Zusammenhalt in Riedering, Geretsried und Schleching
Bei Oma Irmi sind Kunden dahoam - So wichtig ist die dörfliche Gemeinschaft in der Region
Die dörfliche Gemeinschaft: Manchmal als antiquiert belächelt, ist sie doch so wichtig. Auch in der Region gibt es einige beispielhafte Geschichten, die den Zusammenhalt der Menschen zeigen.
Riedering/Geretsried/Schleching – Bahlsen-Kekse, Grablichter und saure Gurken sind Irmgard Staber heilig. Die gab es schon immer im Sortiment des Kramerladens von Riedering. Und das soll auch so bleiben. Mit ihrer Tochter Irmtraud (59) und Enkelin Sophia (29) steht die flotte 93-Jährige im Laden. Der heißt inzwischen „Irmi’s Hoamat“, besteht nachgewiesen seit 300 Jahren und ist ein Treffpunkt, wie ihn sich viele für ihr Dorf wünschen würden. Es ist viel mehr als ein Laden, in dem es Eier, Brot, Deko-Accessoires und schicke Mode gibt. Es ist ein Ort, der das Dorf zusammenhält.
In „Irmi’s Hoamat“ im Kreis Rosenheim herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Frau Eschelbeck nimmt sich einen Korb und liest Oma Irmi ihren handgeschriebenen Einkaufszettel vor. Viel ist es nicht, was sie heute braucht: eine Geburtstagskarte, zwei Joghurt, Brot, Streichkäse, Schokolade und ein Grablicht. Sie kommt ja fast jeden Tag. Weil es bei der Irmgard einfach schön ist.
Auch in Riedering gibt es inzwischen einen Supermarkt. Aber da hält halt keine Kramer-Irmgard, wie Irmgard Staber genannt wird, ein Schwätzchen mit der Kundschaft. Da steckt den Kindern keine Irmgard einen Lolly zu, damit die Mütter in Ruhe in den neuesten Wintermodetrends stöbern können. Und deshalb kommt die Kundschaft inzwischen auch von weiter her.
„Für solch coole Sachen müssten wir sonst bis nach München fahren“, sagt Franziska Bernrieder, die mit ihrer Freundin Lena da ist. Für die neuestens Looks bei Mode und Deko ist Irmgards Enkelin Sophia zuständig, die 2020 mit eingestiegen ist und „Product-Scouting“ macht, also nach neuen Sachen für den Laden sucht. Und sie betreut natürlich Social Media. Ein bisserl Werbung schadet nicht.
Seit 66 Jahren steht die Kramer-Irmi im Laden
Auch sonst bringt die Enkelin frischen Wind in den Laden, den ihre Mutter Irmtraud vom Bruder und der Oma übernommen hat. Seit 66 Jahren steht die Kramer-Irmi schon im Laden. „Ich habe in die Familie eingeheiratet, und dann ging es sofort los.“ Urlaub hat die 93-Jährige nie gemacht, krank war sie auch selten. Immer wieder wurde das Geschäft erweitert. Am Anfang gab’s neben dem Verkaufsraum noch den Kuhstall, der wurde dann Anfang der 70er verlegt. „Vieh mitten im Dorf, das ging nicht mehr“, erzählt Irmi. Vielleicht ist es das Erfolgsrezept der Familie, dass sie den Laden immer wieder der Zeit angepasst hat.
„Früher gab’s bei uns alles vom Strampler über Schulartikel, Werkzeug und Lebensmittel. Dazu waren wir die Post und hatten einen Getränkemarkt.“ Der gehört der Vergangenheit an. Jetzt konzentriert sich „Irmi’s Hoamat“ auf Mode, Deko, Lebensmittel aus der Region und ausgewählte Dinge des täglichen Bedarfs. Von allem gibt es nur eine Sorte. Also keine Qual der Wahl. „Ich vermisse nichts“, sagt Annelies Rumpl (86), die jeden Tag bei der Irmi einkauft. „Irgendetwas fehlt halt immer daheim, und dann gehe ich schnell zur Kramerin und kann weiterkochen, ohne einen großen Weg zu haben“, erklärt sie.
Annelies kommt auch, wenn jemand Geburtstag hat. Dann stimmt sie mit der Irmi einen Jodler an – das ist die große Leidenschaft. Manchmal singen die beiden auch einfach so. Wenn die Irmi zum Beispiel Brezn für die Annelies herrichtet. Der Brotstand ist inzwischen das Revier der 93-Jährigen. Sie ist froh, dass Tochter Irmtraud jetzt die Verantwortung hat. „Es ist für mich das Schönste, dass es mit meiner Tochter und meiner Enkelin weitergeht. Da hat es der liebe Gott wie so oft in meinem Leben sehr gut mit mir gemeint.“ Für Tochter Irmtraud war es vor fünf Jahren ein großer Schritt, den Laden komplett zu übernehmen und zu erneuern. Und die Irmi war auch nicht immer gleich einverstanden mit dem, was die Tochter bestellte. „Traust du dich das?“, hat sie gefragt. Was übersetzt heißt: Das wird nichts. Den Satz kennt auch Enkelin Sophia. Allerdings nicht von der Oma, sondern von der Mama. „Die Oma ist manchmal offener für Neues als meine Mutter.“ Meist hat es sich gelohnt, dass sich eine der Frauen was getraut hat.
