Bund Naturschutz übergibt Unterschriften für Tempolimit
Tempo 20 auf der Staatsstraße in Feldkirchen-Westerham? Bürgermeister: „Kann ich mir vorstellen!“
Zuckeln Autos, wie von Umweltschützern gefordert, bald mit Tempo 30 über die Aiblinger Straße und die Staatsstraße 2078 in Feldkirchen-Westerham? Warum sich der Rathauschef sogar Tempo 20 vorstellen kann. Und was eine deutschlandweite Initiative damit zu tun hat.
Feldkirchen-Westerham – Trotz Regierungsbeteiligung der Grünen scheint ein Tempolimit auf Deutschlands Autobahnen, das laut aktueller Umfragen mittlerweile von der Mehrheit der Deutschen befürwortet wird, in weiter Ferne. Doch nicht nur Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen, auch Tempolimits in Kommunen sind oftmals schwer umzusetzen. Denn je nach Art und Beschaffenheit der Straße sind nicht nur die Kommunen, sondern weitere Behörden an der Entscheidung beteiligt. Eine Vorgehensweise, die die Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden“, an der sich deutschlandweit aktuell über 700 Kommunen beteiligen, ändern will. Und der die Gemeinde Feldkirchen-Westerham nach Ansicht der örtlichen Bund-Naturschutz-Gruppe beitreten soll.
Rund um die Osterfeiertage hatte die Ortsgruppe des Bund Naturschutzes (BN) dazu 118 Unterschriften in der Bevölkerung gesammelt, die jetzt dem neuen Bürgermeister Johannes Zistl (OLV) im Rathaus übergeben worden sind. Die Unterzeichner wollen nach Angaben der BN-Führungsspitze die Gemeinde dazu „ermutigen“, das „Engagement für konkrete Maßnahmen“ in Hinblick auf eine Verkehrsberuhigung zu verstärken. Zudem ist der „konkrete Vorschlag“, die Kommune solle der Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden“ beitreten, Bestandteil der Unterschriftenlisten. „Bei den Bürgern, mit denen ich gesprochen habe, hatte ich schon das Gefühl, dass unsere Vorschläge gut ankommen“, sagt Dr. Gertrud Knopp, Vorsitzende der BN-Ortsgruppe Feldkirchen-Westerham, gegenüber dem OVB.
Theo Schneider, der sich viel mit dem Thema Verkehr befasst und zweiter Vorsitzender der Ortsgruppe ist, könnte sich eine Geschwindigkeitsbegrenzung beispielsweise an der Aiblinger Straße vorstellen. Zumal dort viel Verkehr herrsche und es „keinen richtigen Radweg“ gebe. Doch wie schwer es für Kommunen ist, derartige Verkehrsregelungen durchzusetzen, zeigt gerade die Aiblinger Straße. Denn für diesen Straßenzug hatte der Gemeinderat bereits im Jahr 2018 eine Geschwindigkeitsbegrenzung von Tempo 30 angeordnet, die nur wenig später vom Landratsamt Rosenheim als übergeordnete Behörde wieder kassiert worden war. Die Gemeinde hatte das Tempolimit damals unter anderem mit dem hohen Verkehrsaufkommen, Straßenschäden und einer möglichen Gefahr für Radler und Fußgänger begründet. Das Landratsamt wertete die Situation vor Ort hingegen als durchaus gewöhnlich und sah eine Geschwindigkeitsbegrenzung als nicht gerechtfertigt an.
Eine „Ober sticht Unter“-Situation, mit der nahezu täglich Kommunen in der Bundesrepublik konfrontiert sind. Und die die Initative „Lebenswerte Städte und Gemeinden“ abschaffen will. Die Initiative, der mittlerweile über 700 Kommunen aus ganz Deutschland – aus der Region sind beispielsweise die Stadt Kolbermoor sowie die Gemeinden Stephanskirchen und Bad Feilnbach dabei – hat es sich zur Aufgabe gemacht, für mehr Entscheidungsfreiheit der Kommunen beim Einführen von Geschwindigkeitsbegrenzungen einzutreten – „Genau so, wie es die Menschen vor Ort brauchen und wollen!“, wie es die Initiative auf ihrer Homepage formuliert. Ziel sei es, durch Tempolimits „lebendige und attraktive Städte“ und „lebenswerte öffentliche Räume“ für die Bürger zu schaffen.
Initiative will keine flächendeckende Einführung von Tempo 30
„Der Initiative geht es nicht darum, flächendeckend und überall Tempo 30 einzuführen“, betont Theo Schneider und unterstreicht damit eine Stellungnahme, mit der sich die Initiative jüngst gegen Behauptung von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zur Wehr gesetzt hatte. Schneider: „Es geht darum, dort, wo es Sinn macht und für mehr Sicherheit und Lebensqualität für die Bürger sorgt, die Geschwindigkeit zu begrenzen.“
Zumal ein Tempolimit nach Angaben von Schneider nicht nur Vorteile für die Umwelt, sondern oftmals auch für den Verkehrsfluss hätte, was der BN-Vertreter als „Win-Win-Erfahrung“ bezeichnet. Untersuchungen hätten gezeigt, dass der Verkehr bei Tempo 30 oftmals flüssiger fließe als bei Tempo 50, weshalb Schneider überzeugt ist: „Der Verkehr leidet darunter nicht.“ Der Anwohner hingegen profitiere nicht nur von weniger Abgasen, sondern auch von einem geringeren Lärmpegel, prophezeit Schneider und unterstreicht seine Behauptung mit einem Beispiel: „Wenn ein Auto mit einem leeren Anhänger auf der Staatsstraße 2078 bei Tempo 50 auf der Staatsstraße durchs Zentrum von Feldkirchen-Westerham versucht, noch eine grüne Ampel zu erwischen, rumpelt es bei den vielen Kanaldeckeln gewaltig“. Was für die Anwohner ein extremes Ärgernis sei, das durch Tempo 30 verhindert werden könnte.
