Vom Segelboot zum Chef beim Kanalservice Braunen
Abwasser statt Karibik: Warum das Aussteiger-Ehepaar Germann in Griesstätt wieder einsteigt
Sauber ist dieses Geschäft nicht, im Gegenteil: Es geht um Abwasser. Eine eklige Sache? Nein, sagt das Ehepaar Germann. Es hat sein Segelboot eingemottet und die Karibik gegen das Gewerbegebiet von Griesstätt getauscht. Hier sind die Aussteiger wieder eingestiegen: in die Geschäftsführung von Kanalservice Braunen.
Griesstätt – Jeder Mensch produziert es: Wer duscht, kocht, wäscht, die Toilette benutzt, sorgt für Abwasser. Damit beschäftigt sich jedoch niemand gerne. Ein Druck auf die WC-Spülung: weg sind die Fäkalien, verschwunden im Kanal. Doch Sandra und Andreas Germann schauen hin, denn die Kanalreinigung und -sanierung ist ihr Beruf. Zum 1. April hat das Ehepaar die Geschäftsführung und kaufmännische Leitung der Griesstätter Firma Kanalservice Braunen übernommen. Die Germanns folgen Gerhard und Barbara Braunen, ebenfalls ein Ehepaar. Kanalsanierung ist anscheinend Paar-Sache? Sandra und Andreas Germann sagen schmunzelnd: „Bei uns auf jeden Fall auch.“
Trotzdem erfüllt das Unternehmen, seit 2011 ansässig im Griesstätter Gewerbegebiet Am Leitenfeld, so gar nicht das Klischee von einem Betrieb, der sich mit einer dreckigen Dienstleistung beschäftigt. Die Lkw, die zum Feierabend die Fahrzeughalle ansteuern, glänzen blitzblank geschrubbt in knalligem Orange. Das Firmengelände: extrem sauber. Mitarbeiter Ronny Zeise, TV-Inspekteur und seit 13 Jahren im Unternehmen, trägt zwar Arbeitskleidung, doch sein Bulli schaut eher aus wie ein Übertragungswagen vom Fernsehen. Kameras und Bildschirme bestimmen das Bild.
Es geht sauber zu in einem schmutzigen Geschäft
Es geht also eher sauber zu, bei diesem schmutzigen Geschäft. Das Sagen haben Hightech-Geräte und -fahrzeuge, wissen die Germanns aus langjähriger Erfahrung. Sie hatten in Pirmasens (Rheinland-Pfalz) einen ähnlichen Betrieb mit 50 Mitarbeitenden, den sie 2019 an die Kanalservice Gruppe Deutschland (KSG) verkauft haben. Fünf Jahre lang ging es danach auf Weltreise mit dem Segelboot: Dreimal überquerten die Germanns den Atlantik, teilten ihre Abenteuer auf den Meeren auf der Homepage „Segelpiraten“. Eine entspannte Zeit, die die Aussteiger sehr genossen haben, wie sie berichten. Doch jetzt sind sie aus dem Ausstieg wieder ausgestiegen: Die Karibik haben sie gegen Griesstätt getauscht, das Segelboot, die Santa Esmeralda, gegen Spezialfahrzeuge für die Kanalreinigung. Das einzige, was noch an das süße Leben unter Palmen und auf See erinnert, ist die Restbräune in den Gesichtern.
Die Germanns sagen: „Es war eine schöne Zeit, wir haben das Leben auf dem Boot sehr genossen. Doch jetzt fühlen wir uns wieder sehr wohl in unserem alten Beruf und in unserer neuen Heimat.“ Urlaubsgefühle kommen beim Blick aus dem Betriebsgebäude schließlich auch auf: Am Horizont sehen die beiden die Alpenkette. Wenn Feierabend ist, geht es aufs Motorrad und in die Berge oder an die vielen Seen im Chiemgau.
Teil der Kanalservice Holding
Doch auch die Arbeit macht wieder Spaß, sagt Andreas Germann, der die Geschäftsführung von Braunen Kanalservice übernommen hat. Seine Frau Sandra ist die kaufmännische Leiterin. Sie haben nach eigenen Angaben einen gesunden, sehr gut aufgestellten Betrieb übernommen, der von den Vorgängern, das Ehepaar Braunen, aufgebaut und 2022 an die Kanalservice Gruppe Deutschland verkauft wurde. Zahlen zu Umsatz und Gewinn teilen die Nachfolger auf Anfrage nicht mit.