Ladenhüter gibt es keine in „Irmi’s Hoamat“. Warum die Zusammenarbeit so gut funktioniert? „Wir schätzen und respektieren uns und das, was den anderen wichtig ist“, sagt die Jüngste. „Wir versuchen alle, immer das Beste aus der Situation zu machen.“ Elfriede Ringsgwandl, die Theatermacherin des Dorfs, kommt in den Laden, um die neuesten Flyer und Tickets zum Verkauf vorbeizubringen. Sie nimmt Irmgard Staber in den Arm und sagt: „Es sind die liebenswürdigsten, großzügigsten, einfach die besten Kramerinnen der Welt!“
Die Kapellenretter
Manchmal kommen die besten Ideen auf Reisen. Josef Urso, 75, Kirchenpfleger in Geretsried, besuchte mit seiner Frau ein Kloster nahe Zürich – und bewunderte den gepflasterten Vorhof. Ihm fiel auf, dass man die Granitsteine erwerben kann, um das Kloster finanziell zu unterstützen. Und weil Urso mit seinen Mitstreitern gerade überlegte, wie sie genügend Geld für die Sanierung der 300 Jahre alten Nikolauskapelle auftreiben, brachte er die Idee etwas abgewandelt mit in den Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen.
Patenschaften für Dachschindeln! Urso besorgte sich Bilder, auf denen das Dach der Kapelle gut zu sehen ist. „Und dann habe ich durchgezählt, wie viele Schindeln es sind.“ Seine Rechnung: Wenn man die oberen Reihen für 300 Euro je Schindel verkauft und die unteren für 30, dann kommen am Ende 150.000 Euro raus. Tatsächlich fanden sich schon Schindel-Käufer: 45 000 Euro hat die Interessengemeinschaft für die Erhaltung der Kapelle bereits zusammen. Die Stadt schießt 200 000 Euro zu, das Ordinariat 80 000 Euro. Davon sollen das Holzschindeldach erneuert, Fäulnisschäden am Dachstuhl ausgebessert, die Fassade renoviert werden. Und die goldenen Spitzen brauchen neuen Glanz.
Damit die Spender ein Andenken haben, wollen die Kapellenretter die alten Schindeln „frisch machen“, sagt Urso. Vielleicht bohren sie auch ein Loch hinein, damit man sie aufhängen kann. Im Frühjahr sollen die Bauarbeiten beginnen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Bürger das Gotteshäuschen retten: Als die Kapelle 1967 völlig verfallen war, gründete sich der Verein – der erste Vorsitzende Otto Rothe ist heute noch aktiv im Verein. Mit 95. Er trieb damals die Renovierung voran. Ohne die Retter von Geretsried gäbe es die Kapelle nicht mehr.
Kraftakt für einen Berggasthof
Manchmal droht ein Dorf zu zerbröseln, wenn der, der es zusammenhält, nicht mehr da ist. So war das in Schleching im Kreis Traunstein vor zwei Jahren. Ganz plötzlich starb Franz Strohmayer, der legendäre Wirt vom Berggasthof Streichen im Chiemgau.
Wer bei ihm, 800 Meter über dem Tal der Tiroler Ache, einkehrte, bekam eine grandiose Aussicht auf Geigelstein und Kampenwand, viel Herz und ein Stück Heimat. Strohmayer war der Streichen, er war sogar dort oben auf die Welt gekommen. Wie sollte es nun weitergehen mit dem 600 Jahre alten Anwesen, mit der noch älteren kleinen Kapelle, in der so viele Schlechinger geheiratet, ihre Kinder getauft und ihre Toten verabschiedet haben? Mit Strohmayer als Mesner. Die Erben, Strohmayers Geschwister, konnten den Gasthof nicht weiterführen. Schnell gründeten sich die „Streichenfreunde“, eine Gruppe aus Schlechingern, aus Kommunalpolitikern. Sie wollten den Streichen unbedingt erhalten – und schließlich kauften zwei Stifter aus dem Ort, Yvonne und Thomas Wilde, sowie die Stiftung Kulturerbe Bayern, das Anwesen.
Schon im Sommer 2022 sollte der Streichen wieder eröffnen. Es kam anders. Paul Mößmer ist Architekt bei der Stiftung Kulturerbe, er plant die Sanierung. Bausubstanz, Wärmedämmung, Heizung, all das muss aufwendiger als gedacht saniert werden. Noch laufen die Planungen, frühestens im kommenden Sommer wird mit dem Umbau begonnen. Kosten: vier Millionen Euro. Viele Bürger aus der Region haben gespendet für ihren Streichen.
Aber die wichtigste Frage muss noch geklärt werden: Wer führt ihn? Mößmer sagt: „Der Ort hat ja von Franz Strohmayer gelebt.“ Irgendein Pächter, das war der Stiftung klar, kann dieses Erbe nicht fortführen. „Wir brauchen jemanden mit Herzblut“, sagt Mößmer. Und deshalb werde die Stiftung den Streichen selbst betreiben, mit einem Geschäftsführer, auf den man viel Einfluss habe. Gesucht wird nichts weniger als ein Streichen-Retter, einer, der den Ort zusammenhält. Wie einst Franz Strohmayer.
caz






