Sie kommen aus ganz Deutschland
Alter Schwede! Wie der „Schneewittchensarg“ die Herzen der Oldtimer-Fans der Region erobert
Man kennt ihn als Dienstwagen von Roger Moore als Simon Templar aus der gleichnamigen britischen Serie in den 60er-Jahren. Als „Schneewittchensarg“ fährt der Volvo P1800 heute noch durch die Lande – und kommt an Christi Himmelfahrt aus besonderem Anlass nach Bad Aibling.
Bad Aibling – Es war im Jahr 1978, als sich die Interessengemeinschaft Volvo P1800 Deutschland IG gründete. Nach einer Anzeige in einem großen Fachmagazin fand bereits 1979 ein erstes Treffen von Besitzern dieser Autos in Bad Bergzabern (Rheinland-Pfalz) statt. Dort wurden die Weiterführung der IG und regelmäßige Jahrestreffen beschlossen. Später kamen noch dreitägige Treffen im Herbst dazu.
Jetzt, im Jahr 2023, steht somit das 45. Jubiläum an. Als Ziel dafür haben sich die Oldtimer-Freunde aus ganz Deutschland am Christi-Himmelfahrt-Wochenende die Kurstadt Bad Aibling ausgesucht. Mit rund 40 Fahrzeugen dieses raren Modells werden sie von hier aus Ausfahrten zum Chiemsee (19. Mai) und Schliersee (20. Mai) machen. Wir sprachen mit Organisator Uwe Lüsebrink aus Freiburg im Breisgau.
Bad Aiblinger AMC-Experte: „Ein Genuss für Sportwagenfahrer“
Auch der Oldtimer-Experte beim AMC Bad Aibling Gerhard Kerscher kann die Faszination des Volvo P1800 gut nachvollziehen, hat er doch fast zehn Jahre lang selbst einen Volvo 1800 ES, Baujahr 1971, gefahren. Die Touring-Version, Zwei-Liter-Maschine, 124 PS. Er schwärmt von den sportlichen Fahreigenschaften und der futuristischen Optik, die damals der Zeit weit vorausgewesen sei. „Ein Genuss für Sportwagenfahrer, man fährt wie auf Schienen.“ Dennoch hat er das Liebhaber-Stück letzlich in die Schweiz verkauft. „Irgendwann muss man sich auch einmal trennen“, meint er mit Blick auf seine Oldtimersammlung, unter der sich auch viele Vorkriegsmodelle, überwiegend aus England, befinden. Doch das Herz- und Lieblingsstück innerhalb der ganzen Familie ist: ein VW Käfer.
Herr Lüsebrink, 1983 und 1993 in Ising, 2003 und 2013 jeweils am Chiemsee und in diesem Jahr in Bad Aibling: Feiern Sie ihre „halbrunden“ Geburtstage immer hier in der Region oder ist das reiner Zufall?
Uwe Lüsebrink: Sie haben es richtig erkannt! Eine Tradition, die darauf zurückgeht, dass unser Gründungsmitglied Alfred Erckens in Ising ein Ferienhaus hatte und Gut Ising attraktive Konditionen bot. Über die Jahrzehnte hinweg wechselten die Organisatoren und wir haben die Wahl unserer Unterkünfte der wachsenden Teilnehmerzahl angepasst.
Wie fiel die Wahl speziell auf Bad Aibling?
Lüsebrink: Mit dem Schmelmer Hof in Bad Aibling haben wir ein attraktives Hotel gefunden, das nicht nur die Kapazität für über 40 Teams bereitstellen konnte, sondern auch auf unsere Wünsche eingegangen ist. Die zentrale Lage von Bad Aibling zu den Seen und Ausflugszielen für jeden Geschmack unterstützt Erkundungen, für die neben dem offiziellen Programm Zeit sein wird. Eine Bootscharter auf dem Chiemsee und Tegernseeumrundung mit Einkehr, zu erreichen über landschaftlich schöne Nebenstrecken, ist für alle geplant.
