Neue Verordnung tritt in Kraft
Auf zum großen Halali: Schonzeit-Jagd auf die Gams ist wieder eröffnet – Naturschützer laufen Sturm
Die Regierung von Oberbayern hat zum großen „Halali“ geblasen: Die Jagd auf die Gams kann beginnen. Auch in ihrer Schonzeit. Warum Naturschützer und Rechtsanwälte jetzt Sturm laufen – und was Staatsförster dazu sagen.
Chiemgau – Es gibt sie überall in den Chiemgauer Alpen. Die Gams. Ihre Bestände sind gefährdet. Und Naturschutzverbände wie der Verein „Wildes Bayern“ oder die Deutsche Wildtier Stiftung sehen die Art vor allem aufgrund der ganzjährigen Jagd bedroht. „Nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie sind wir verpflichtet, einen günstigen Erhaltungszustand von Gämsen zu bewahren“, erklärt Wildbiologin und „Wildes Bayern“-Vorsitzende Dr. Christine Miller. Doch durch den anhaltend hohen Jagddruck gebe es nur noch sehr wenige, für das Gamswild ganzjährig geeignete Rückzugsgebiete.
Wurde Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes ignoriert?
Auch deshalb hatte der Verein gegen die Schonzeit-Aufhebung geklagt. Das Bundesverwaltungsgericht ordnete diese Jagdpraxis als „rechtswidrig“ ein. Doch der Erfolg war von kurzer Dauer. Nur einen Monat später verkürzt die Regierung von Oberbayern die Schonzeit für Gams, Hirsch und Reh erneut. Auf Antrag der Bayerischen Staatsforsten.
Mit einer Verordnung vom 13. Dezember, die am 15. Dezember in Kraft tritt. Pünktlich zum Beginn der eigentlichen Schonzeit. Die Jagd auf Gams & Co geht also weiter. Ohne Pause. In 85 Schutzwaldgebieten im Alpenraum zwischen Garmisch-Partenkirchen und Berchtesgaden. 30 dieser Waldgebiete befinden sich in den Landkreisen Rosenheim und Traunstein.
Hier darf auch während der Schonzeit gejagt werden
In diesen „Waldabteilungen“ der Landkreise Rosenheim und Traunstein darf die Jagd im Rahmen der geltenden Abschussplanung abweichend von den gesetzlichen Schonzeiten ausgeübt werden: Gießenbach, Innerwald, Klausgraben, Alpbach, Danzing, Eibelsbach, Friedenrath, Gschoßwände, Hammerergraben, Hochfelln-Ost, Hochfelln-West, Hörndl, Inzeller Kienberg, Kaltenbach-Nord, Kampenwand-Süd-Ost, Kampenwand-Süd-West, Kienbergl-Falkenstein, Mühlprachkopf, Reitberg, Rottauer Tal, Schneiderhanggraben-Nord, Schneiderhanggraben-Süd, Seehauser Kienberg, Staufen-Nord, Steinbach, Walmberg, Weißache, Weitlahner, Wundergraben und Wildbarren.
„Die Verordnung tritt als Nachfolgeregelung in Kraft“, informiert ein Sprecher der Regierung von Oberbayern. Denn unabhängig von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei klar, „dass für den Erhalt des Schutzwalds und seiner Funktionen eine Nachfolgeregelung unerlässlich ist“.
Die Schutzwälder sollen dadurch in ihrem Bestand und ihrer Verjüngung vor übermäßigem Verbiss durch Rot-, Gams- und Rehwild geschützt werden. Und genau das unterstreicht auch die Bayerische Forstministerin. Michaela Kaniber begrüßt die Entscheidung der Regierung von Oberbayern: „Dieser Schritt ist absolut entscheidend, um unsere überlebenswichtigen Schutzwälder zu erhalten und zu sanieren.“ Von dieser Verordnung hänge der Schutz von Leib und Leben der Menschen im bayerischen Alpenraum ab.
Urteilsbegründung noch nicht veröffentlicht
Auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVG) geht die Ministerin nicht ein. „Dieser wird Rechnung getragen“, versichert ein Regierungssprecher. Soweit das nach der mündlichen Verhandlung in Leipzig möglich ist. Denn „die schriftliche Urteilsbegründung zum Verfahren befindet sich noch in Ausfertigung und ist noch nicht veröffentlicht“, so eine BVG-Sprecherin auf OVB-Anfrage.