Tempo 30 als Verkehrshindernis? Das sagt das Umweltbundesamt
Dass Tempo 30 auf Hauptverkehrsadern zum Verkehrshindernis werden könnte, zählt zu den größten Befürchtungen vieler Autofahrer. Das Umweltbundesamt hatte dazu bereits im Jahr 2016 verschiedene Studien verglichen und in einer Publikation folgendes Fazit gezogen: „Eine Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hat in den meisten Fällen keinen nennenswerten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit einer Hauptverkehrsstraße für den Kfz-Verkehr. Andere Faktoren wie die Qualität der Lichtsignalprogramme, die Anzahl querender Fußgänger, oder Bushalte, Parkvorgänge oder Halten in zweiter Reihe haben in der Regel einen größeren Einfluss. Die Funktion einer innerstädtischen Hauptverkehrsstraße für den Kfz-Verkehr wird daher durch Tempo 30 nicht oder nicht nennenswert beeinträchtigt.“
Dass die Verkehrsteilnehmer aufgrund derartiger Maßnahmen keinen Verkehrskollaps zu befürchten hätten, zeige „das Paradebeispiel“ Bad Aibling, wo auf der Münchner Straße rund ums Rathaus und dem Marienplatz sogar Tempo 20 herrsche.. Das Verkehrsaufkommen sei im Feldkirchen-Westerhamer Zentrum zwar ein bisschen höher, doch auf beiden Straßen sei letztlich täglich eine Fahrzeuganzahl im niedrigen fünfstelligen Bereich unterwegs, was einen Vergleich möglich mache. Schneider: „Auch in Bad Aibling läuft der Verkehr dort recht flüssig.“
Doch kann sich Feldkirchen-Westerhams neuer Bürgermeister Johannes Zistl auch vorstellen, dass sich der Verkehr in Zukunft auf der Staatsstraße 2078 mit maximal 30 km/h durchs Ortszentrum schiebt? Kann er – wobei Zistl sogar noch einen Schritt weiter geht. „Ich kann mir dort auch Tempo 20 vorstellen“, so der neue Rathauschef gegenüber dem OVB. Schließlich handle es sich dabei um den Dorfkern der Kommune. Eine Thematik, die laut Zistl auch wichtiger Bestandteil der laufenden Beratungen zu einem Integrierten Städtebaulichen Entwicklungskonzepts (ISEK) für die Gemeinde sei.
In Hinblick auf die Aiblinger Straße, auf der entgegen dem Wunsch der Gemeinde wieder maximal 50 km/h gefahren werden darf, nimmt Zistl das Landratsamt Rosenheim aber in Schutz. Denn dieses würde seine Entscheidungen schließlich auch auf der Basis von „triftigen Gründen“ und „nicht willkürlich“ treffen. Zumal Zistl überzeugt davon ist, dass Kommunen, beispielsweise mithilfe städtebaulicher Möglichkeiten, alle Werkzeuge zur Hand hätten, um Tempolimits durchzusetzen. „Derartige Verkehrsregeln durchzusetzen ist zwar dann manchmal sehr aufwändig, aber meiner Meinung nach fast immer möglich“, sagt Zistl. „Man muss es dann aber auch wirklich wollen.“
BN-Vorstoß soll noch heuer im Gemeinderat diskutiert werden
Ob ein Erfolg der Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden“ einer dieser Wege sein könnte, diese Frage kann Zistl nach eigenen Angaben für sich noch nicht beantworten, da er „sich damit noch nicht ausführlich beschäftigt“ habe. Er habe den Wunsch des der BN-Ortsgruppe aber an den zuständigen Sachbearbeiter der Verwaltung weitergegeben, der den Vorstoß „eingehend“ prüfen werde. Anschließend werde der Gemeinderat darüber beraten und als Entscheidungshilfe eine Bewertung und eine Empfehlung der Verwaltung an die Hand bekommen. Eine Entscheidung ist nach Angaben des neuen Bürgermeisters auf jeden Fall noch in diesem Jahr angedacht.
Die BN-Vertreter hoffen natürlich, dass sich die Kommune dann für einen Beitritt zur Initiative ausspricht. Zumal Schneider glaubt, dass diese Vereinigung auf Bundesebene wirklich etwas bewegen kann. Ein Vorteil sei nach Einschätzung Schneiders beispielsweise, dass mittlerweile auch viele Kommunen mit CSU-Bürgermeistern die Initiative unterstützen und daher die Anzahl der Befürworter im konservativen Lager immer größer werde. Schneider: „Das Thema Umweltschutz und Kampf gegen den Klimawandel ist präsent wie nie. Daher glaube ich, dass man mit dieser Initiative wirklich etwas erreichen kann.“

