Absturz jährt sich zum 30. Mal
Flugzeug prallt gegen Kampenwand: Rosenheimer (80) erlebte die dramatischen Minuten an Bord
Das Wunder von der Kampenwand: Am 13. März 1995 prallte ein Flugzeug mit fünf Mitarbeitern des Rosenheimer Landratsamtes gegen die Nordseite des Berges und stürzte ab. Mit Glück überlebten alle. Einer von ihnen erzählt nun, was in den dramatischen Minuten passierte und wie sich ein Absturz anfühlt.
Rosenheim/Aschau im Chiemgau – Totenstille. Nur das Knacken einiger Bäume. Überall liegen Trümmer, abgebrochene Äste und Holzteile im knietiefen Schnee. Die Luft ist eiskalt. Plötzlich zerreißen ängstliche Hilfeschreie die Stille im Bergwald. Es ist der Moment, der sich ins Gedächtnis von Ludwig Brandstetter (80) eingebrannt hat. „Das war das Erste, was ich wahrgenommen habe, als ich wieder zur mir gekommen bin“, sagt der Rosenheimer. Er ist einer der fünf Mitarbeiter des Rosenheimer Landratsamtes, die am 13. März 1995 mit einem Flugzeug an der Kampenwand abstürzten.
Dramatischer Flugzeugabsturz 1995 an der Kampenwand
Auch 30 Jahre später kann sich Brandstetter noch genau an jeden Moment des Absturzes erinnern. Er sitzt auf dem Sofa in seiner Wohnung am Schloßberg und blättert durch eine Mappe mit alten Zeitungsgeschichten über den Unfall. „Das war natürlich ein einschneidendes Erlebnis“, sagt er, während er sich einige Bilder des völlig zerstörten Flugzeugs anschaut. Gemeinsam mit vier Kollegen wollte der ehemalige Personalchef des Landratsamtes am 13. März früh am Morgen zu einer Messe für Informationstechnik nach Hannover fliegen. Mit einem zweimotorigen Flugzeug der Hagelabwehr.
Dienstreisen mit den Hagelfliegern sei damals nichts Ungewöhnliches gewesen, sagt Brandstetter. Zum einen ist die Hagelabwehr beim Landratsamt angesiedelt und zum anderen mussten die Flugzeuge – vor allem in Winter – hin und wieder bewegt werden. „Außerdem konnten wir uns so Reisekosten sparen“, sagt der 80-Jährige. So seien die fünf auch an diesem Tag zum Flugplatz nach Vogtareuth gefahren.
Maschine flog irrtümlicherweise in die falsche Richtung
Kurz nach halb sieben hob die Maschine von der Rollbahn ab. In nördlicher Richtung. „Das Wetter war eigentlich gut“, erinnert sich Brandstetter. Nach einigen Minuten in der Luft sei das Flugzeug allerdings in eine dichte Nebelbank geraten. Gedacht habe er sich dabei nichts. „Wir hatten vollstes Vertrauen in unseren Piloten Georg Vogl, der war damals schon sehr erfahren“, erzählt der 80-Jährige. Zudem er wusste, dass der Autopilot irgendwann die Steuerung übernimmt und „der trotz der schlechten Sicht den richtigen Weg kennt“. Dass das Flugzeug da bereits in die entgegengesetzte Richtung unterwegs war und damit gerade auf die Kampenwand zuflog, ahnte zu dem Zeitpunkt noch niemand.
„Wir haben uns an Board ganz normal unterhalten“, sagt Brandstetter, der hinter den beiden Piloten saß. Irgendwann habe er aus dem Fenster geschaut und durch ein Loch in der Nebeldecke Hausdächer und eine Straße gesehen. „Gewundert hat mich, dass dort so viel Schnee lag“, sagt er. Das habe er auf dem Weg nach Norden nicht erwartet. Sorgen habe sich der 80-Jährige auch da noch nicht gemacht. Dass etwas nicht stimmt, habe er erst gemerkt, als Georg Vogl nach einem Funkkontakt mit der Flugsicherung schrie: „Ja, wo schicken die uns denn da hin?“
Insassen wie durch ein Wunder alle ansprechbar
In dem Moment – gegen 6.56 Uhr – tauchten die markanten Felsen der Kampenwand nur wenige Meter vor dem Flugzeug auf. „Sofort hat Vogl die Maschine nach links oben gerissen, die stand fast senkrecht in der Luft“, erinnert sich Brandstetter. Man habe noch das laute Aufheulen der Motoren gehört, „dann gab es einen fürchterlichen Schlag“. „Um mich herum habe ich nur noch grünen Brei gesehen, bis es stockdunkel wurde“, sagt Brandstetter. Kurz darauf sei er bewusstlos geworden.
