Mativ-Gessner-Abluft zunutze machen
Feldkirchen-Westerham wird zum Energie-Dealer: Wer von der Nahwärme profitieren soll
Im wahrsten Sinne Dampf machen will die Gemeinde Feldkirchen-Westerham bei Aufbau eines eigenen Wärmenetzes. Wie potenzielle Kunden davon profitieren könnten und wieso die Finanzierung des Projekts noch Kopfzerbrechen bereitet.
Feldkirchen-Westerham – Überlegungen dazu gibt es seit mehr als zwei Jahrzehnten, jetzt hat die Gemeinde Feldkirchen-Westerham Nägel mit Köpfen gemacht: Die Kommune wird im Gemeindeteil Westerham ein kommunales Nahwärmenetz errichten, von dem Unternehmen, aber auch Anwohner profitieren können. Bei der Energie, die ins Netz eingespeist wird, handelt es sich um Abwärme, die das Unternehmen Mativ Gessner produziert und die bislang ungenutzt als Dunstwolke über dem Firmensitz hängt.
Als „Leuchtturmprojekt“ bezeichnete Dr. Stefanie Reil vom Unternehmen Gammel Engineering, die seit Jahren im Auftrag der Kommune an dem Projekt arbeitet und die Details am Dienstagabend (30. Juli) dem Gemeinderat präsentierte, die geplante Nahwärmeversorgung von Teilen Westerhams. Demnach sollen zukünftig neben zwei großen Unternehmen, die ihren Sitz in unmittelbarer Nähe zu Mativ Gessner haben, auch das im Westen angrenzende Wohngebiet sowie das nördlich der Aiblinger Straße gelegene Gewerbegebiet mit Wärme versorgt werden. Wobei 60 Prozent der Energie alleine auf die beiden Großkunden entfallen, mit denen bereits alles in trockenen Tüchern ist, wie Reil erklärte: „Der Part ist so weit schon gesichert.“
Biomasse-Kessel und Erdgas-Kessel als Zusatz für Zeiten des hohen Energiebedarfs
Um den Bedarf auch zu Zeiten zu sichern, in denen weniger Abwärme erzeugt wird oder ein besonders hoher Bedarf besteht, werden zusätzlich ein Biomasse-Kessel sowie ein Erdgas-Kessel installiert. Das Unternehmen rechnet damit, dass durch die Abwärme pro Jahr rund 3589 Megawattstunden (MWh) Energie (86 Prozent), per Biomasse (286 MWh) und Erdgas (258 MWh) jeweils rund sieben Prozent Energie erzeugt werden. Als Jahresbedarf stehen für die beiden Großabnehmer jeweils gut 1400 Megawattstunden, für das Gewerbegebiet rund 902 MWh sowie für das Wohngebiet knapp 600 MWh im Raum.
Alle Zahlen seien eher defensiv gerechnet, sodass Reil beispielsweise davon ausgeht, „dass der Deckungsausgleich an fossilen Energien noch deutlich geringer ausfallen wird“, weshalb sie in Hinblick auf die Nachhaltigkeit betonte: „Wir haben hier ein absolut CO2-armes Konzept.“ Auch die Versorgungssicherheit sei gewährleistet. „Das reicht beim Endkunden für die Heizung, aber auch für Warmwasser aus“, versicherte die Ingenieurin dem Gremium. Selbst ein extremes Szenario wie beispielsweise dem Ende der industriellen Abwärme am Standort hat das Unternehmen Gammel Engineering in seine Ausarbeitungen einfließen lassen. Reil: „In diesem Fall kann in den Kreislauf auch eine andere Wärmequelle eingefügt werden.“
Betrieben werden soll die komplette Energieinfrastruktur letztlich durch zwei Unternehmen. Wobei die Gemeinde Feldkirchen-Westerham anhand eines eigenen Kommunalwerks das Wärmenetz – also das Leitungssystem – komplett in der Hand der Kommune behalten wird und auch die Wärmelieferung an den Kunden übernimmt. Eine GmbH & Co. KG hingegen soll für die technischen Grundlagen der Wärmeerzeugung – vom Biomasse-Kessel bis zu den Netzpumpen – verantwortlich zeichnen. Dafür wird sich die Kommune einen externen Partner ins Boot holen, der per europaweiter Ausschreibung gesucht werden wird.
