Wallfahrten zu den Marienorten in Bayern
Erwartet von der Himmelskönigin: Warum Birkenstein bei Wallfahrern so beliebt ist
Mit dem 1. Mai beginnen wieder die großen Wallfahrten zu den Marienorten in Bayern. Das Interesse ist ungebrochen - trotz Kirchenskandale und -austritte. Andreas Estner ermöglicht mit seinem neuen Buch einen ganz besonderen Blick auf den Gnadenort Birkenstein.
Birkenstein – „Maria hat geholfen!“ Mehr als über 500 Votivtafeln tragen aus drei Jahrhunderten erzählen vom Leiden und Bitten der Menschen, die sie Maria anvertraut haben. „Die Kapelle Birkenstein, die seit 1710 auf einem Felsen über dem Leitzachtal thront, ist ein gebautes Sinnbild europäischer Marienverehrung und steht in der Tradition der Loretokapellen, die seit dem 16. Jahrhundert auch im deutschsprachigen Raum erbaut wurden“, erklärt Journalist Andreas Estner im Vorwort zu seinem umfangreich bebilderten Buch, das 2023 vom Leitzachtal Verlag herausgegeben wurde.
Funkelndes Kabinett aus Gold
Das Buch ist das eine, das Erleben der Kapelle das andere: Ein funkelndes Kabinett aus Gold und Silber, aus Farben, Formen und Licht auf kleinsten Raum, durchwoben von theologischen Aussagen erwartet die Besucher, wie es Estner so wortgewaltig beschreibt. Der Autor weiter: „Alles gipfelt in einem barocken Bühnenstar, der einen - umschwirrt von unzähligen Engeln (insgesamt sind es wohl über 90) - direkt in den Himmel blicken lässt, in dem Maria als Himmelskönigin im Zentrum steht. Unterteilt ist die Kapelle in drei „Räume“ erläutert Estner. Rechts vom Haupteingang, dort wo die Gebetsbänke stehen, ist der „Raum des Glaubens“. Hier knien die Menschen mit ihren Sorgen und Anliegen.
Heiliger Felsen
Dieser Raum liegt auf dem heiligen Felsen von Birkenstein, auf dem Maria einst einem Pfarrvikar im Traum erschien. Niemand kann sich der Faszination dieses durchbeteten Raums entziehen. „...so kannst du dir auch vorstellen, als tretest du jetzt in den Himmel selbst hinein“, schrieb 1869 der Wallfahrtskurat Qirin Maier über die Kapelle Birkenstein. Es sind viele Bitten, die nach Birkenstein getragen werden. Warum aber bringen die Menschen ihre Anliegen zur Mutter Gottes? Warum bitten sie Maria um Fürsprache bei Gott? Warum beten sie nicht direkt zu ihm? Fragen, die der Autor dem Wallfahrtskuraten von Birkenstein, Hans Schweiger stellt. Unter den Heiligen nehme Maria eine besondere Stellung ein, erklärt dieser. „In ihrer Lebensgeschichte stand sie mit Jesus auf einzigartige Weise in Verbindung. Dabei stellte sie sich niemals in den Vordergrund, sie war im Hintergrund. So wie eine Leinwand für ein Gemälde notwendig ist, so war auch Maria notwendig, damit Gott durch sie Mensch werden konnte. Maria ist die Mutter Gottes. Zugleich ist sie auch unsere Schwester im Glauben. Zeit ihres Lebens ist sie auch eine Suchende und Fragende gewesen“, wird dieser zitiert. Und so stehe sie als Mutter der Kirche und der Menschheit uns sehr nahe.
Die Armen Schulschwestern
Eine der vielen Sichtweisen, die Menschen nach Birkenstein aufbrechen lässt. Ein Anziehungspunkt waren aber auch die Armen Schulschwestern, die mit offenen Armen unzählige Gläubige mit all ihren Anliegen empfingen, ihnen zuhörten, für sie beteten. Sie einfach betreuten. Am 13. März 1849 kamen sie offiziell nach Birkenstein, 173 Jahre später, am 30. Oktober 2022 wurden Schwester Eresta Mayr, Schwester Irmengard Hagn und Schwester Theofrieda Suttner von Kardinal Reinhard Marx in der Kirche St. Martin in Fischbachau verabschiedet. „Wer nach Birkenstein kommt, muss sich wohlfühlen. Nur wenn er sich wohlfühlt, kommt er wieder nach Birkenstein zurück“, wird Schwester Ernesta im Buch zitiert.