An mehr könne er sich vom Absturz nicht erinnern. „Das passierte alles innerhalb von ein oder zwei Sekunden“, sagt er. Er macht eine kurze Pause, atmet tief durch. Als er nach dem Aufprall wieder zu sich gekommen sei, sei er immer noch angeschnallt auf seinem Sitz gewesen. Allerdings hatte der sich um 180 Grad im Flugzeug gedreht. „Schmerzen habe ich da noch keine gehabt“, sagt Brandstetter. Auch die anderen Insassen seien ansprechbar gewesen.
Schwere Verletzungen am Rücken
Brandstetter und die anderen drei Männer hätten sich dann aus ihren Sitzen befreit und seien aus dem Wrack geklettert. Die damals 35-jährige Kollegin sei noch zwischen Flugzeugteilen eingeklemmt gewesen und habe um Hilfe gerufen. Wie schwer das Flugzeug beschädigt war, sei dem Rosenheimer zu dem Zeitpunkt gar nicht aufgefallen. Wie später in Zeitungsberichten zu lesen ist, war der Rumpf der Maschine der Länge nach aufgerissen.
Die Bilder des Flugzeugabsturzes an der Kampenwand im März 1995




Nachdem Brandstetter aus dem Wrack raus war, sei er durch das Trümmerfeld und den tiefen Schnee einmal um das Flugzeug herumgegangen. „Ich wollte den anderen helfen“, sagt er. Allerdings habe sich herausgestellt, dass wie durch ein Wunder keiner der Insassen lebensbedrohlich verletzt war. Beim Gehen habe der 80-Jährige dann aber Schmerzen gespürt. „Ich setzte mich auf die übriggebliebene Tragfläche und habe überall das Blut an mir gesehen, da habe ich richtig Angst bekommen“, erinnert er sich.
Flugzeug zerschellt in Waldstück an der Nordseite
Als er dort zitternd in der Kälte saß, sei ihm langsam klar geworden, was passiert ist. Das Flugzeug war in der Nähe der Gori Alm auf der Nordseite der Kampenwand auf einer Höhe von 1000 Metern in einem Waldstück zerschellt. „Das Grüne, das ich gesehen habe, waren die Baumspitzen, durch die wir gekracht sind“, sagt Brandstetter. Da beim Absturz auch der Notsender im Flugzeug in Mitleidenschaft gezogen wurde, sei ein Kollege, der nur Gesichtsverletzungen hatte, aber laufen konnte, los, um Hilfe bei einer Hütte zu holen.
Diese sei dann auch nach ein oder zwei Stunden eingetroffen. Die Bergung sei allerdings „äußerst schwierig“ gewesen, da das Flugzeug in unwegsamen Gelände abgestürzt ist, teilte die Rosenheimer Polizei damals mit. „Mit Hubschraubern haben sie uns irgendwann ausgeflogen“, erzählt Brandstetter. Er sei ins Klinikum nach Rosenheim gekommen – mit mehreren Platzwunden im Gesicht, sechs oder sieben gebrochenen Rippen und einigen Wirbelbrüchen. Einer der Wirbel sei sogar vorne und hinten beschädigt gewesen. „Wenn ich weiter herumgelaufen wäre, wäre ich jetzt wahrscheinlich querschnittsgelähmt“.
Viele Wochen im Krankenhaus
Die darauffolgenden sechs Wochen musste Brandstetter in Rückenlage im Krankenhausbett verbringen. „Dazu gab es immer wieder mal Albträume“, sagt Brandstetter. Seine Kollegen – die ebenfalls Verletzungen an Rippen, Wirbeln und den Beinen erlitten – hätten die Klinik schon eher wieder verlassen können.
Beschweren will sich Brandstetter aber nicht. „Wir haben sehr viele Schutzengel verbraucht, dass wir da alle mit mittelschweren Verletzungen rausgekommen sind“, sagt er. Wie es zu dem Unfall gekommen ist, darüber will der Rosenheimer heute gar nicht mehr viel nachdenken. „Es gab irgendeinen Fehler beim Einstellen des Autopiloten“, sagt er. Vorwürfe habe er aber nie jemanden gemacht. „Ohne die Reaktion von Georg Vogl wären wir wahrscheinlich gegen den Felsen geflogen und in lauter Einzelteile zerlegt worden.“
Nie wieder in ein Flugzeug
In ein Flugzeug ist Ludwig Brandstetter allerdings seit dem Unfall vor 30 Jahren nie wieder gestiegen.

