Bitte deaktivieren Sie Ihren Ad-Blocker

Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.

Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für . Danach können Sie gratis weiterlesen.

Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
  • Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
  • Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
  • Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
  • Jederzeit kündbar

Sie haben das Produkt bereits gekauft und sehen dieses Banner trotzdem? Bitte aktualisieren Sie die Seite oder loggen sich aus und wieder ein.

Pilotprojekt startet

Perspektiv-Wechsel in der Pflege: Wieso in Aschau eine Revolution entfacht wird

Eine betagte, hilfebedürftige Frau steht mit einer Pflegerin am Fenster, im Vordergrund sieht man ihren Rollator (links). Ein Porträtfoto von Elmar Stegmeier (rechts).
+
Pflege soll sich am Menschen orientieren. Deshalb fordert Versorgungsforscher Elmar Stegmeier aus Aschau einen Perspektivwechsel und eine CareZeit für pflegende Angehörige.

Im Priental zwischen Aschau und Frasdorf soll ein Gesundheits- und Pflegenetzwerk seine Arbeit aufnehmen. Warum es bayernweit eine Revolution im Gesundheitswesen entfachen könnte.

Aschau im Chiemgau – Eine Pflegerevolution hat die CSU-Landtagsfraktion jetzt auf ihrer Klausurtagung im Kloster Banz gefordert. Einer der „Revolutionäre“ ist Elmar Stegmeier aus Aschau. Er ist im Ehrenamt Vorsitzender des Ökumenischen Sozialdienstes Priental sowie Kreisvorsitzender des Gesundheits- und Pflegepolitischen Arbeitskreises (GPA).

Als Versorgungsforscher leitet Stegmeier ein Institut für Soziale Wirkungsanalysen im Gesundheitswesen und die Fachgruppe Patientenlotsen der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC). Am „12-Punkte-Plan“ der CSU-Landtagsfraktion hat er mitgewirkt und ist überzeugt davon, dass er „zu einem menschenbezogenen Systemwechsel für besonders hilfs- und pflegebedürftige Menschen in komplexen Lebens- und Versorgungslagen“ sorgen kann.

Pilotprojekt geht im Januar ans Netz

Einen Teil des Planes wird der Ökumenische Sozialdienst Priental schon Anfang 2025 umsetzen. In einem bayernweiten Pilotprojekt werden erstmals Pflege- und Gesundheitsstrukturen vernetzt: Gemeindeschwestern und Patientenlotsen widmen sich gemeinsam hilfs- und pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen, analysieren den konkreten Hilfebedarf in der Region, um professionelle und ehrenamtliche Unterstützungsangebote aufzubauen.

Care-Zeit für betagte Eltern

„Eine wesentliche Verbesserung der Versorgung pflegebedürftiger Menschen könnte durch die Einführung einer Care-Zeit, also einer Pflegezeit, erreicht werden“, erläutert Elmar Stegmeier einen wesentlichen Aspekt des „12-Punkte-Planes“. Für mehr Generationengerechtigkeit dürfe künftig kein Unterschied mehr zwischen Elternzeit und Pflegezeit gemacht werden. „Wir brauchen einen Perspektivwechsel“, macht der Versorgungsforscher klar: „So, wie wir bisher als erwerbstätige Eltern für unsere Kinder denken, sollten wir künftig auch als erwerbstätige Kinder für unsere Eltern denken können.“

Während einer Care-Zeit sollen pflegende Angehörige bis zu einem Jahr analog zur Elternzeit eine finanzielle Unterstützung erhalten, so die Forderung. Bekommen pflegebedürftige Menschen bisher entsprechend ihres Pflegegrades Pflegegeld, eine Pflegekombi- oder die Pflegesachleistung, müsse es künftig ein sogenanntes Flexibudget geben. „Damit könnte man die Leistungsansprüche aus den verschiedenen Budgets der Pflegeversicherung wie Pflegegeld, Verhinderungs- oder Kurzzeitpflege in einem persönlichen und an den konkreten Bedürfnissen des hilfebedürftigen Menschen orientierten Budget bündeln“, erläutert Stegmeier die geforderte Vereinfachung. Für die Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst sollen pflegebedürftige Menschen auch künftig Pflegesachleistungen erhalten.

