„Sie nannten mich ,Gulse‘“
Ilse Aigner wird 60: Private Einblicke und seltene Fotos aus dem Leben der Landtagspräsidentin
Als bayerische Landtagspräsidentin, frühere Bundeslandwirtschaftsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin kennt sie fast jeder. Im OVB-Interview gibt Ilse Aigner, die am 7. Dezember 60 wird, private Einblicke: Ihre Kindheit in Feldkirchen-Westerham, persönliche Höhen und Tiefen – und wie einst aus der Ilse die „Gulse“ wurde.
Feldkirchen-Westerham – Rückblicke auf ihr politisches Schaffen wird es in diesen Tagen anlässlich ihres 60. Geburtstages zuhauf geben. Mit dem OVB blickt Landtagspräsidentin Ilse Aigner hingegen auf ihre Kindheit, Schul- und Lehrzeit sowie die Anfänge im Gemeinderat und ihre Bürgermeister-Ambitionen 1993 zurück. In charmanter Offenheit gewährt sie seltene private Einblicke, spricht über Höhen und Tiefen, mal ernst, mal sichtlich amüsiert.
Unter anderem erinnert sie sich dabei an ihre aktive Rennrad-Laufbahn beim RSV Götting. Für diesen gab sie einst auch bei den OVB-Heimatzeitungen Berichte ab und schaute dazu des Öfteren in der Redaktion des Mangfall-Boten an der Sedanstraße und später in der Kirchzeile vorbei. „Ich hatte sogar ein eigenes Kürzel damals“, erinnert sich die Jubilarin, die in der Redaktion unter „ia“ gelistet war.
Eine Landtagspräsidentin wird 60. Sang- und klanglos geht dieser Geburtstag sicher nicht vorüber: Wie werden Sie Ihren „Runden“ feiern?
Ilse Aigner: Es wird nicht bei einer Feier bleiben…. Ich werde in mehreren Stufen feiern: am Samstag, meinem Geburtstag, mit den Ortsvereinen, von den Schützen über die Trachtler bis zur Feuerwehr beim Weißwurstfrühstück. Und abends dann mit Familie und Freunden. Das werden viele werden, weil allein schon die Verwandtschaft so groß ist. Am Montag dann im Parteivorstand, danach mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landtagsamts und abends im Bezirksvorstand und schließlich am Dienstag abends wieder im Landtag, wo der Vizepräsident Reiß einen offiziellen Empfang organisiert hat. Und beim Neujahrsempfang in Kaltenbrunn feiern wir nochmal gemeinsam die drei runden Geburtstage von Landrat von Löwis, MdB Radwan und mir.
Macht Sie die Zahl 60 eigentlich nachdenklich?
Aigner: Mit 60 schaut man vielleicht schon ein bisschen anders auf einen runden Geburtstag, aber ich feiere jeden Geburtstag gerne – allein schon, weil die Alternative immer so schlecht ist (lacht). Es heißt ja, man ist immer so alt wie man sich fühlt, und ich fühle mich – auch durch‘s Radlfahren – schon noch recht fit.
Sind Sie noch viel mit dem Radl unterwegs?
Aigner: „Altersangepasst“ mittlerweile zwar mit dem E-Bike und nicht mehr wie früher mit dem Rennrad, aber: ja. Ich gehe auch gerne Skifahren, Schwimmen, Walken und zum Bergsteigen.
Ilse Aigner – ihre Kindheit in Feldkirchen-Westerham




Stichwort Bergsteigen: Was darf im Rucksack auf keinen Fall fehlen und was ist Ihre Lieblingsbrotzeit?
Aigner: Je nach Länge der Tour ist der Rucksack natürlich mehr oder weniger gut gefüllt. Aber normalerweise nehme ich Obst, Käse oder Wurst und Brot oder Brezn mit – oder zumindest einen Energieriegel.
Wenn Sie an früher zurückdenken, wie haben Sie als Kind Ihre Geburtstage erlebt?
Aigner: Die Geburtstage in meiner Kindheit waren ganz toll. Die Bude war immer voll. Am schönsten war es, wenn wir im Wohnzimmer tausend Tücher aufgehängt und darunter gespielt haben.
Was sind allgemein Ihre Erinnerungen an die Kindheit? Gab es ein Lieblingsspielzeug oder ein Lieblingsspiel, drinnen oder im Freien?