Schutzraum für die Seele
Ein Schutzraum für die Seele sei die Marienkapelle, für die man Zeit brauche. Ruhe - das ist wohl das Stichwort, das weitere Menschen antreibt. Die Kapelle sei ein Ort der Geborgenheit, führt Schwester Margret von den Missionsschwestern aus, die seit 2023 Kapelle und Wallfahrt betreuen. Weiter ist zu lesen: „Die Loretokapelle ist ja eigentlich das Wohnhaus der Heiligen Familie. Und das ist in dem Raum gegenwärtig. Und man weiß, wie viel die Menschen schon hierhergebracht haben. Das bleibt in dem Raum und das spürt man.“ Birkenstein sei ein Zufluchtsort. Ein Ort, an dem es auch Zuspruch gebe, fügt die Schwester noch an. „Maria wird helfen!“
Aufbruch – hin zu einem anderen Menschen
Die Zahl der Menschen, die aus dem Rosenheimer Land – vom Inntal bis nach Tuntenhausen – jedes Jahr nach Birkenstein kommen, ist sehr hoch: Die Zahl der Gottesdienste liegt zum Teil bei über 1000 im Jahr. Allein die Fußwallfahrten, die bald wieder aus Sindlhausen, Tuntenhausen, Kolbermoor, Rosenheim, Neubeuern, Bad Feilnbach, Au, Schönau, Vagen und Brannenburg kommen, ist stattlich! Die Zahl der privaten Wallfahrten ist ungezählt. Sozusagen „übers Gebirg“ machen sich die Oberaudorfer auf zur Mutter Gottes von Birkenstein. Hier ein kleiner Eindruck:
Im Stockdunkeln trifft sich ein Häuflein Unentwegter am Laurentiusbrunnen an der Oberaudorfer Pfarrkirche. „Auf geht’s nach Birkenstein!“ Was einem antreibt? Wie lässt sich das beschreiben? Eine tiefe Sehnsucht nach einem Bittgang, der soviel Mühsal mit sich bringt, schließlich gilt es, über das Sudelfeld hinweg zur Mutter Gottes von Birkenstein zu marschieren.
Drei Treffpunkte
Drei Treffpunkte sind ins Gedächtnis eingeschrieben: An der Schoiß, am Waldkopf/Sudelfeld und kurz vor Birkenstein sammeln sich die Wallfahrer, viele sind „Stammgeher“, nicht wenige nehmen zum ersten Mal die Strapazen auf sich. Um zu beten? Durchaus. Bergab wird Rosenkranz gebetet, mitunter sogar ein Lied geschmettert. Früher habe man, weiß eine der erfahrenen Birkenstein-Pilgerinnen, sogar noch ein Kreuz mitgetragen. Es ist ein langer, beschwerlicher Weg. Wenn man so will, steht er für viele Pilger symbolisch für Vieles, was sich das Jahr über an Schönem, an Schwerem zugetragen hat. Ihr Rucksack enthalte nicht nur die Brotzeit, sondern vor allem Anliegen „ned nur von mir, sondern aa von meiner Familie, meine Freundinnen, dene wo’s ned guad geht“, erklärt eine ältere Dame mit resolutem Schritt.
Kraft aus der Stille
Die Stille des gemeinsamen Marschierens über Stunden hinweg - von der tiefen Dunkelheit am frühen Morgen hinein ins strahlende Licht des Tages - sei heilsam, ordne die Gedanken. Man komme als ein anderer Mensch bei der Mutter Gottes an – erledigt zwar vom weiten Weg, voller Kraft jedoch für die neuen Herausforderungen des Lebens.
Und im nächsten Jahr? „Bist wieder dabei?“, frage ich meine Wegbegleiterin. „So Maria, die Mutter Gottes, will“, entgegnet sie lächelnd und überaus stolz, den Weg „umme“ bewältigt zu haben.
Eine Loretokapelle für Birkenstein
Zwei Kapitel widmet Andreas Estner dem Heiligen Haus in Loreto und den Loretokapellen in Bayern und Österreich. Die Basilika in Loreto ist nach dem Petersdom in Rom eine der wichtigsten Wallfahrtsstätten der katholischen Welt. Unter der riesigen Kuppel befindet sich eines der größten Heiligtümer der Christenheit: Die „Santa Casa“, das Heilige Haus von Nazareth. Jenes Haus, in dem die heilige Maria geboren und aufgewachsen ist, in dem die Heilige Familie wohnte. Engel hätten das Haus in der Zeit der Kreuzzüge aus Jerusalem gerettet, zunächst nach Tsar in Kroatien und dann - über das Meer - durch die Lüfte nach Italien „getragen“.
Schon um 1480 wurde diese Legende nach Bayern überliefert. Das bayerische Herzogshaus der Wittelsbacher gehörte ebenfalls zu den frühen Loreto-Verehrern. Ab 1600 entstand dann im heutigen Bayern viele Loretokapellen.
Die nächstgelegenen zu uns, führt Estner auf, sind Reutberg (1606) und Rosenheim (1636). Und weiter: „Dass Gläubige aus der Region große Wallfahrten unternahmen, zeigt die Geschichte der Loretokapelle in Rosenheim. Sie geht zurück auf Georg Schaur (1579-1652), der im Jahr 1600 eine Wallfahrt von Rosenheim nach Rom unternahm. Als er in Loreto schwer erkrankte, legte er ein Gelübde ab. Wenn er gesund heimkomme, würde er eine Loretokapelle stiften. Georg Schaur erfüllte sein Versprechen. Die Kapelle wurde gebaut, der Platz davor heißt Loretowiese und dient heute als Festplatz für das Rosenheimer Herbstfest.“ Auch Birkenstein sollte eine Loretokapelle bekommen: Am 14. Mai 1710 wurde der Grundstein gelegt.
*Andreas Estner, „Birkenstein“, Leitzachtal Verlag Preis: 44 Euro.


