Feldkirchen-Westerhamer Paar gründete Selbsthilfegruppe
Den Tod vor Augen: Wie ALS-Patient Helmut Maljarik seine „Gnadenzeit“ nutzen will
Wie viel Zeit ihm noch bleibt, ist völlig offen: Helmut Maljarik (70) ist an ALS erkrankt. Eine Krankheit, die immer tödlich endet. Wie der Feldkirchen-Westerhamer seine verbleibende Zeit nutzen will und gemeinsam mit seiner Frau Trude anderen Betroffenen zur Seite steht.
Feldkirchen-Westerham – Sind es Jahre, Monate oder Wochen, die Helmut Maljarik (70) aus Feldkirchen-Westerham noch bleiben? Auch Ärzte können dem 70-Jährigen darauf keine Antwort geben. Maljarik ist an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankt, eine unheilbare Erkrankung des Nervensystems. Mittlerweile hat sich der Feldkirchen-Westerhamer mit seiner todbringenden Erkrankung arrangiert. Für seine „Gnadenzeit“ hat er sich noch ein paar besondere persönliche Ziele gesetzt. Und will zudem gemeinsam mit seiner Frau Trude (66) durch eine Selbsthilfegruppe anderen Betroffenen zur Seite stehen.
2019 hatte sich das Leben des Rentners schlagartig geändert. Auslöser war die Sorge einer Nachbarin, die bei Helmut Maljariks Ehefrau Trude nachgefragt hatte, ob er denn einen Schlaganfall gehabt habe: „Er redet so komisch, so langsam.“ Eine Aussage, die den 70-Jährigen so sehr beunruhigte, dass er am Abend vor dem damals geplanten Urlaub seine Frau dazu überredete, den Urlaub abzublasen. Trude Maljarik stimmte allerdings nur unter der Bedingung zu, dass ihr Mann gleich am nächsten Tag zum Arzt gehe, um sich durchchecken zu lassen.
Neurologe stellt die Schock-Diagnose
So begann für den Feldkirchen-Westerhamer ein Ärztemarathon. Durch ein MRT des Gehirns konnte zunächst ein Blutgerinsel ausgeschlossen werden, ebenso eine Demenz-Erkrankung, da keine Veränderungen der Gehirnstruktur erkennbar war. Die Schock-Diagnose stellte letztlich ein Neurologe, zu dem der heute 70-Jährige anschließend überwiesen worden war. Anhand von Untersuchungen der Nervenbahnen per Strom, die nach Angaben von Maljarik „sehr unangenehm“ waren, stellte der Mediziner eine Zungenlähmung fest – und folgerte daraus die Erkrankung ALS in der speziellen Form der Bulbärparalyse, die vor allem die Nerven der Kau-, Schluck- und Sprechmuskulatur angreift.
„Mein erster Gedanke war: Scheiße!“, erinnert sich Helmut Maljarik. „Zumal ein Freund von mir die selbe Erkrankung hatte und ich hautnah miterleben musste, wie er zehn Monate nach der Diagnose daran gestorben ist.“ Für Helmuts Ehefrau Trude, die aufgrund ihrer medizinischen Vorkenntnisse als Altenpflegerin bereits eine Vorahnung hatte, sei „eine Welt zusammengebrochen“. „Im ersten Moment hatte ich richtige Panikattacken“, erzählt die 66-Jährige. Zumal sich die letzte Hoffnung, der Neurologe könnte vielleicht falsch liegen, bei weiteren Untersuchungen im Münchner Klinikum rechts der Isar zerschlagen hatten. So hatten die Experten dort unter anderem einen erhöhten Nervenzerfall festgestellt.
Doch nicht in erster Linie die Bestätigung der Diagnose, sondern vor allem der gesundheitliche Zustand anderer ALS-Patienten, die auf der Station zur selben Zeit untergebracht waren, hatte das Ehepaar Maljarik besonders schockiert. „Man ist erschüttert, was für Schicksalen man dort begegnet“, sagt Trude Maljarik und erzählt beispielsweise von jungen ALS-Patienten mit höchstens 40 Jahren, „die eigentlich noch ihr ganzes Leben vor sich hätten“.