Aigner: Ich habe mit Leidenschaft Lego gebaut – die Legoeisenbahn war eins meiner Lieblingsspielzeuge. Ansonsten waren wir sehr viel draußen, haben Federball direkt auf der Straße gespielt, was heute gar nicht mehr möglich wäre, oder sind mit dem Leiterwagerl durch die Gegend gezogen. Im Winter waren wir bei uns am Eichelberg, wo ich auch das Skifahren lernen durfte. Und hier habe ich heute die beiden Stofftiere von früher mitgebracht, den Bären... und bei dem anderen sieht man gar nicht mehr, was er mal war. Schaut wie ein Leopard aus, mit den Punkten am Kopf. Aber ich weiß noch genau, dass der in einem Osternest war, das ich lange suchen musste: es war in der Waschmaschine in unserem Geschäft versteckt.
„Tante Ilse“ und die „Kategorie Blösinn“
Ilse Aigner ist im Sternzeichen „Schütze“ geboren. „Sogar mein Aszendent ist Schütze“, lacht sie im Geburtstagsinterview, angesprochen auf Eigenschaften, die diesem Sternzeichen nachgesagt werden. Wie zum Beispiel „dynamisch, fröhlich, weltoffen“ oder „Spaßbringer auf jeder Party“. „Grundsätzlich trifft das zu“, sagt die Jubilarin. „Humor ist total wichtig. Ich kann auch hemmungslos losgelöst herumblödeln, vor allem auch mit meinen Nichten, Neffen und deren Kindern. Da war schon immer klar: für die Kategorie Blödsinn ist die Tante Ilse zuständig“, berichtet sie von Anekdoten und ein Strahlen zieht über ihr Gesicht. Bereut sie es, nicht selbst Familie zu haben? „Es hat sich nie ergeben“, antwortet sie offen. „Aber ich hadere nicht. Ich habe eine sehr große Familie, in der ich jederzeit alle bemuttern kann. Ohne das wäre es sicher anders.“ Ihre Liebe zu Kindern lässt sich auch an ihrem ehrenamtlichen Engagement für Einrichtungen wie das Caritas Kinderdorf Irschenberg oder den Verein „donum vitae“ erkennen, bei denen sie Ämter des verstorbenen Politikers Alois Glück übernommen hat. Ein Weggefährte, mit dem sie, wie sie sagt, viele Werte verbunden haben.
Von Ostern zu Weihnachten: Wie wurde bei Ihnen Heiligabend gefeiert, als Sie klein waren? Was ist Ihre liebste Erinnerung an Weihnachten in Ihrer Kindheit?
Aigner: Weihnachten war bei uns das Geschäft immer noch bis Mittag geöffnet, die Mama war da schon recht gestresst. Sie hat dann auch immer zu tun gehabt, uns alle rauszuwerfen, damit sie den Christbaum noch schmücken konnte. An Heiligabend gab es dann zum Beispiel Kalbsbratwürstl und weiße Semmeln. Das war damals für uns etwas ganz Besonderes, denn sonst gab es immer Brot. Geschmeckt hat es mir immer. Vor allem Gulasch. So sehr, dass man mich früher auch „Gulse“ statt Ilse genannt hat.
Und wo gibt‘s aus ihrer Sicht das „beste Gulasch“?
Aigner: Hausgemacht ist immer super – zum Beispiel bei meiner Schwester.
Sie haben den Kindergarten in Feldkirchen-Westerham besucht und die örtliche Grundschule. Können Sie sich noch an Ihren ersten Schultag erinnern, an Ihre erste Lehrerin?
Aigner: Ja, in der ersten Klasse hatte ich die Frau Nastvogel (zeigt auf einen Eintrag unter dem Einschulungsfoto). Ich war recht lebhaft und sie hat damals zu mir gesagt, jetzt bist a mal stad, du bist schon so schlau, lass die anderen auch mal was sagen.
Also waren Sie schon damals vorne mit dabei?
Aigner: Ja, und ich war in der Schulzeit eigentlich immer Klassensprecherin oder Schülersprecherin. Ich habe mich gerne für andere eingesetzt, gegen Missstände und für Gerechtigkeit.
