Was hinter dem großen Zulauf steckt
„Lage ist angespannt“ – Tafel-Kundschaft in Bad Aibling innerhalb von einem Jahr verdoppelt
An drei Ausgabetagen haben die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Tafel Bad Aibling alle Hände voll zu tun. Seit einem Jahr ist die Zahl der Kunden dramatisch in die Höhe geschnellt. Woran das liegt und wie der große Bedarf gedeckt werden kann.
Bad Aibling – „Wir sind hier angekommen und hatten nichts als das, was wir am Körper tragen.“ Mit diesen bewegenden Worten zeigte sich eine Ukrainerin vor ziemlich genau einem Jahr dankbar, ein Angebot wie das der Tafel in Bad Aibling nutzen zu können. Schon damals stand sie – kurz nachdem sie aus dem Kriegsgebiet geflohen war – in einer langen Schlange vor der Ausgabe in der Rosenheimer Straße. Schon damals vermeldete die Tafel einen enormen Zulauf an Kunden durch die Kriegsgeflüchteten. Ein Jahr später sind die Zahlen dramatisch in die Höhe geschnellt.
„Durch diesen Flüchtlingsstrom hat sich unsere Situation ganz erheblich verändert“, sagt Tafelleiter Dr. Stefan Stöckel gegenüber den OVB-Heimatzeitungen. An diesem kühlen Vormittag steht er mit zahlreichen Ehrenamtlichen in den Räumen der Tafel und kontrolliert einige Essenskisten. „Vor der Ausgabe wird geprüft, ob zum Beispiel das Obst und Gemüse noch in Ordnung ist“, sagt er, während er eine Paprika inspiziert.
Hemmschwelle trotz Berechtigung
Laut Stöckel habe sich die Kundenzahl der Aiblinger Tafel innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt. „Wir versorgen mittlerweile etwas mehr als 800 Menschen“, erklärt der 75-Jährige. Dahinter stecken wiederum noch zahlreiche Familien. Inzwischen verteile man die Lebensmittel an drei Ausgabetagen an Bedürftige. Berechtigt ist jeder, der etwa einen Nachweis vom Sozialamt oder Jobcenter vorlegen kann. Doch die Kundschaft habe sich weniger durch einheimische sozial Bedürftige vermehrt. „Die allgemeine Situation mit Inflation und Preissteigerungen spielt hier weniger eine Rolle“, sagt Stöckel.
Ohnehin sei der Gang zur Tafel noch immer mit einer extrem hohen Hemmschwelle verbunden. Deshalb nähmen 40 bis 50 Prozent der Sozialhilfeberechtigten die Möglichkeit gar nicht wahr, zur Tafel zu gehen. „Das ist natürlich schade und das hat sich im Laufe der Zeit eigentlich nicht geändert“, bedauert der Tafelleiter. Dies zeige jedoch klar auf, dass der große Zuwachs an Kunden nicht auf Einheimische, sondern vor allem auf die vielen Flüchtlinge zurückzuführen ist.
80 bis 100 Personen pro Ausgabetag
„Die Hälfte unserer Kunden kommt aus der Ukraine“, betont Stöckel. Geflüchtete aus anderen Ländern, etwa aus Syrien, zählten dagegen inzwischen deutlich seltener zur Kundschaft. Zum einen seien viele mittlerweile berufstätig, zum anderen hänge dies mit der Umverteilung der Flüchtlinge durch das Landratsamt zusammen. So wurde in den Container-Unterkünften in Bad Aibling viel Platz für Ukrainer geschaffen, was sich nun eben auch bei der Tafel bemerkbar mache.
Um allen Kunden gerecht zu werden, versucht Stöckel mit seinem Team die Warenausgaben „etwas zu entzerren“. So versorge man etwa die Ukrainer, die hier wohnen oder privat untergekommen sind, am Montag. Der Donnerstag steht dann eher den Ukrainern zur Verfügung, die in den Container-Unterkünften leben. Pro Ausgabetag bediene man im Schnitt 80 bis 100 Personen. Klar ist: „Die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge nimmt immer noch zu“, betont Stöckel. Auch jetzt träfen wöchentlich Menschen aus dem Kriegsgebiet in Bad Aibling ein, wenngleich sich der Zuwachs über die Zeit verlangsamt habe. Ein Blick in die Glaskugel, wie sich die Situation in Zukunft weiterentwickeln könnte, wagt Stöckel indes nicht.