„Mittlerweile versuche ich einfach, jeden Tag das beste daraus zu machen“
Eine Erfahrung, die beim Ehepaar aus Feldkirchen-Westerham auch dazu geführt hatte, die tödliche Krankheit als das anzunehmen, was sie ist: Eine Tatsache, die sich nicht ändern lässt. „Man muss sich selbst zur Ordnung rufen“, sagt Trude Maljarik. „Jeder stirbt irgendwann. Den Zeitpunkt haben wir sowieso nicht in der Hand.“ Eine Einschätzung, die Helmut Maljarik teilt, auch wenn die Gedanken an den eigenen Tod natürlich seit der Diagnose immer wieder sehr präsent sind. „In der ersten Zeit hat es mich natürlich extrem beschäftigt“, sagt der 70-Jährige. „Mittlerweile versuche ich einfach, jeden Tag das beste daraus zu machen.“
„Meine Gnadenzeit“ – so nennt der Feldkirchen-Westerhamer die Zeit, die ihm seit der Diagnose noch bleibt. Wie lange das sein wird? Schwer zu sagen. Die mittlere Lebenserwartung läge bei vier bis fünf Jahren. Ihm selbst gehe es „gut“, sagt Helmut Maljarik. Einzig offensichtliches Symptom ist die langsame Artikulation des 70-Jährigen. So, als müsse er über jedes Wort ein bisschen nachdenken. Doch das größte Problem ist nicht das schleppende Sprechen – sondern möglicherweise zunehmende Schluckbeschwerden, die dazu führen können, dass Speichel und Nahrung in die Lunge gelangen und eine schwere Lungenentzündung hervorrufen. Was bei ALS-Patienten dann oftmals zum Tod führe.
Infos und Kontakt für Betroffene und Angehörige
Die ALS-Selbsthilfegruppe, die Trude und Helmut Maljarik aus Feldkirchen-Westerham ins Leben gerufen haben, richtet sich an alle Betroffenen und deren Angehörige aus Stadt und Landkreis Rosenheim und darüber hinaus. Eine Kontaktaufnahme zur Selbsthilfegruppe ist per E-Mail an die Adresse ALSselbsthilfe@web.de oder über die Facebook-Seite „Als Selbsthilfe Landkreis Rosenheim“ möglich. Ausführliche Infos zur Erkrankung Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) gibt es beispielsweise bei der ALS-Hilfe Bayern sowie beim Landesverband Bayern der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke.
Doch diese Ängste will das Ehepaar Maljarik nicht in den Mittelpunkt der noch verbleibenden Zeit stellen. Stattdessen wollen die beiden das Leben genießen, beispielsweise bei Motorrad-Urlauben, die zur großen Leidenschaft der Feldkirchen-Westerhamer zählen. So soll es auf der „Triumph Tiger Sport“ demnächst in den Bayerischen Wald und nach Tschechien gehen. „Das ist für mich einfach ein Gefühl von Freiheit“, sagt der 70-Jährige, dessen Augen beim Thema Motorrad sofort zu leuchten beginnen. Auch bei der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde (EFG) Bruckmühl will sich das Paar weiterhin aktiv einbringen. Denn „der Glaube ist in diesen Momenten ein wichtiger Anker“, sagt Trude Maljarik. Und auch ihr Mann ist überzeugt davon, „dass ein Gebet noch nie geschadet hat“.
Ehepaar will Betroffenen und deren Angehörigen zur Seite stehen
Ebenso wie anderen ALS-Betroffenen und deren Angehörigen zur Seite zu stehen. Daher hat das Ehepaar mittlerweile eine Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen, die sich an Menschen aus der ganzen Region richtet. Zumal ALS-Betroffene nach Einschätzung von Helmut Maljarik nicht gerade eine große Lobby haben, wie das Beispiel Forschung zeige: „Bei derart seltene Erkrankungen ist das Interesse der Pharmakonzerne, wirksame Medikamente zu entwickeln, auch nicht so groß, weil sich da dann nicht das große Geld verdienen lässt.“ Dabei glaubt er, dass die Dunkelziffer an ALS-Erkrankungen deutlich höher sei, oftmals aber fälschlicherweise ähnliche Erkrankungen diagnostiziert würden.
Sie selbst wollen auf jeden Fall Betroffenen und Angehörigen als Anlaufstelle dienen und ein offenes Ohr und Begleitung, aber auch Beratung, beispielsweise beim Umgang mit der Krankenkasse, bieten. Derzeit gebe es zwar noch keine regelmäßigen Treffen der Selbsthilfegruppe, aber auch das sei bei steigender Nachfrage denkbar. Denn für das Feldkirchen-Westerhamer Ehepaar ist klar: „Wir haben noch die Kraft und wollen für andere Menschen da sein.“
Ein Ziel will Helmut Maljarik unbedingt noch erreichen
Und wie sieht es mit den beiden Zielen aus, die Helmut Maljarik in seiner „Gnadenzeit“ noch unbedingt erreichen will? Hinter dem ersten Ziel, die Hochzeit einer seiner beiden Töchter mitzuerleben, konnte er bereits 2022 einen Haken setzen. „Jetzt will ich auch noch das erste Mal Opa werden“, sagt der 70-Jährige und strahlt dabei über das ganze Gesicht. Denn im Oktober wird die andere Tochter der Maljariks ihren ersten Enkelsohn auf die Welt bringen. „Vielleicht bekomme ich dann auch noch die Zeit, ihn aufwachsen zu sehen“, so der 70-Jährige, der trotz der todbringenden Erkrankung über sein Leben sagt: „Ich bin zufrieden, froh und dankbar.“