„Weggeschmissen vor lauter Lachen“
Dass die Landtagspräsidentin einen Sinn für Humor hat, ist in Bayern bekannt. Dass sie auch herzlich über sich selbst lachen kann, zeigt sie, als das Gespräch auf die Gemeinde Warngau kommt und auf die Folgen eines Vorfalls, der ihr Kratzer und blaue Flecken bescherte: 2022 war bei der dortigen Leonhardi-Fahrt die Kutsche umgekippt, in der Ilse Aigner saß. Ein vorbeilaufender Hund hatte die Pferde so sehr erschreckt, dass sie scheuten. Die Insassen und die Pferde waren damals mit dem Schrecken davon gekommen. Doch bei dem Graben an der Unfallstrecke in Reitham hat irgendjemand das Schild „Ilse-Aigner-Graben“ aufgestellt. „Ich hab‘ mich weggeschmissen vor lauter Lachen, als ich das gehört habe“, berichtet sie amüsiert auf die Frage, ob sie das wusste. „Natürlich! Wir sind sogar extra noch einmal hingefahren und haben ein Video an dem Ort aufgenommen.“
War Ihr erster Berufswunsch auch schon davon geprägt?
Aigner: Nein, früher wollte ich unbedingt Astronautin werden. Das war die Zeit der ersten Mondlandung, die mich sehr fasziniert hat. Natürlich haben wir Raumschiff Enterprise geschaut und nachgespielt. Später habe ich mich dann für Radio- und Fernsehtechnik entschieden, denn ich wollte den elterlichen Betrieb übernehmen. In der Realschule hatte ich den Wirtschaftszweig gewählt, dann aber gemerkt, dass mich Fächer wie Mathe und Physik viel mehr interessieren. Nach der Schule habe ich meine Lehre beim Rosenheimer Elektrohaus Stern angefangen.
Dort waren sie die einzige Frau unter lauter Männern – zur damaligen Zeit noch sehr ungewöhnlich. Wie ist es Ihnen da ergangen?
Aigner: Ach, ganz gut. Ich bin humorvoll und gut gestählt, hatte aber auch sehr, sehr nette Kollegen dort und einen netten Chef. Aber für die Kunden war das gewöhnungsbedürftig, dass es plötzlich ein Lehrmadl gab. Ich erinnere mich an einen Sommertag, an dem ich mit dem Gesellen eine Antenne auf dem Dach montiert habe – barfuß, weil es so warm war. Heute auch nicht mehr denkbar. Aber der Kunde war von dem Anblick irritiert und hat sich dann wohl erkundigt, seit wann die Handwerker ihre Freundinnen mit zur Arbeit nehmen.
Doch es war aus anderen Gründen keine leichte Zeit für Sie.
Aigner: Ich war sehr krank zu dieser Zeit. Ich hatte schon während der Schulzeit sehr starke Schmerzen, musste deswegen auch meinen aktiven Radrennsport beim RSV Götting aufgeben und in den elterlichen Betrieb wechseln, wo ich dann auch die Lehre abgeschlossen habe. Lange konnte man die Ursache nicht finden, bis schließlich ein gutartiger Tumor im Rückenmarkskanal entdeckt und ich operiert wurde. Danach war ich endlich schmerzfrei. Aber diese Erfahrung ist sehr tief verankert. Deswegen ist meine Einstellung zum Leben auch eine etwas andere. Ich sehe alles viel gelassener.
Gelassenheit können Sie in Ihrem heutigen Beruf auch gut gebrauchen. Wie waren damals Ihre ersten Schritte in der Kommunalpolitik? Hat Sie Ihr Vater, der CSU-Gemeinderat war, da vorgeprägt?
Aigner: Wir sind vier Schwestern, aber ich bin die einzige, bei der das durchgeschlagen hat. Mein Vater war bei der CSU, wir hatten einen mittelständischen Betrieb und auch von der inneren Einstellung her war es naheliegend, dass ich mit 18 zur JU gegangen bin. Das war eine nette Gesellschaft. Und recht viel Alternativen gab es ja bei uns auch nicht. Mit 20 bin ich zur CSU. Im Jahr 1993 wollte ich Bürgermeisterkandidatin werden. Daraus wurde aber nichts. Doch immerhin habe ich es in die partei-interne Stichwahl geschafft gegen Michi Weber, der dann Bürgermeister geworden ist.
