Anlieger und Autofahrer sind unzufrieden
„Brenzlige Situationen“: So fällt die Bilanz zur neuen Vorfahrtsregel in Bruckmühl aus
Der Aufschrei war groß, als Bruckmühl vor einem Jahr neue Vorfahrtsregeln fürs Ortszentrum beschlossen hat. Ist damit eine Gefahrenstelle entschärft oder erst geschaffen worden? Wir haben bei den Anliegern und bei der Polizei nachgefragt.
Bruckmühl – Für die Behandlung leichter Verletzungen nach Verkehrsunfällen wie Prellungen und Schürfwunden säße Erika Spohn an der Quelle. Schließlich arbeitet die Bruckmühlerin in der Marien-Apotheke an der Sonnenwiechser Straße in Bruckmühl. Dort, wo im Sommer 2022 neue Vorfahrtsregeln eingeführt wurden. In einen Unfall aufgrund der neuen Regeln war Spohn zwar noch nicht verwickelt. Dennoch sagt die Apotheken-Angestellte: „Auch nach fast einem Jahr habe ich noch nicht verinnerlicht, dass dort jetzt rechts vor links ist.“
Auf Beschluss des Marktgemeinderats im April 2022 hatte die Kommune im Sommer 2022 im Zentrum Bruckmühls einen sogenannten verkehrsberuhigten Geschäftsbereich geschaffen und damit neue Regelungen eingeführt. Die Auswirkungen für Verkehrsteilnehmer: durchgängig Tempo 30, maximal dreistündige Stehzeiten zu bestimmten Zeiten auf den aufgewiesenen Stellplätzen sowie eine strikte Rechts-vor-links-Regelung an den Kreuzungen.
Vom Osten aus gesehen erstreckt sich der verkehrsberuhigte Geschäftsbereich von der Georg-Dorrer-Straße in westlicher Richtung über die Sonnenwiechser Straße bis zur Einmündung in die Kirchdorfer Straße, im Süden ab der Bahntrasse von der Bahnhofstraße über den Wimmerweg und den Straßenzug Am Eichpold bis zur Georg-Dorrer-Straße. Im Norden zieht sich der im April 2022 beschlossene Verkehrsbereich von der Rathausstraße bis zur Albert-Schweitzer-Straße beziehungsweise im nördlichen Bereich über den Pfarr- und den Krankenhausweg bis zum Zentrum für Volksmusik, Literatur & Popularmusik (Zemuli), auch bekannt als Volksmusikarchiv.
Bürgermeister rechtfertigte Maßnahme mit Betreuungseinrichtungen
Ausgangspunkt der Maßnahme waren Bestrebungen der Marktgemeinde, im Bruckmühler Zentrum für mehr Beruhigung und Sicherheit für Verkehrsteilnehmer zu sorgen. Auch wenn nicht alle Ratsmitglieder hinter der Entscheidung standen. Bürgermeister Richard Richter (CSU/PW) führte in der entscheidenden Sitzung im April 2022 jedoch unter anderem „die Konzentration von Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen im Ortskern“ als Rechtfertigung für die Maßnahme ins Feld.
Ob es durch den verkehrsberuhigten Geschäftsbereich wirklich zu mehr Beruhigung und Sicherheit für Fußgänger, Radler und Autofahrer gekommen ist, diese Frage kann Michael Koller, Sachbearbeiter Straßenverkehrsrecht in der Verwaltung der Marktgemeinde, nicht eindeutig beantworten. „Da muss man letztlich die Polizei fragen“, so Koller, der „aber keine Hinweise“ darauf hat, dass es seit Einführung der neuen Regeln im Sommer 2022 zu mehr Unfällen gekommen sei. „Wir haben seitens der Polizei jedenfalls nichts gehört.“
So bewertet die Polizei die neue Vorfahrtsregel im Bruckmühler Zentrum
Seit der Einführung der Rechts-vor-Links-Regelung in der Bruckmühler Ortsmitte „gibt es bei uns noch keine einzige Meldung über einen Verstoß“, sagt Alexander Strickner, Mitarbeiter Verkehr bei der Polizeiinspektion Bad Aibling, auf Anfrage. Der Polizeibeamte verweist allerdings auch darauf, dass das Bruckmühler Zentrum auch vor den neuen Regelungen in puncto Unfallhäufigkeit „unauffällig gewesen“ sei. Zudem betont Strickner, dass die Entfernung der Schilder „Vorfahrt geändert“, die im Zuge einer einheitlichen Gestaltung des Straßenbelags erfolgen wird, eine gesetzliche Vorgabe sei. Derartige Schilder dürften nur ein halbes Jahr aufgestellt werden, um alteingesessene Verkehrsteilnehmer auf die Änderung hinzuweisen. Im Bruckmühler Fall sei die Erlaubnis bis zur Ausführung der Asphaltierungsmaßnahmen verlängert worden. Strickner: „Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich alteingesessene Autofahrer dann an die neuen Begebenheiten gewöhnt haben. Alle anderen müssen ja sowieso erkennen, dass dort rechts vor links gilt.“
Auch Anfragen und Beschwerden seitens der Bürger seien in den vergangenen Monaten ausgeblieben. „Am Anfang haben natürlich immer wieder Bürger bei uns nachgefragt, was da jetzt genau gilt“, erinnert sich Koller. „Seit einigen Monaten ist das aber überhaupt kein Thema mehr.“ Er verstehe zwar, dass es für die Verkehrsteilnehmer eine Umstellung gewesen sei, aber: „Nach einigen Monaten kann man schon erwarten, dass sie sich darauf eingestellt haben und Rücksicht nehmen.“ Zumal die Marktgemeinde nicht nur an den Einfahrten in den verkehrsberuhigten Geschäftsbereich, sondern derzeit auch an den Kreuzungen mit Schildern auf die geänderte Vorfahrtsregel hinweise.