Pflegelotsen sind dort, wo Hilfe gebraucht wird

Zugleich sollen den pflegenden Angehörigen in der Care-Zeit Pflegelotsen zur Seite gestellt werden, so die Vorstellungen der Pflege-Revolutionäre. Diese könnten sich flächendeckend um Pflegebedürftige vor Ort kümmern und genau dort eingesetzt werden, wo es Bedarf gibt. „Sie sollen Angehörige in der Care-Zeit anleiten und vor Überlastung schützen. Sie können die konkrete Situation von pflegebedürftigen Menschen erkennen, durch Einzelfallberatung und Vernetzung aller vorhandenen kommunalen Angebote ein individuelles Pflegenetzwerk schaffen und so Notsituationen vermeiden“, beschreibt Stegmeier.

Sektoren überwinden und Mensch in den Fokus rücken

Damit würden die Leistungserbringer – also beispielsweise Hausärzte, Therapeuten, Pflegedienste oder Apotheken – vernetzt und ebenso gestärkt werden wie die Patienten und deren Angehörige. „Genauso wichtig ist aber, dass die Pflegelotsen in Kooperation mit Kliniken, ambulanten, teilstationären und stationären Pflegeeinrichtungen sektorenübergreifend arbeiten“, betont der Versorgungsforscher. Damit würde der Mensch stärker in den Mittelpunkt rücken, denn seine Bedürfnisse würden nicht mehr in stationäre und ambulante Sektoren getrennt werden. „Diese neue Struktur könnte den Systemfehler einer getrennten Sozialgesetzgebung für Gesundheit und Pflege, aber auch die Trennung von Kranken- und Pflegeversicherung für die Menschen vor Ort beheben“, macht Stegmeier klar.

An einem Beispiel verdeutlicht er, welche ungenutzten Ressourcen es gibt: Schon jetzt sind evaluierte Schlaganfall-Lotsen, Cardiolotsen oder Onkolotsen als Care und Case Manager tätig. „Das zeigt, wie hoch der Bedarf an Lotsentätigkeit ist. Ein Koordinierungsbüro Gesundheit könnte die verschiedenen Lotsenansätze verbinden und damit den kranken und pflegebedürftigen Menschen in den Mittelpunkt stellen“, so Stegmeier.

Vom Stützpunkt zur aufsuchenden Beratung

Die geplante Umwandlung der Pflegeberatung von einem zentralen Pflegestützpunkt zu kommunal und aufsuchend tätigen Pflegelotsen biete die Chance, den Pflegestützpunkt zu einem übergreifenden „Koordinierungsbüro Gesundheit“ weiterzuentwickeln, erläutert Stegmeier, denn: „Dieses koordiniert alle Angebote und Versorgungsleistungen der Gesundheits- und Pflegeversorgung sowie des Sozial- und Bildungswesens eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt – darunter auch die in den Gemeinden tätigen Gemeindeschwestern und Patientenlotsen.“

Landkreis erprobt Koordinierungsbüro

Im Landkreis Rosenheim wird bereits seit drei Jahren das Konzept des Koordinierungsbüro Gesundheit erprobt. Für das Priental hat die Gemeinde Aschau im Chiemgau nun eine Förderung für ein Gesundheits- und Pflegenetzwerk beantragt. Dieses soll zusammen mit dem Ökumenischen Sozialdienst Priental schon Anfang 2025 seine Arbeit aufnehmen. „Ich hoffe, dass unser Aschauer Modell bald allen Bürgern Bayerns zur Verfügung steht“, begrüßt Bürgermeister Simon Frank das Pilotprojekt.

Elmar Stegmeier ist nicht nur einer der „Revolutionäre“, die sich für eine menschenwürdige Pflege einsetzen. Er wird die politischen Forderungen, Konzepte und Praxiserfahrungen aus Bayern auch nach Berlin tragen. Dort moderiert er am 10. Oktober den dritten Tag der Patientenlotsen und wird intensiv für „eine vom Menschen her gedachte Systemrevolution im Gesundheits- und Sozialwesen“ werben, denn: „Wir kämpfen für die Schwachen und Hilfebedürftigen.“

Kommentare