Tafelleiter: „Die Lage ist sehr angespannt“
Doch da schon jetzt eine extrem hohe Kundenzahl erreicht wurde, stellt sich eine entscheidende Frage: Wie kann die Tafel Bad Aibling einen solch enormen Zuwachs überhaupt stemmen? „Die Lage ist sehr angespannt“, will Tafelleiter Stöckel nichts schönreden. Dennoch sei man in der Kurstadt in einer recht glücklichen Lage, da man zahlreiche ehrenamtliche Helfer bei der Tafel beschäftige. „Wir haben recht viel Personal“, ist Stöckel froh über die rund 70 Ehrenamtlichen.
Neben den vielen „65 plus“-Mitarbeitern beteiligten sich auch junge Menschen, die etwa Teilzeit arbeiten und so am Morgen mal eine Fuhre übernähmen und beispielsweise Brot holten. Trotzdem, weiß Stöckel, ist die Arbeit bei der Tafel anstrengend und herausfordernd, weshalb man auch für neue Helfer immer dankbar sei. Doch neben dem Personal hat sich vor allem der Bedarf an Lebensmitteln in den vergangenen Monaten massiv gesteigert.
Tafel von Netto-Schließung betroffen
„Für die Tafeln ist das generell ein großes Problem“, sagt Stöckel. Zahlreiche Ausgabestellen hätten deshalb ihren Turnus der Warenverteilung beispielsweise von wöchentlich auf alle 14 Tage ändern müssen. In Bad Aibling sei man jedoch noch in der Lage, genügend Ware auszugeben. „Momentan geht es noch, wir haben noch ausreichend Lebensmittel, aber es wird schwieriger, gerade was Frischware angeht“, sagt der 75-Jährige.
Die Tafel bezieht Lebensmittel von allen Aiblinger Supermärkten. Dabei macht sich die Schließung der Netto-Filiale im Februar natürlich bemerkbar. Und auch generell hätten Supermärkte ihre Bestellmodalitäten vereinzelt umgestellt. So würden Märkte Ware, welche kurz vor dem Ablaufdatum stehe, vergünstigt verkaufen. Ware also, die nun den Tafeln nicht mehr zur Verfügung stehe, so Stöckel.
„Unser Ziel ist es, Lebensmittelverschwendung zu vermeiden.“ Als „Vollsortimenter für sozial Schwächere“ sehe sich die Tafel indes nicht, so Stöckel. Und durchaus gebe es immer wieder Ausgabetage, an deren Ende etwa nicht genügend frisches Obst oder Gemüse zu verteilen sei. „Hier muss man sich dann mit Konserven aushelfen“, sagt der Tafelleiter. Auch wenn die Situation angespannt und alle möglichen Lebensmittel ausgeschöpft seien, biete man allen Kunden Ware, die etwa einem Wocheneinkauf im Wert von 30 bis 50 Euro entspreche.
Dachverband ruft zu mehr Solidarität auf
Damit der hohe Lebensmittelbedarf gedeckt werden kann, helfe auch die gelegentliche Verteilung von Waren der Tafel Deutschland. Dabei handele es sich jedoch überwiegend um haltbare Lebensmittel, etwa Reis. Frischware werde immer mehr zur Mangelware. Und trotz der großen Herausforderungen ist Stöckel mittlerweile auch froh über mehr Unterstützung von staatlicher Seite. Dabei spricht er etwa von Zuschüssen für Heizkosten oder Treibstoff, was für die Aufgaben der Tafel unentbehrlich sei.
Aufgrund der allgemein angespannten Situation ruft auch der Dachverband, die Tafel Deutschland, immer wieder zu mehr Solidarität auf. „Armut, Inflation, Energiekrise, Krieg – die aktuelle Lage löst auch in Deutschland bei immer mehr Menschen Existenzängste aus“, heißt es in einer Mitteilung. Jochen Brühl, Vorsitzender der Tafel Deutschland, spricht darin von sehr schweren Zeiten. „Um helfen zu können, benötigen die Tafeln Geld-, Sach- und Lebensmittelspenden“, so Brühl. Demzufolge steige die Anzahl an armutsbetroffenen Menschen.