Ein Auto für echte Liebhaber
Das Fahrzeug wurde von 1961 bis 1973 als Coupé und Kombicoupé in geringer Stückzahl gebaut. Das Coupé erlangte Bekanntheit in der Fernsehserie Simon Templar (in Großbritannien: The Saint) als Dienstwagen von Roger Moore. Das Kombicoupé („Shooting Brake“) bekam in einem zeitgenössischen Testbericht aufgrund seiner großzügigen Verglasung den Spitznamen „Schneewittchensarg“, den er sich bis heute mit dem Messerschmitt Kabinenroller teilt. Der P1800 war in beiden Formen von Anbeginn ein Liebhaberobjekt. Im Jahr 1978 formierte sich ein Freundeskreis dieses Modells und traf sich wechselweise in ganz Deutschland und teilweise Nachbarländern. Das 40-jährige Bestehen feierten die Oldtimerfreunde im schwedischen Göteborg, das 45-jährigen richten sie nun in der Region Rosenheim aus.
Waren Sie als Interessengemeinschaft oder auch persönlich in der Vergangenheit auch schon einmal bei der ADAC Bavaria Historic in unserer Region vertreten?
Lüsebrink: Nein, weder persönlich noch die geschlossene IG. Dass Mitglieder hier schon teilgenommen haben, halte ich für möglich, da sie aus ganz Deutschland kommen.
Seit wann fahren Sie persönlich einen P1800 – und welches Modell?
Lüsebrink: Ich habe mir meinen Jugendtraum 1999 mit einem „Schneewittchensarg“ erfüllt, nachdem klar war, dass der Wunsch nach diesem Auto noch immer in mir schwelte. Es war noch kein Oldtimer, sondern ein Gebrauchtwagen und ich wusste beim Kauf nicht, wie sehr mich dieser Wagen noch begeistern würde. Er wurde in Kalifornien ausgeliefert, ein Serviceaufkleber aus Santa Monica und ein paar Spuren eines harten Lebens waren die einzigen bekannten Zeugen seiner US-Vorgeschichte.
Wie viele Kilometer hat er denn auf dem Tacho?
Lüsebrink: Inzwischen haben wir über 85.000 gemeinsame Kilometer erlebt, einige Technik revidiert und vor einem Jahr gab es eine Neulackierung im Originalfarbton Sonnengelb. Mein Bangen bei der Demontage wich bald der Erleichterung, als ich feststellte, dass die Karosserie kerngesund und ohne Überraschungen war. Der Meilentacho zeigt es nicht, aber der Wagen hat 250.000 Kilometer in 50 Jahren abgespult und der Motor ist gesund.
Wie sind Sie selbst zu der Interessengemeinschaft gekommen?
Lüsebrink: Ende 2000 sind meine Frau und ich anlässlich eines Treffens am Bodensee zur P1800IG gekommen. Mit der Idee, Ersatzteilquellen und Schraubertipps zu bekommen, sind wir auf eine Gemeinschaft gestoßen, die über das Bindeglied Auto hinaus eher wie eine große Familie ist; die Treffen lassen Freiraum für Gemeinsamkeit und Gespräche, auf die man sich lange freut. Die Nachwuchssorgen der Oldtimerszene haben wir nicht; die Kindergeneration (inzwischen auf eigenen Beinen stehend) nimmt mit Begeisterung und aktiv an unseren Veranstaltungen teil. Gern auch mit Fremdmarken, Hauptsache dabeisein...
Was macht den P1800 in Ihren Augen so besonders?
Lüsebrink: Dieser formal so untypische Volvo ist unverwechselbar; viele Passanten kennen ihn nur von Bildern, erkennen ihn aber dann sofort. Die Formensprache polarisiert, man ist begeistert oder eben nicht. Bei nur rund 39.000 gebauten Coupés und 8000 Kombicoupés (meist für die USA) bleibt er auch auf Oldtimerveranstaltungern eine Ausnahme. Der Volvo besticht nicht durch Sportlichkeit, er ist eher ein Tourenwagen, komfortabel und zuverlässig. Und langlebig...
Erwarten Sie, in Bad Aibling auf weitere P1800 zu treffen, die nicht Ihrer Gemeinschaft angehören?
Lüsebrink: Ihr Vorabbericht kann durchaus dazu führen, dass sich regionale P 1800- Besitzer oder -Interessenten einfinden. Auf der Klassikwelt Bodensee in Friedrichshafen vor eineinhalb Wochen kamen wir an einem zum Verkauf stehenden P 1800 Coupé mit Interessenten ins Gespräch, die spontan darüber nachdachten, das lange Wochenende in Bayern zu verbringen und bei der Gelegenheit 40 alte Schweden in allen Farben auf sich wirken zu lassen.