Bei Schafkopf-Turnieren vom Pech verfolgt
Wer Ilse Aigner ein bisschen kennt, weiß, dass sie auch eine leidenschaftliche Schafkopfspielerin ist. Gelernt hat sie das Kartenspiel in der Techniker-Schule. „Aber richtig ,hardcore‘ wurde es dann in Berlin, mit der ,MuZ‘, der Gruppe ,Mut und Zuversicht‘ und den Kollegen aus dem Bundestag. Da wurde richtig scharf gespielt“, erinnert sich die heutige Landtagspräsidentin. Ob sie eine gute Spielerin ist? „Ich würde sagen: ganz passabel. Nur bei Turnieren hab ich nie a gscheids Bladl.“
Sie waren damals 28, und haben sich das Amt schon zugetraut?
Aigner: Ja. Rückblickend war das vielleicht ein bissl frech, aber ich hatte auch kräftige Unterstützer, zum Beispiel in meiner besten Freundin Kerstin Dornisch und meinem Gemeinderatskollegen Theo Biller und dem damaligen Ortsvorsitzenden Alfred Trageser. Die Kandidatur war durchaus ambitioniert, das gebe ich zu. Dazu kamen damals auch Sprüche wie „Das geht nicht, weil sie in ungeklärten Familienverhältnissen lebt – ich war ledig. Aber es hat mich gereizt, ich wollte im Gemeinderat einfach auch mitgestalten.
Was lag Ihnen besonders am Herzen?
Aigner: Ein Ferienprogramm auf die Beine zu stellen. Das ist auch sehr gut gelungen, mit der JU und vielen Vereinen. Und dann der Nachtexpress! Auf dieser Rennstrecke zwischen Feldkirchen-Westerham und Rosenheim sind einfach zu viele junge Menschen verunglückt, auch aus meinem Bekanntenkreis. Das hat mich geprägt. Oft war Alkohol im Spiel. Ich bin 1993/1994 im Mangfalltal von Gemeinderat zu Gemeinderat, von Stadtrat zu Stadtrat gelaufen, um sie von der Notwendigkeit dieses Busses zu überzeugen und die Finanzierung auf die Beine zu stellen. Das war nicht einfach, oft herrschte die Haltung vor, die jungen Leute sollten doch daheim bleiben. Doch letzten Endes war ich erfolgreich und der Nachtexpress ist rund 30 Jahre lang gefahren.
Das Thema Gymnasium-Standort hingegen bezeichnen Sie bis heute als ein „Trauma“ aus dieser Zeit.
Aigner: Absolut. Ich konnte das nicht fassen. Es war ein Dienstag, als wir im Kreisausschuss tagten und der Beschluss fiel: Wir werden Gymnasium-Standort. Beflügelt davon bin ich abends in den Gemeinderat. Niemals hätte ich gedacht, dass der Bau dort abgelehnt würde, und das auch noch so denkbar knapp. Das einzig Positive daran war, dass wir somit später noch den Platz hatten für den gemeinsamen Standort der Feuerwehren Feldkirchen und Westerham. Wobei die Fusion der beiden Wehren alles andere als eine Selbstverständlichkeit war. Doch wir haben dort eine starke Einheit bekommen, was sich zuletzt auch wieder bei dem Großeinsatz bewiesen hat.
Wie würden Sie Ihre Heimatgemeinde beschreiben?
Aigner: Ich liebe meine Heimatgemeinde, und dass sie sich trotz ihrer Größe von inzwischen über 11.000 Einwohnern – mehr als manche Kreisstadt – ihr starkes Vereinsleben erhalten konnte. Der Zusammenhalt ist großartig, wie man auch beim Gaufest wieder erleben konnte. Wir haben viele Ortsteile mit ihren ganz eigenen Besonderheiten, die ich sehr schätze.
Wie sehr sehen die Feldkirchen-Westerhamer in Ihnen die Landtagspräsidentin? Können Sie dort auch gut einfach „die Ilse“ sein, die immer noch zur Dorfgemeinschaft gehört?
Aigner: Feldkirchen-Westerham bedeutet für mich Wurzeln, Heimat, Geborgenheit, hier ist meine Familie. Wenn ich über den Aschbacher Berg komme, geht mir das Herz auf. Es ist einfach wunderbar, hier kann ich mich zurückziehen, hier kann ich überall hingehen, die Vereine freuen sich, wenn ich zu ihren Veranstaltungen komme. Sogar Ehrenbürgerin bin ich schon. Und egal ob ich bei der Feuerwehr bin, beim Turnverein, bei den Schützen oder den Trachtlern: da bin ich die Ilse, und das werde ich immer bleiben. Da lege ich Wert drauf, das erdet ungemein.




