Wie Angela und Michael Stark helfen
Fest des Lebens in Kriegs-Zeiten: Maria aus Odessa bringt in Kolbermoor gesundes Mädchen zur Welt
Ein Weihnachten zwischen Leben und Sterben erleben die Menschen in der Ukraine. Angela und Michael Stark aus Kolbermoor stehen ihnen zur Seite. Wie Geburt und Tod, Hoffnung und Verzweiflung den Alltag ihrer Landsleute prägen, erzählen sie hier.
Kolbermoor - An Weihnachten rückt die Familie zusammen. Aber was, wenn einer fehlt, weil er im Krieg ist? Der Ehemann, der Bruder, der Vater. Was unsere Groß- und Urgroßeltern mit Beginn des Zweiten Weltkrieges erlebten, ist 83 Jahre später mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine nach Europa zurückgekehrt.
„Wir waren uns sicher, dass es keinen Krieg geben würde, dass Putin nur seine Muskeln spielen lässt“, sagt Michael Stark. Der Ukrainer kam schon 1993 von Lwiw nach Deutschland. Seine Frau Angela ist Russlanddeutsche und emigrierte mit ihrer Familie aus dem kasachischen Pawlodar nach Deutschland. Seit Anfang der 90er-Jahre leben die beiden in Bayern, seit 2005 sind sie Kolbermoorer. Jetzt erleben sie eine Weihnachtsgeschichte zwischen Leben und Tod, denn der Kontakt zu Familie und Freunden in der Ukraine ist nie abgebrochen.
Unterkünfte vom „anderen Ende der Welt“ aus organisiert
Als Russland am 24. Februar die Ukraine überfiel, waren die Starks gerade im Urlaub in der Dominikanischen Republik angekommen. „Wir wollten sofort wieder zurückfliegen, aber die Umbuchung war schwierig“, erzählen sie. Also begannen sie „am anderen Ende der Welt“ mit der Organisation von Unterkünften für ihre Landsleute. „Wir haben eigentlich die ganze Zeit nur telefoniert.“
Wieder daheim in Kolbermoor sammelten sie Hilfsgüter. „Unsere Garage war voller Kartons.“ Kleidung, Windeln, Rollstühle, Gehstützen. Auch als das Hinrichssegener Kleiderkammerl aufgelöst wurde, holte Stark die restlichen Sachen ab, denn in der Ukraine werden sie dringend gebraucht. Wichtig ist ihm dabei auch, dass die Menschen wissen, wo ihre Spenden ankommen. Deshalb wird jeder Hilfstransport dokumentiert, kommen Fotos und Dankesgrüße aus der Ukraine per Facebook zurück.
VW-Transporter fährt aus Kolbermoor an die Front
„An der Front fehlen Fahrzeuge, also habe ich gebrauchte Volkswagen T 4 gekauft. Die haben gute Motoren, Allrad-Antrieb und viel Platz für Material“, beschreibt Stark. In Lwiw wurden sie dann in Camouflage-Farben lackiert, danach kamen sie an der Front zum Einsatz. Auf Facebook erreichen ihn Fotos von den Soldaten. Ein Dankeschön für die Hilfe. Ein Beweis, dass sie wirklich dort ankommt, wo sie dringend gebraucht wird.
Aber es sind auch erschütternde Fotos und Videos, wie das eines T 4 mit einem Rosenheimer Kurzzeitkennzeichen, der von einer Bombe getroffen wurde. Alle Soldaten kamen dabei ums Leben.
Die Starks versuchen zu helfen, wo sie nur können. Kaufen Nachtsichtgeräte, Taschenlampen, Powerbänke, Stromgeneratoren, feste Schuhe, warmen Socken und Unterwäsche - für die Zivilbevölkerung und die Soldaten. „Die Armee braucht dringend Schutzwesten, aber wir haben bisher vergeblich versucht, welche zu bekommen“, machen sie auf ein großes Problem aufmerksam.
Sponsoren, Spender, Freunde und Bekannte packen mit an. Doch die Starks investieren auch viel privates Geld. „Unsere Leute kämpfen ums Überleben, da muss man einfach helfen“, sagt Angela. Seit Kriegsbeginn arbeiten sie und ihr Mann auch als ehrenamtliche Dolmetscher und wissen: „Es sind furchtbare Dinge, die die Menschen erlebt haben und erleben.“
Der Tod ist der ständige Begleiter der Ukrainer. Der Sohn eines Freundes aus Lwiw ist gefallen. Mit 21 Jahren. Er war einer von 13.000 ukrainischen Soldaten, die nach offiziellen Angaben ihr Leben für ihre Heimat gaben. Die Zahl der zivilen Opfer schätzt das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte auf mindestens 6.755 Todesopfer, darunter sind mindestens 424 Kinder.
Dankbar für Schutz und Sehnsucht nach der Heimat
Das Leben geht weiter. „Die ukrainischen Flüchtlinge sind dankbar, dass sie hier Schutz gefunden haben, aber alle wollen sie vor allem eines: nach Hause“, berichtet Angela Stark. Etwa 20 neugeborene Ukrainer hat die Hebamme in den vergangenen Monaten auf ihrem Weg ins Leben begleitet. „Es ist emotional ganz schwierig für die Familien, bei einem so wichtigen Ereignis wie der Geburt auseinandergerissen zu sein. Die Frauen als Flüchtlinge in Deutschland, die Männer in ihren zivilen Berufen oder bei der Armee in der Ukraine“, beschreibt sie. „Die Mütter weinen sehr viel, manche bekommen Wochenbettdepressionen.“ In diesen Momenten sind Angela und Michael für sie da, spenden Trost in ihrer Muttersprache und stehen im Alltag bei, wo es nur geht.
Nur über Handyvideos können sich frisch gebackene Mütter, Väter und ihre Kinder begegnen. So lernte auch die kleine Milana, die mit ihrer Mama Maria und Oma Lena heute in Kolbermoor lebt, ihren Papa in Odessa kennen. Das Mädchen war eines der ersten ukrainischen Kinder, das in Rosenheim auf die Welt kam.
Nicht immer können die Starks helfen. Oft verzweifeln sie an der deutschen Bürokratie, die unglaubliche Blüten treibt. „Eine junge Mutter bekommt keine Geburtsurkunde für ihr Kind, weil sie dafür die Originalunterschrift des Vaters braucht“, beschreibt Angela. Dabei weiß inzwischen jeder, dass Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren die Ukraine nicht verlassen dürfen.
Welche Blüten die Bürokratie treibt
Dieser Vater musste sich trotzdem auf den Weg machen, um unverständliche Formalitäten zu klären, musste mit seinem letzten Geld die Behörden bestechen, um innerhalb von drei Tagen nach Rosenheim zu fahren und sofort wieder zurückzukehren. „Ohne Geburtsurkunde bekommt man keine Krankenversicherung für das Kind“, macht die Hebamme klar. Die Mutter, die allein mit ihrem elfjährigen Sohn und dem Neugeborenen ist, ist verzweifelt.
Der Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert jetzt zehn Monate. An Weihnachtsfriede ist nicht zu denken - weder am 25. Dezember, noch am ukrainischen Weihnachtsfest am 6. Januar. Trotzdem verzweifeln die ukrainischen Menschen nicht am Leben. Sie feiern es, in ihrer Heimat und auf der Flucht: mit jedem Kind, das das Licht der Welt erblickt. Und sie sind dankbar fürs Leben.



