Bad Aiblinger Musiklehrer zum „Tag der Hausmusik“
Gefragt oder am Aussterben? Welche Rolle Hausmusik heute noch spielt
Ob Musik für Senioren, weihnachtliches Singen oder die Rockband im Keller - Hausmusik hat viele Gesichter und bewegt zahlreiche Menschen. Doch welche Rolle spielt das heimische Musizieren heute wirklich noch? Am 22. November ist der „Tag der Hausmusik“.
Bad Aibling – Stimmt das Klischee, wonach junge Leute heutzutage kaum mehr Interesse am Musizieren zeigen und lieber zur Spielekonsole greifen? Pauschal lässt sich das mit Sicherheit nicht sagen. Doch der bundesweite „Tag der Hausmusik“ am 22. November ist ein geeigneter Anlass, mal dort nachzufragen, wo es womöglich Antworten auf diese Frage gibt.
„Schon vor vielen Jahrhunderten kam man mit Laute, Flöte und Gesang, mit Gambe und mit Cembalo oder im Geigenduett zusammen, sich die freie Zeit mit Freunden und Familie vergnüglich zu vertreiben.“ So beschreibt das Staatliche Institut für Musikforschung das häusliche Musizieren, welches sich einer langen musikhistorischen Tradition erfreue.
„Stimmen Sie ein Volkslied im Seniorenheim an und alle können mitsingen“
Demnach pflegte neben dem Adel besonders das (Bildungs-)Bürgertum seit dem 19. Jahrhundert diese künstlerische Form. Doch wie sieht es heute in der Region aus? Im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen bedauerte kürzlich Franziska Kolb, 27-jährige Harfenbauerin und Musikerin aus Bad Feilnbach, dass der Sinn für Kultur und Musik immer mehr verloren gehe. „Stimmen Sie ein Volkslied im Seniorenheim an und alle können mitsingen“, sagte Kolb und stellte fest, dass sich dies unter jüngeren Leuten anders darstelle.
In Familien werde zuhause immer weniger gesungen oder musiziert. Brauchtum und Tradition weichen demnach immer häufiger modernen Unterhaltungsformen.
Ähnliche Beobachtungen macht auch der Bad Aiblinger Musiker und Musiklehrer Clemens Wagner. „Hausmusik wird nach meinem Eindruck nach wie vor eher im ländlichen traditionell geprägten Bereich praktiziert, obwohl ich glaube eine rückläufige Tendenz wahrzunehmen.“ Seine ersten musikalischen Gehversuche machte der heute 58-Jährige selbst mit sechs Jahren am Klavier unter den Fittichen seines Vaters.
„Ich spielte einmal in der Woche für ihn bis zu seinem Tod“
Neben seiner Tätigkeit als Musiker und den Unterrichtsangeboten, sieht er auch gerade für ältere Menschen eine positive Wirkung der Musik. Deshalb gehört zu seinen Angeboten auch die „Hausmusik für Senioren“. Wagners erste Kontakte mit älteren Menschen, die Interesse an Musik zeigten, gehe zurück bis in die 80er Jahre.
„Damals trat ein pensionierter Arzt an mich heran mit der Bitte, Gitarrenunterricht zu bekommen“, sagt Wagner. Es stellte sich heraus, dass er das Instrument bereits 50 Jahre spielte und für technische Verfeinerungen nicht mehr flexibel genug war. „So begannen wir bei meinen Hausbesuchen zusehends Duostücke zu spielen, was bei dem Herrn große Begeisterung auslöste.“
Nach vielen Jahren des gemeinsamen Musizierens sei es ihm aufgrund seiner fortgeschrittenen Arthritis nicht mehr gelungen, selbst Musik zu machen. Die Treffen endeten. Zwei bis drei Jahre später, so Wagner, meldete sich der Sozialdienst bei ihm und teilte mit, dass er verlangt werde. „Ab diesem Zeitpunkt spielte ich einmal in der Woche für ihn bis zu seinem Tod“, so Wagner.
Musik mit therapeutischer Wirkung
Später kamen für den Aiblinger Musiklehrer andere Erfahrungen, etwa mit Demenzkranken, hinzu. „In jedem Fall erzeugte die Musik eine enorme, vitalisierende Wirkung bei den älteren Mitmenschen, die dann sogar anfingen, komplexe Gesangsstrophen mitzusingen, zu pfeifen, zu summen oder den Takt mit zu klatschen“, erzählt Wagner. Für Wagner zählen diese Erfahrungen „zu den sinnreichsten von den ohnehin nicht gerade sinnleeren, die ich als Musiker machen durfte“.
Denn laut Wagner habe Musik eine enorme therapeutische Wirkung, gerade bei alten Menschen. Auch deshalb wollte Wagner sein Angebot auch über die „Eins zu Eins-Situationen“ hinaus erweitern, etwa in Seniorenheimen, was dann jedoch nicht von Erfolg gekrönt war. Laut Wagner seien hierfür vermutlich ehrenamtliche Laienmusiker geeigneter, die dann nicht auf ein Honorar angewiesen sind. „Die Gelder im Sozial- und Kulturbereich sind ja bekanntlich immer knapp, mögen die Maßnahmen auch noch so sinnvoll sein.“
„Können uns auf diese Weise weiterentwickeln“
Die Pandemiezeit habe noch zusätzlich die Kontakte zu älteren Menschen erschwert, erklärt Wagner. Sodass die „Hausmusik für Senioren“ derzeit ruhe. Doch unabhängig vom Alter ist für den Musiklehrer dennoch eines klar: Für nahezu alle Menschen jenseits der 35, die halbwegs musikalisch und körperlich dazu in der Lage sind, ist es sehr wohl möglich, ein Musikinstrument ihrer Wahl zu erlernen, betont Wagner. „Wir können uns alle auf diese oder andere Weise – Sprachen, Sport, Naturwissenschaft – weiterentwickeln und uns auf diese Weise auch ein wenig beweglich halten und uns sogar vor Krankheiten schützen.“