„Er könnte noch leben”
Herz für andere Eltern - Wie Manfred May den tragischen Verlust seines Sohnes (14) verarbeitet
Vor fast genau einem Jahr verlor Manfred May seinen 14-jährigen Sohn Nico aufgrund eines unentdeckten Herzleidens. Heute kämpft er dafür, dass andere Kinder und Eltern nicht dasselbe durchmachen müssen. Was alle Eltern tun können – und der Staat machen sollte.
Prien - Seit fast zwei Monaten ist Manfred May Patient in der Rehaklinik St. Irmingard am Chiemsee, um dort sein schweres Trauma und die Depressionen behandeln zu lassen. Noch kein Jahr ist es her, dass sein Sohn Nicolas mit nur 14 Jahren plötzlich verstarb. Vater und Sohn hatten noch gemeinsam Silvester und die beiden Folgetage verbracht. Am Abend des 2. Januar 2022 brachte er seinen Sohn gegen 19.15 Uhr dann zurück zu dessen Mama.
„So extrem verabschiedet“
„An diesem Abend hat er sich so extrem von mir verabschiedet und mich zum Abschied noch besonders fest in den Arm genommen und zwei Mal geküsst“, erinnert sich May, „das wurde mir erst im Nachhinein bewusst.” Mays Stimme ist fest. Sie ist es aber nur deshalb, weil er sich auf sein Projekt konzentriert. „Wenn es um die Nicolas-May-Stiftung geht, kann ich komischerweise reden. Weil sie mir so wichtig ist. Wenn ich nur einem Kind das Leben retten kann, dann hat sich alles gelohnt.”
Kinder spüren einen Herzinfarkt kaum
Gegen halb elf ging Nicos Mutter ins Bett, wachte jedoch später unruhig und mit einem besorgten Gefühl auf und ging zu ihrem Sohn. Doch es war zu spät. “Mein Sohn hatte zwei Herzinfarkte, die nicht erkannt wurden. Das ist bei Kindern so”, erzählt Manfred May von dieser Schicksalsnacht und erläutert die untypische Symptomatik bei Kindern: “Wenn es keine ganz massiven Herzinfarkte sind, fühle es sich für Kinder einen Tag lang an, als würden sie krank werden. Am nächsten Tag ist alles vergessen.”
Schicksalhaftes Zusammenfinden
Bei seinem Sohn müsse ein Herzinfarkt länger zurück gelegen haben, der zweite habe wohl wenige Wochen vor seinem Tod stattgefunden. Diese zwei Schädigungen hätten dann am 2. Januar 2022 den Weg zueinander gefunden und in der Nacht tödliche Herzrhythmusstörungen ausgelöst. Das habe die Autopsie seines Sohns zutage gebracht, an der auch Professor Dr. Nikolaus Haas, Direktor der Abteilung für Kinderkardiologie und pädiatrische Intensivmedizin am Münchner LMU Klinikum, beteiligt war.
Weiße Flecken im Herzultraschall
Dieser habe ihn im Februar kontaktiert und um ein Gespräch gebeten. „Er hat mir alles erklärt und versichert, dass Nicos Tod nicht an uns Eltern gelegen hat.” Niemanden träfe eine Schuld. Und doch hätte sich das Schicksal von Nico und vielen anderen Kindern vermeiden lassen: Da ein Herzinfarkt Narben hinterlässt, die als „weiße Flecken” im Herzultraschall oder als veränderte Reizleitung im EKG erkennbar sind, können diese beiden, nicht-invasiven Untersuchungen Leben retten. Doch noch sind diese Untersuchungen nicht gesetzlich in der Vorsorge verankert.
