Zuflucht auf der Burg
Flüchtlinge erreichen Wasserburg: Die Kleinste weint nachts noch immer
Sie war lange ein Zufluchtsort für Menschen in Not, jetzt ist die Burg erneut in diese Rolle geschlüpft: Hier haben sechs Frauen und vier Kinder aus der Ukraine eine Bleibe gefunden. Mit Unterstützung einer Übersetzerin haben sie über ihre Flucht, die Angst um ihr Land und ihre Hoffnungen gesprochen.
Wasserburg – Es sind die ersten Flüchtlinge, die in Wasserburg angekommen sind. Am Dienstagabend erreichten sie mit drei voll bepackten Autos die Stadt – „erschöpft, müde, erleichtert“, so der Eindruck von Fabian Leitmannstetter aus der Geschäftsführung des Betreuungszentrums Wasserburg. Bei der Ankunft habe es Tränen der Freude über die herzliche Aufnahme gegeben.
Tränen der Freude und Erleichterung
Die Unternehmensgruppe Krohn-Leitmannstetter, die das Betreuungszentrums Wasserburg und das Seniorenheim Maria Stern auf der Burg betreibt, hat hier Räumlichkeiten bereitgestellt – dort wo später eine Einrichtung des betreuten Wohnens einziehen wird. Noch ist es nicht soweit, deshalb standen die Zimmer zur Verfügung. Leitmannstetter hatte sie schon kurz vor Kriegsbeginn einer Freundin aus der Ukraine, die in Deutschland lebt, für Landsleute angeboten. Vor einer Woche am Freitag war es dann soweit: Die Freundin suchte eine Bleibe für Flüchtlinge aus Charkiw, der zweitgrößten Stadt, und Poltava in der Zentralukraine.
Luftangriffe und eine qualvolle Flucht
Die Frauen und Kinder haben Schlimmes erlebt: unter anderem Luftangriffe auf Charkiw und auf das Atomkraftwerk, wie sie berichten. Auch die Flucht war eine Qual: Über eine Woche waren sie unterwegs. „Man durfte am Stück nur 20 Liter tanken, der Sprit ist zu neuem Geld geworden. Das ganze Land stand im Stau“, erzählen sie. Luftangriffe unterbrachen immer wieder die Flucht, die Familien mussten sich in Kellern verstecken.
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Jetzt leben sie auf der Burg, wo Leitmannstetter mit engagierten Mitarbeitern aus dem Seniorenheim die leeren Räume – in Absprache mit der Kreishandwerkerschaft als Eigentümerin der Burg – mit Möbeln, Küche, Waschmaschine, Trockner und allem, was im Familienalltag gebraucht wird, ausgestattet hat.
Ziel: zur Ruhe kommen
Die Stadt stellte kostenlose Parkflächen an der Rampe zur Verfügung und unterstützte organisatorisch – unter anderem beim Kontakt zum Landratsamt Rosenheim, wo die Fäden der Aufnahmeformalitäten zusammenlaufen.
Die Räumlichkeiten auf der Burg eignen sich gut als Zufluchtsort : Die Flüchtlinge können in die Altenheimversorgung eingebunden werden, berichtet Leitmannstetter. Bettwäsche, Handtücher, Essensversorgung: Alles sei vorhanden. Trotzdem kann die notwendige räumliche Trennung gewährleistet werden, denn nach wie vor herrschen im Seniorenheim Maria Stern strenge Corona-Regeln. Damit die Flüchtlinge mit den Männern der Familien, die in der Ukraine geblieben sind und ihr Land verteidigen, Kontakt halten können, wurde blitzschnell ein Internetzugang freigeschaltet.
Erschrockene Reaktion auf laute Geräusche
Grundsätzlich stellt Leitmannstetter fest: Die zehn Flüchtlinge benötigen derzeit vor allem das Gefühl von Geborgenheit. Im Gespräch mit einer Übersetzerin sprechen die Ukrainerinnen vor allem über ihren Wunsch, „zur Ruhe zu kommen“, jetzt, nachdem die Kinder in Sicherheit seien. Diese hätten schon ein Stückchen Normalität erlebt – bei einem Besuch im Wildpark Oberreith, erzählen die Mütter. Sie versuchen, die Atmosphäre in der Gruppe „leicht“ zu halten, „um die Kinder abzulenken. Aber es ist immer noch schwer“. Das kleinste Mädchen im Alter von zehn Jahren weine nach wie vor ab und zu nachts. Die Erwachsenen zucken bei jedem lauten Geräusch zusammen, berichten Helfer.
Frauen wollen wieder zurückkehren
„Wir wollen wieder zurückkehren“, nennen die Frauen als Ziel. „Wenn der Krieg vorbei ist, muss man vieles neu aufbauen, aber es könnte auch den Neuanfang für das ganze Land bedeuten: für Menschen, für Geschäfte und für ein Land ohne Korruption“, sagen sie. Die Frauen, die mit dem Krieg nicht gerechnet hatten, sind überzeugt: „Wenn die Ukrainer aufgeben, verlieren sie alles: Demokratie und die Meinungsfreiheit, Perspektive auf Wachstum. Keine Region, die Russland bis jetzt vermeintlich gerettet hat, hat Verbesserungen erlebt. Es war eher ein Sprung in die Vergangenheit“, sind die Frauen überzeugt.
Sie haben sich sehr darüber gefreut, dass der Empfang so herzlich war. „Das hat uns sehr berührt.“ Diese Hilfsbereitschaft hätten sie nicht erwartet, sagen sie. Leitmannstetter lobt sein „tolles Team“, das kurzfristig intensiv geholfen habe, alles herzurichten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Betreuungszentrums seien sehr betroffen angesichts der Tatsache, wie sehr die Gäste aus der Ukraine gelitten hätten. „Sie haben Furchtbares erlebt, blicken in eine ungewisse Zukunft.“