Der Verein „Wildes Bayern“ will Klage einreichen. Weil der Naturschutz zu wenig Beachtung finde, weil es nicht nur um den Bergwald, sondern auch um das Bergwild gehe, sagt Dr. Miller: „Dort, wo die Gams bejagt wird, leben viele weitere schützenswerte Arten wie Auer- und Birkhühner. Welche Auswirkungen die Schonzeit-Aufhebung auf ihren Bestand hat, ist nicht erforscht.“ Deshalb dürfe es Jagd nur in Verbindung mit einem lückenlosen Monitoring geben, um die Entwicklung dieser Bestände zu beobachten. „Und das sollten nicht die Förster der Staatsforsten übernehmen, sondern die Naturschutzbehörden.“
Im Chiemgau wird die Gams „vergrämt“
Die Bayerischen Staatsforsten bewirtschaften etwa 80 Prozent des Gamslebensraumes. „Beinahe jede fünfte Gams in den ausgewiesenen Schutzwaldgebieten wird in der Schonzeit geschossen“, sagt Wildbiologin Miller. Dem widerspricht Joachim Keßler, der Leiter des Forstbetriebes Ruhpolding der Bayerischen Staatsforsten. „Im Chiemgau und im Priental bejagen wir unsere Schutzwaldflächen verantwortungsbewusst und nachhaltig. Den Schutzwäldern im Chiemgau bekommt das gut.“
Überall in den Chiemgauer Bergen sei die Gams heimisch, im Winter vor allem an den Südseiten der Gebirgsketten, berichtet Keßler. „Während der Schonzeit beobachten wir die ausgewiesenen Schutzwaldflächen. Und nur wenn dort wirklich Gämsen einziehen, erlegen wir einzelne Tiere zur Vergrämung, um sie aus dem Bereich wieder zu verdrängen“, erklärt er. Laut Abschussplan der Unteren Jagdbehörde dürfen in seinem Bereich pro Jahr 330 Gämsen erlegt werden. „Das ist ein sehr kleiner Teil der Population in den Chiemgauer Alpen“, so Keßler. Den Gams-Bestand im Forstbetrieb Ruhpolding kann er nicht genau beziffern.
Schutzwaldflächen wurden reduziert
„Wir wissen nicht, wie sich diese Vergrämungsmaßnahmen auf geschützte Vogelarten auswirken“, betont Wildbiologin Miller: „Auerhuhn und Birkhuhn sind sehr störungsempfindlich. Die Jagd während der Schonzeit vergrämt auch sie, und das ausgerechnet in ihrer Balz- und Brutzeit.“
Die Mitarbeiter der Bayerischen Staatsforsten haben die neue Verordnung zur Schonfrist-Aufhebung mit vorbereitet. „Es wurden viele Naturschutzbelange eingearbeitet und die stärker zu bejagenden Schutzwaldflächen reduziert“, versichert Keßler. Allein im Bereich des Forstbetriebes Ruhpolding werde die Schonzeit nun in 2000 Hektar Bergwald nicht mehr aufgehoben.
Naturschutzverbände erwägen Klagen
Naturschutzverbände haben die neue Verordnung am Freitag (13. Dezember) in einer Online-Sonderausgabe des „Oberbayerischen Amtsblatt“ gefunden. „Ich bin unangenehm überrascht“, sagt Ernst Weidenbusch, der Präsident des Bayerischen Jagdverbandes. Er ist Rechtsanwalt und weiß: „Man kann das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, also des obersten Verwaltungsgerichts der Bundesrepublik, nicht einfach ignorieren und die Verordnung wieder genau so machen wie vorher.“ Denn die am 13. Dezember veröffentlichte Fassung enthält keinen neuen Gesetzestext, sondern definiert nur die Jagdzeiten und die Schutzwaldgebiete in den oberbayerischen Landkreisen.
Der Streit um das Bergwild geht in die nächste Runde. Der Jagdverband analysiert die Verordnung und wägt ab, ob er Klage einreicht. Auch der Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern. Der Verein „Wildes Bayern“ wird auf jeden Fall klagen. „Wir sind sehr überrascht, dass die Regierung von Oberbayern innerhalb von 38 Tagen in allen 85 Schutzwaldgebieten und auf 25.000 Hektar die Auswirkungen der Schonzeit-Aufhebung auf die Schutzgüter geprüft und dazu Gutachten erstellt hat“, sagt Dr. Christine Miller ironisch, „denn das war eine klare Forderung des Bundesverwaltungsgerichtes“. Da das aus der neuen Verordnung nicht erkennbar sei, klage der Verein.
Das ist „eine Machtdemonstration, ein Spiel auf Zeit“
Dann, so erläutert Miller, „muss uns der gesamte Akt ausgehändigt werden, das heißt alle Gutachten, die für die Verabschiedung einer rechtssicheren Verordnung erstellt wurden.“ Sie rechnet damit, dass den Anwälten von „Wildes Bayern“ im Januar die Unterlagen vorliegen. Die neue Verordnung ist für sie „eine Machtdemonstration, ein Spiel auf Zeit“. Nicht nur, weil rechtsstaatliche Prinzipien auch für eine Regierung von Oberbayern gelten sollten. Vor allem, weil bis zu einem neuen Urteil Jagd auf die Gams gemacht werden darf. Auf Böcke, weibliches Gamswild bis zu zwei Jahren und auf Kitze. Auch in der Schonzeit. „Kitze werden im Juni geboren“, beschreibt Miller. „Am 1. August beginnt die reguläre Jagdzeit. Ein Bockkitz darf also schon ab einem Alter von wenigen Wochen gejagt werden. Und das sein ganzes Leben lang.“
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