Kaum jemand weiß das
Fünf bis zehn Prozent aller Todesfälle im Bereich Kardiologie entfielen auf Kinder und Jugendliche unter 21 Jahren, so Professor Haas gegenüber Manfred May. „Wenn er das sagt, ist das schon eine Ansage”, so May. Zudem könne diese Untersuchung auch das Leben vieler anderer Menschen retten, die erst im Alter von 50 oder 60 Jahren einen tödlichen Herzinfarkt erleiden. „Doch kaum einer weiß das“, so May. Das brachte die beiden auf die Idee, die Nicolas-May-Stiftung zu gründen, in der sich Professor Haas sogar als aktiver Geschäftsführer engagieren will.
Kindern eine Lobby geben
May käme es so vor, als würde der Staat den Tod von Kindern und Jugendlichen und all das damit verbundene Leid als Kollateralschaden hinnehmen, weil er eben nicht dafür sorgt, dass Vorsorgeuntersuchungen des Herzens fest in die Gesundheitschecks von Kindern integriert sind. „Dann muss man aufstehen und Nein sagen”, bringt May leidenschaftlich hervor. „Kinder haben in Deutschland keine Lobby, dabei sind sie die Zukunft. Ich will das ändern.”
Nico könnte noch leben
May kämpft deshalb mit seiner Stiftung dafür, dass standardmäßig bei Kindern im Alter von acht bis zwölf und dann noch mal zwischen 14 und 16 Jahren ein EKG und ein Herz-Ultraschall stattfinden. „Hätte Nico diese Untersuchungen erfahren, dann könnte er heute noch leben“, davon sei Professor Haas überzeugt, so Manfred May.
Gelder für die Forschung und Aufklärung
Doch im aktuellen Gesundheitssystem ginge man einfach nicht davon aus, dass auch ein Kind oder ein Jugendlicher einen Herzinfarkt bekommt. May möchte die mit seiner Stiftung gesammelten Gelder der Forschung zukommen lassen und in die Aufklärung von Eltern und Jugendlichen investieren. Schon jetzt teilt er auf einem Instagram-Kanal und einem TikTok-Kanal, der bereits 9500 Follower hat, regelmäßig Beiträge zum Thema.
Im Juli kommt das „Quick Nic“-Festival
Das nächste große Projekt der Stiftung ist vom 14. bis zum 16 Juli ein Elektro-Musikfestival in Olching. „Wenn ich Nicolas ärgern oder aufziehen wollte, habe ich ihn Quick Nic genannt”. Und so wird auch das Festival heißen (#quicknicfestival). Die Stadt Olching habe dafür ohne mit der Wimper zu zucken und kostenfrei den Volksfestplatz zur Verfügung gestellt. Pro Tag dürfen bis zu 4000 Karten verkauft werden. Zum Lineup gehören bekannte DJs wie Tom Novy oder Mica.
Im Gespräch mit Klaus Holetschek
Auch mit Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek konnte Manfred May bereits kurz sprechen. “Wenn die Stiftung und die Online-Seite richtig steht, soll ich mich noch mal bei ihm melden”, berichtet May begeistert. „Ich will Bayern als Versuchsballon gewinnen. Kinderärzte sollen das EKG und die Herzultraschall-Untersuchungen ein Jahr lang durchführen, woraufhin die Ergebnisse statistisch ausgewertet werden. Das ist mein nächstes großes Etappenziel.“
„Darum stehe ich jeden Tag auf“
Zwei ganz große Ziele hat Manfred May für sein Leben, in dem er sich seit Nicos Tod praktisch gar nichts gönnen kann. „Ich habe vor dreieinhalb Jahren eine ganz tolle Frau mit zwei Töchtern kennengelernt, und wir leben als Familie.“ Nico habe Mays Partnerin fast wie die eigene Mutter geliebt. „Und dann habe ich von meinem Sohn gelernt, was es heißt, Hilfe zu leisten, selbst wenn man die Person gar nicht kennt.“ An Nicos letztem Wochenende bei ihm habe dieser noch einer 13-Jährigen geholfen, bis der Krankenwagen kam. „Er war einfach so. Ich mache diese Stiftung auch, um das, was er mir vorgelebt hat, am Leben zu erhalten. Für diese beiden Dinge stehe ich jeden Tag auf.”




