsland, erzählt sie. In einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Warschau kam sie am 5. November 1922 auf die Welt.
Wenn man ihr genau zuhört, lässt sich an ihrer Stimme aber nicht nur der polnische Einschlag erkennen. Hin und wieder erinnert sie auch an Österreich. Kein Wunder, denn dort hat Janka deutsch gelernt. Als Zwangsarbeiterin im Ort Wolfern in Oberösterreich.
Als 17-Jährige kam sie 1940 in die Gemeinde. Gezwungen und doch auch freiwillig. Zwangsarbeiter, erzählt Janka, seien von den Nationalsozialisten anhand des Geburtsjahrs ausgesucht worden. „Sie kamen mit Listen und haben einfach durchgestrichen“, so Janka, egal, ob die ausgesuchten Personen wirklich arbeitsfähig waren.
Sie selbst habe sich aber freiwillig für den Zwangsdienst gemeldet. Paradox? Vielleicht, aber Janka hatte ihre Gründe. „Mein Vater war der Freund unseres Bürgermeisters“, erzählt Janka. „Als die Nazis kamen, meinte er: Schick sie weg, die Tochter, das wird sonst nur noch schlimmer.“ Janka akzeptierte.
Mit dem Zug nach Österreich
In einem „stinkenden Zug“, eingepfercht zwischen Tausenden, ging es nach Österreich. Nichts weiter als eine verlauste Decke hätte sie bekommen. Viele seien krank geworden. Dann der „Sklavenmarkt“: In Österreich seien sie in Reih und Glied aufgestellt worden und von den Bauern begutachtet worden. Mit einem Griff an den Oberarm hätten diese die Muskelmasse geprüft und immer wieder eine Frage gestellt: „Kannst du melken?“
Janka konnte es. Das machte sie beliebt. Ein Landwirt wählte sie aus, doch Janka war nicht glücklich damit. Auf dem Hof sollte sie die Kühe hüten, das mochte sie schon zuhause nicht. Ein junger Bauer kam auf sie zu. „Er sagte, er hat einen Schweinestall und fragte mich, ob ich schon vergeben sei.“ Janka ergriff ihre Chance: Sie log. Der Bauer nahm sie mit. „Schweine sind besser als Kühe“, so ihre Überzeugung.
Den Polen-Stern hat sie nie getragen
Sie sollte recht behalten. „Mir ging es gut dort“, sagt sie. Die Bauernfamilie habe sie immer fair behandelt. Die Arbeit habe sie gern getan. In Wolfern habe sie auch ihren Mann kennengelernt. Nur der Polen-Stern, der hätte sie gestört. Getragen habe sie ihn deshalb nie, erzählt sie. Mit den Nazis sei sie deshalb so manches mal zusammengerückt. „Wenn sie mich erwischt haben, hat das fünf Reichsmark gekostet“, sagt sie. Angst habe sie deshalb aber nie gehabt.
Nach dem Krieg ging Jankas furchtloses Leben weiter. Ihren Mann heiratete sie an der Passauer Grenze. Er war wegen des Berufs nach Deutschland gezogen und hatte sie in Österreich zurücklassen müssen. Ausreisen durfte sie damals, 1950, noch nicht. Kurzerhand dienten die Grenzpolizisten als Trauzeugen.
Drei Jahre blieb sie mit ihrem ersten Kind in Österreich. Irgendwann ergriff sie aber die Sehnsucht nach dem Mann. Schwarz wollte sie über die Grenze. „Aber ich wusste den Weg nicht. Ich wusste nicht, wo lang“, erzählt Janka. Kurzerhand fragte sie einige Grenzpolizisten. Ein bisschen überrascht seien sie gewesen. „Sie wissen aber schon, wen sie fragen. Ich könnte Sie einsperren, das haben Sie gesagt“, erzählt Janka.
Sie erwiderte schlicht: „Das könnten Sie machen oder Sie könnten mir helfen.“ Erneut folgte sie ihrem Prinzip: „Keine Angst, wenn du nicht sagst, was du willst, bekommst du es nicht.“ Die Polizisten halfen.
Delegation aus Wolfern erwartet
Beim zweiten Grenzübergang blieb Janka dann in Deutschland. Als Frau eines Deutschen erhielt sie schließlich die Staatsbürgerschaft. Gemeinsam bekamen sie noch drei Kinder, zogen von Ansbach nach Nürnberg, wo sie 60 Jahre lebten. Janka arbeitete auch dann noch viel, bei Landwirtschaften, bei Siemens, auf einem Weingut. Es scheint kaum etwas zu geben, was sie noch nicht erlebt hat. Schließlich erkrankte ihr Mann an Demenz. Einer ihrer Söhne, der nach Reitmehring gezogen war, holte die Eltern zu sich. Bis sie schließlich gemeinsam nach Soyen ins Pflegeheim zogen.
Zum Geburtstag sind viele Gäste geladen. Auch aus Österreich wird eine Delegation mit zehn Leuten erwartet. Denn trotz allem, blickt die Jubilarin auf die Zeit in Wolfern als die schönste in ihrem Leben zurück.