Anlieger berichten von brenzligen Situationen
Dennoch kommt es nach Angaben von Apotheken-Mitarbeiterin Spohn immer wieder zu brenzligen Situationen an den Kreuzungen. „Unfälle habe ich zwar noch keine mitbekommen“, sagt die Bruckmühlerin. Immer wieder müssten Verkehrsteilnehmer wegen Vorfahrtsverletzungen aber stark abbremsen. Was ihr selbst auch schon passiert sei. „Wenn man da gedankenverloren unterwegs ist und es Jahrzehnte gewohnt war, dass man auf der Hauptstraße Vorfahrt hat, dann passiert das schnell“, sagt Spohn, die bis heute „wenig Sinn“ in der Neuregelung sieht: „Ich glaube nicht, dass die Situation dadurch besser geworden ist.“
Dabei ist ihr neben der Rechts-vor-links-Regelung auch die Parksituation ein Dorn im Auge. „Dass auf den verschiedenen Parkflächen nur eine begrenzte Parkzeit erlaubt ist, erfahren die Verkehrsteilnehmer nur über die Schilder an den Einfahrten in den verkehrsberuhigten Geschäftsbereich“, bemängelt Spohn. „Da kann es für Auswärtige schnell mal passieren, dass sie dann einen Strafzettel am Auto haben.“
Und wie bewerten Betreuungseinrichtungen die Situation? Sie hatte Bürgermeister Richter bei der Abstimmung ja als Rechtfertigung ins Feld geführt. „Ich finde die Regelung gut“, sagt Milena Moser. Sie leitet die Kindertagesstätte Spatzenhof, die im Gebäude eines ehemaligen Gasthofs im Bruckmühler Zentrum untergebracht ist. „Hier im Zentrum ist eine so hohe Frequenz an Fußgängern, beispielsweise durch Schüler oder Besucher der Eisdiele, dass Tempo 30 wirklich sinnvoll ist.“ Um für noch mehr Sicherheit zu sorgen, würde sie sich allerdings noch Zebrastreifen an der Sonnenwiechser Straße wünschen.
Für Realschul-Leitung „kein Thema, das uns betrifft“
Festgestellt habe sie jedoch, dass bislang längst nicht alle Verkehrsteilnehmer die Rechts-vor-links-Regelung verinnerlicht haben. So komme es „mindestens zehn Mal am Tag“ vor, dass Autofahrer hupen, weil sie sich von anderen Verkehrsteilnehmern, die sich erst orientieren müssen, behindert fühlen. Moser: „Ich denke aber, dass sich das einfach mit der Zeit noch einspielt.“ In der Realschule Bruckmühl im Zentrum der Marktgemeinde sind die neuen Verkehrsregeln rund um die Schule hingegen „kein Thema, das uns betrifft“, wie Schulleiterin Andrea Ranner gegenüber dem OVB mitteilen lässt.
Gerüchte, bei der neuen Regelung handle es sich nur um eine Testphase, die eventuell wieder zurückgenommen werde, dementiert Koller vehement. „Das bleibt“, versichert der Sachbearbeiter und verweist auf weitere Umbaumaßnahmen, die für den Sommer angedacht sind und die neue Rechts-vor-links-Regelung sichtbar manifestieren sollen. Dann sollen die Einfahrten der kleineren Seitenstraßen, die derzeit gepflastert sind, asphaltiert werden. „Damit der Verkehrsteilnehmer nicht das Gefühl hat, dass er auf einer vorfahrtsberechtigten Straße unterwegs ist“, wie Koller das dann einheitliche Straßenerscheinungsbild erklärt. Im Zuge dessen werden dann allerdings die Schilder „Vorfahrt geändert“ abgebaut. Was wiederum Spatzenhof-Leiterin Moser überrascht. Sie befürchtet, dass dadurch das Hupkonzert vor ihrer Einrichtung noch mehr zunehmen könnte.