Der von ihnen geleitete Betrieb kann nach ihren Angaben autark weiter geleitet werden, ist weiterhin Teil der Kanalservice Holding Deutschland GmbH mit Hauptsitz der Gesellschaft in Stutensee. Alle acht Mitarbeiter in Griesstätt wurden nach dem Wechsel der Geschäftsführung in Griesstätt übernommen, „eine tolle Truppe“, wie die Germanns sagen. Sie wollen das Unternehmen weiter ausbauen: mehr Mitarbeiter, weitere Fahrzeuge. Ein neuer Hightech-Wagen mit einer Investition von 600.000 Euro komme im Herbst. Der Firmenname Braunen bleibe.
Aufträge gehen nicht aus
Der Stammkundenkreis: Kommunen, die ihre Leitungen überprüfen, warten oder sanieren lassen, gewerbliche Betriebe und die Industrie, aber auch private Hauseigentümer. Ein Zukunftsmarkt und ein Geschäftsfeld, in dem die Aufträge nie ausgehen würden, wie die Germanns betonen. Denn Abwasser wird immer produziert. Kanäle müssen kontrolliert, saniert oder erneuert werden. Viele Leitungsnetze in Oberbayern stammen außerdem aus den 50er und 60er Jahren, sind also veraltet. Sie müssen heutzutage nicht grundsätzlich herausgerissen, sondern können im Inliner-Verfahren erneuert werden, so Andreas Germann. Das heiße: In das alte Rohr werde ein neues hereingezogen.
Leistungsspektrum soll weiter ausgebaut werden
Das Hauptgeschäftsfeld von Kanalservice Braunen: die Inspektion. In einem Umkreis von bis zu gut 100 Kilometern fahren die Kameras mit HD-Technik, die besonders genaue Bilder liefert, Straßenzüge ab, auf der Suche nach Leckstellen, verrutschten Muffen, Wurzeln, die in Leitungen hineingewachsen sind. Andreas Germann ist nach eigenen Angaben außerdem Ex-Schutz-Experte: Er darf auch Gelände und Kanäle mit Explosionsgefahr prüfen und sanieren, etwa auf Deponien.
Die neue Geschäftsführung will außerdem die Dienstleistung für den privaten Bereich ausbauen. Denn Nachverdichtung stehe hoch im Kurs. Altgebäude würden modernisiert, aus- und umgebaut. Die Rohre für Regen- und Abwasserentsorgung würden in der Regel auch eine Sanierung benötigen. Und auch der Hochwasserschutz spiele eine immer größere Rolle. Wer feststelle, dass Bodenplatte oder Wände durchfeuchten würden, entscheide sich ebenfalls für eine Sanierung. „Wir sind keine Rohrreiniger, die punktuell eine Verstopfung beheben, doch wir kümmern uns um die in diesem Zusammenhang oft notwendige Sanierung des Systems“, erklären die Germanns.
Fachkräftemangel und Bürokratie machen zu schaffen
Diese Arbeit hat bei Andreas Germann Familientradition. Schon sein Urgroßvater war im Raum Pirmasens mit der Pferdekutsche und der Dampfmaschine unterwegs, um Klärgruben auszupumpen und zu säubern. Der Urenkel lernte Kfz-Mechaniker und Umwelttechniker und übernahm den Betrieb vom Vater, den er mit seiner Frau bis 2019 führte. Jetzt starten sie wieder durch und würden in Griesstätt, aufgrund der Verkehrsanbindung und guten Standortbedingungen im Gewerbegebiet „ein Top-Standort“, gerne auch ausbilden: Rohr- und Kanaltechniker, „ein krisensicherer Job“, wie sie sagen.
Der Fachkräftemangel im Handwerk macht auch Kanalservice Braunen zu schaffen, berichten die Germanns. Außerdem kritisieren sie, „dass die ausufernde Bürokratie in Deutschland viel zu viel Zeit wegfrisst“. Das Ehepaar ist viel herumgekommen: in den USA, in Afrika, in der Karibik. „Erstaunlich wie viel einfacher es in vielen Ländern der Welt geht und es trotzdem gut funktioniert“, findet der Geschäftsführer.


