Spuren führen zu Stiftung
Ein Lebenszeichen im Internet: Reichsbürgerschule Deutelhausen sucht Lehrer
Seit Wochen war es ruhig um die illegale Schule in Deutelhausen. Nur beim Nachrichtendienst Telegram hieß es, die Schule sei nicht geschlossen. Irgendwann kursierte das Gerücht, sie hätten im Nachbarort ein neues Domizil gefunden. Seitdem: Ruhe.
Schechen-Deutelhausen – Die Regierung von Oberbayern weiß nichts Neues. Das Landratsamt weiß nichts Neues. Das Polizeipräsidium weiß nichts Neues. Noch ein schneller Blick ins Internet. Das weiß was Neues.
Bei einer Jobbörse für all diejenigen, die bei der Arbeit keine Maske tragen, sich nicht testen und nicht impfen lassen wollen, sucht die Stiftung „Freiheit braucht Mut“ einen Lehrer, gerne aus Russland und Deutsch sprechend, für alle Schularten im Raum Rosenheim.
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Und es findet sich ein Ausriss aus dem von Querdenkern, Reichsbürgern und ähnlich denkenden Menschen bevorzugten Nachrichtendienst „Telegram“, in dem ein Oliver N. energisch behauptet, die Schule sei nicht geschlossen.
Keine Erkenntnis über neuen Standort
Unterricht könne in der Tat stattfinden, sagt auch Wolfgang Rupp, Sprecher der Regierung von Oberbayern. Denn es gebe ja Lerngruppen in allen denkbaren Variationen. Die müssen – im Gegensatz zu einer Schule – kein Genehmigungsverfahren durchlaufen. Die Schule in Deutelhausen jedenfalls sei nach wie vor geschlossen. Über einen neuen Standort gebe es keine Erkenntnisse.
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Bei weiteren Recherchen im Internet taucht plötzlich Sonja B., geborene Kaiser, als Schirmherrin der illegalen Schule auf. Die Dame hat sich einen Namen gemacht. Für die einen ist sie „eine Walküre der deutschen Völker“, für die anderen eine Betrügerin. Letztere warnen in verschiedenen Foren, dass sie für eingenommene Gelder einer „Schutzzone“ keine Buchungsunterlagen vorweisen könne. Gelder, die man auf ihrer Webseite, gestaltet mit vielen gotischen Lettern, für Urkunden wie eine Lebenderklärung für 240 Euro – „gedruckt auf Zertifikatpapier“ – ausgegeben haben könnte.
Der ebenfalls dort für 95 Euro erhältliche Staatsangehörigkeitsnachweis ist unterzeichnet vom „Königlich Preussischen Regierungspräsident“. Flüchtiger Blick ins Geschichtsbuch: Das Königreich Preußen ging 1871 im Kaiserreich auf, dieses endete mit der Novemberrevolution 1918 und der Freistaat Preußen wurde 1947 von den Alliierten zerschlagen.
Deutliche Hinweise auf Anastasia-Bewegung
Von Sonja B. ausgestellte Rechnungen – auch an das OVB wegen „Entehrung“ der Stiftung Freiheit braucht Mut – sind oftmals unterzeichnet mit „Das lebend beseelte, freie, souveräne, atmende Weib Sonja aus der Familie Kaiser“.
Dr. Matthias Pöhlmann ist der Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern. Derartige Formulierungen sind für ihn ein deutlicher Hinweis auf die Anastasia-Bewegung. Diese stützt sich auf eine russische Buchreihe. Jede Familie soll gemäß der Romane auf einem eigenen Familienlandsitz leben und sich dort selbst versorgen, um „Reinheit“ zu erlangen. Basierend auf dieser Ideologie hat sich die Anastasia-Bewegung in Russland formiert – seit einigen Jahren versuchen deren Anhänger laut Pöhlmann auch in Deutschland Fuß zu fassen.
Rechtsextremistisch und antisemitisch
„Das Problematische ist, dass die Bücher neben der Natur-Romantik auch eindeutig rechtsextremistische und antisemitische Vorstellungen enthalten“, so Pöhlmann auf der Internetseite der Gewerkschaft der Polizei. Die Anhänger seien durchaus gut vernetzt, auch in die rechte Szene.
Innenministerium weiß von Familienlandsitz im Chiemgau
Die Anastasia-Bewegung beschäftigte auch den bayerischen Landtag. Sowohl die Grünen, als auch die FPD und vor wenigen Wochen Landtagsvizepräsident Markus Rinderspacher (SPD) stellen seit 2019 Anfragen.
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Dabei kam unter anderem heraus, dass der Verfassungsschutz sie aufgrund der ideologischen Bezüge zum Rechtsextremismus oder zur Reichsbürgerbewegung „im Blick behalte“, so die Antwort des Innenministeriums. Darüber hinaus wurden im August 2021 Bemühungen um die Gründung eines Familienlandsitzes im Chiemgau bekannt, heißt es weiter.
Inspiriert von antisemitischer und militaristischer Pädagogik
Am Briefkasten der Schule in Deutelhausen standen die Buchstaben ODGB für „Ort der ganzheitlichen Begegnung“. Auf der heute nicht mehr öffentlich zugänglichen Internetseite odgb-bayern.org fand sich der Verweis, dass Orte der ganzheitlichen Begegnung „inspiriert“ seien von der russischen Pädagogik Schetinins. Diese gilt nach Pöhlmann und anderen Experten als nationalorientiert, antisemitisch und militaristisch.
Landesanwalt arbeitet an Disziplinarverfahren
Die Deutelhausener Schulleiterin Veronika G. ist verbeamtete – und krankgeschriebene – Lehrerin an der Grund- und Mittelschule Glonn. Die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sie wird nach wie vor geprüft. „Aktuell wurde der Landesanwaltschaft Bayern – Disziplinarbehörde – die Übermittlung weiterer Erkenntnisse durch eine andere Behörde angekündigt. Deren Eintreffen warten wir ab, um diese dann in die Prüfung der Einleitung eines Disziplinarverfahrens mit einzubeziehen“, so Oberlandesanwalt Michael Pahlke.
Telegram: Razzien bei Polizeipräsidium Oberbayern noch kein Thema
In Dresden gab es am Mittwoch, 15. Dezember, Razzien der Polizei bei Mitgliedern einer geschlossenen Telegram-Gruppe. Dort gab es mehr oder minder eindeutige Morddrohungen gegen den sächsischen Ministerpräsidenten. Soweit ist es im südlichen Oberbayern nicht. Martin Emig, Sprecher des Polizeipräsidiums, sagt dazu: „Wenn überhaupt, liegt das beim Verfassungsschutz. Bei uns sind Razzien gegen Leute aus Telegram-Gruppen noch kein Thema.“