Einstimmiges Votum des Gemeinderats
Ein Vorgehen, dem der Feldkirchen-Westerhamer Gemeinderat in der Sitzung einstimmig grünes Licht gab. Und manche Gemeinderatsmitglieder fast schon zu Lobeshymnen animierte. „Ich freue mich, dass wir endlich so weit sind und es realisieren können“, sagte beispielsweise Zweite Bürgermeister Christiane Noisternig (CSU). SPD-Fraktionssprecher Heinz Oesterle bezeichnete den 30. Juli aufgrund der Entscheidung sogar als „Festtag“. „Seit 30 Jahren fordere und wünsche ich den Aufbau eines Gemeindewerks“, so Oesterle. „Heute gründen wir es.“
Dass nun alles so schnell gegangen ist, hat unter anderem damit zu tun, dass einer der beiden Großabnehmer beim Thema Wärmebezug aufgrund eines defekten Heizungsbrenners erheblich unter Druck steht, wohl nur noch die kommende Heizperiode überbrücken kann. Daher soll das Netz bereits im kommenden Jahr aufgebaut werden, sodass es bereits zur Heizperiode 2025/2026 zur Verfügung steht.
Was aber wiederum die Gemeinde vor große Herausforderungen stellt: Denn die Investitionssumme, die die Kommune stemmen muss, ist trotz staatlicher Förderung von 40 Prozent für das Wärmenetz immens. Insgesamt rechnet das Planungsunternehmen Gammel mit Investitionskosten von rund 7,6 Millionen Euro. Wobei die Investitionssumme für das alleine in gemeindlicher Hand befindliche Kommunalwerk bei rund 3,2 Millionen, bei der Gesellschaft, die gemeinsamen mit einem Partner gestemmt werden soll, bei rund 4,4 Millionen Euro liegen wird.
Die Krux: Diese Beträge sind in dieser Höhe nicht im zu Beginn des Jahres verabschiedeten Haushalt der Kommune enthalten, was zu einem Loch von fast 600.000 Euro führt. Ein Umstand, der das Landratsamt Rosenheim auf den Plan gerufen hat. Die Behörde fordert die Verabschiedung eines Nachtragshaushalts, doch der Gemeinderat will in einer kommenden Sitzung zunächst über mögliche Umschichtungen von Finanzmitteln beraten, um diesen Weg zu verhindern. „Haushaltsrechtlich ist das extrem komplex“, kommentierte Bürgermeister Johannes Zistl (OLV) die Zahlenspiele. Ebenso will das Gremium dann über mögliche Ausbaugebiete für das Wärmenetz beraten.
Expertin sieht zahlreiche Vorteile für die potenziellen Kunden
Doch was hat eigentlich der Bürger davon, wenn er sich dafür entscheiden sollte, seine Energie für Heizung und Warmwasser zukünftig über das neue Wärmenetz zu beziehen? Nach Angaben von Reil jede Menge. Nicht nur, dass sich die Kunden laut Reil für eine „ökologische“ und „sichere Wärmeversorgung“ entscheiden, sie könnten nach Angaben der Expertin auch auf eine „hohe Preisstabilität“ setzen, da kaum fossile Energie benötigt würden. So geht das Unternehmen Gammel davon aus, dass die Bezugspreise für die Kunden zwar über denen von Rosenheim liegen werden, aber sich letztlich unter Kommunen wie beispielsweise Unterhaching, München oder Freising einreihen. Reil: „Wir wollen so wettbewerbsfähig sein, dass auch der jeweilige Endkunde Spaß daran hat.“