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Ausgebucht: 70 wollten Klarheit

„Will wissen, ob die Fische küssen“: So war das Demenz-Screening in Aschau

Beim Demenz-Screening in Aschau musste ein MoCa-Test ausgefüllt werden. Dazu gehörte auch, Buchstaben und Zahlen zu verbinden, einen Würfel und eine Uhr zu malen. Jana Rühl vom digiDem (links), erklärt Reporterin Kathrin Gerlach (rechts), was zu tun ist.
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Beim Demenz-Screening in Aschau musste ein MoCa-Test ausgefüllt werden. Dazu gehörte auch, Buchstaben und Zahlen zu verbinden, einen Würfel und eine Uhr zu zeichnen. Jana Rühl vom digiDem (links) erklärt Reporterin Kathrin Gerlach (rechts), was zu tun ist.

Uhren zeichnen, Tiere erkennen, Kopfrechnen. 70 Menschen kamen zur Demenz-Früherkennung nach Aschau – darunter auch eine OVB-Reporterin. Wie sie Teil des neuen Netzwerkes wurden, das der Ökumenische Sozialdienst Priental aufbaut. Und warum schon das erste Screening ausgebucht war.

Aschau im Chiemgau – „Ich möchte wissen, ob die Fische küssen“, sagt eine Rosenheimerin. Sie ist mit ihrer Freundin extra nach Aschau gekommen, um am Demenz-Screening teilzunehmen. Beide sind 78, also im besten Alter für einen Test der Gedächtnisleistung. Sie wollen wissen, was im Verborgenen vor sich geht, wie es um ihre Köpfe steht. Ebenso wie eine 83-jährige Aschauerin: „Es ist gut, dass sich unsere Gemeinde so um ihre Bürger kümmert, ihnen auch im Alter Aufmerksamkeit schenkt und die Probleme des Alterns aus der Tabu-Zone holt.“

Wie viel Vergesslichkeit ist normal?

70 Anmeldungen hat der Ökumenische Sozialdienst Priental für den ersten Screening-Tag in der Region. „Wir sind ausgebucht, haben sogar eine Warteliste“, sagt Ilona Hörath vom Digitalen Demenzregister (digiDem) Bayern. Das Forschungsprojekt „digiDem“ von Universität und Uniklinik Erlangen sowie Metropolregion Nürnberg widmet sich der Versorgung von Menschen mit leichten Gedächtnisbeeinträchtigungen und deren pflegenden Angehörigen.

Setzen sich für eine bessere Versorgung von Menschen mit Demenz ein: (von links) Lisa Leininger und Ilona Hörath vom digiDem Bayern, Elmar Stegmeier, der Vorsitzende des Ökumenischen Sozialdienstes Priental und Aschaus Altbürgermeister Werner Weyerer.

„Forschung ist auf Datenspenden angewiesen“, erklärt Hörath: „Die kommen als konkrete Vorschläge für eine bessere Pflege, Versorgung und Lebenssituation in die Region zurück.“ Im Verein „Ökumenischen Sozialdienst Priental“ haben die Wissenschaftler Forschungspartner gefunden. „Wir begleiten ältere Menschen sehr lange, sind präsent, kümmern uns und sehen ihre Krankheitsverläufe“, erklärt Vorsitzender Elmar Stegmeier.

Die Datenerhebung ist nur eine Seite des Früherkennungsprogramms. Die andere und für Betroffene weitaus Wichtigere ist die Gewissheit. „Ich will wissen, was es mit meiner Vergesslichkeit auf sich hat“, sagt die 83-jährige Aschauerin. Und genau das ist an diesem Tag die Frage, die sich alle Teilnehmer stellen: Wie viel Vergesslichkeit ist normal? Und woran erkennt man, ob unter der Oberfläche eine Demenz lauert?

Selbsttest mit MoCa

„Dann kommen sie doch und machen den MoCa-Test mal selbst“, lädt mich Jana Rühl, wissenschaftliche Mitarbeiterin im digiDem ein. Plötzlich rutsche ich aus der Rolle der distanzierten Beobachterin in die einer 58-Jährigen Privatperson und mir wird klar, dass ich gar nicht so weit von dem Alter entfernt ist, in dem ein Demenz-Screening ratsam ist. Ein mulmiges Gefühl macht sich breit. Eigentlich will ich doch gar nicht wissen, ob die Fische küssen. Doch wer nicht wagt, bekommt keine Gewissheit. Los geht‘s also: Gleich beim ersten Test verliere ich Punkte: Malen nach Zahlen und Buchstaben kenne ich ja noch, aber diesmal habe ich nicht lange genug nachgedacht. „Das kann schon die Aufregung sein“, tröstet mich Jana Rühl bei der Auswertung. Dafür habe ich die geometrische Figur, die Uhr mit Ziffernblatt und Zeigern ganz gut hinbekommen, Tiere erkannt, Buchstaben gehört, mir (ohne mitzuschreiben) vier von fünf Wörtern merken können und sogar im Kopfrechnen bestanden. Zum Glück dauerte auch mein Blackout nur Sekunden, und mir fielen dann doch noch ein paar Wörter mit F ein.

Was im Fokus steht

„Mit diesem Test prüfen wir unter anderem, ob die geistigen Prozesse funktionieren, die das Verhalten, die Aufmerksamkeit und die Gefühle gezielt steuern“, versucht die Wissenschaftlerin mit einfachen Worten komplexe Zusammenhänge zu erklären. Visuelle Wahrnehmung, zeitliche und räumliche Orientierung, Aufmerksamkeit, räumliches Denken, die Fähigkeit zur Abstraktion, Kopfrechnen – all das wird in dem etwa 15-minütigem Test abgerufen. Wie es um Gedächtnisleistung und Raumwahrnehmung steht, zeigt der Uhrentest. „Er erlaubt erste Rückschlüsse auf demenzielle Veränderungen“, erklärt Rühl. Ebenso wie der Fünf-Wörter-Gedächtnistest, bei dem sich zeigt, ob man sich kürzlich erlernte Informationen einprägen kann. Und so werde ich „Gesicht, Samt, Kirche, Tulpe, Rot“, heute vermutlich noch im Schlaf murmeln.

Warum Früherkennung so wichtig ist

„Uff! Geschafft, 28 von 30 Punkten, bestanden“, denke ich erleichtert. Doch um Bestehen oder Nicht-Bestehen, sich gut oder schlecht fühlen, geht es beim Demenz-Screening nicht. „Je früher kognitive Einschränkungen bei einem Menschen erkannt werden, desto besser kann man ihm helfen“, betont Elmar Stegmeier. Zwar hofft jeder, dass es ihn nicht trifft. Und doch erkranken viele ältere Menschen an einer Demenz.

Ankerpunkt und Kompetenzzentrum in der Region

Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit geht davon aus, dass in Bayern aktuell etwa 270.000 Über-65-Jährige mit Demenz leben. Im Jahr 2030 werden es 300.000, bis 2040 etwa 380.000 Betroffene sein. Und allein im „überalterten“ Priental von Sachrang bis Wildenwart muss mit 150 neuen Erkrankungen pro Jahr gerechnet werden.

„Nur fünf der 29 Gedächtnisambulanzen in Bayern befinden sich im ländlichen Raum. Das bedeutet, dass etwa 27.500 Menschen weite Wege von mindestens 40 Minuten auf sich nehmen müssen, um eine Demenzvorsorge zu erhalten“, erläutert Hörath. Gerade deshalb sei es wichtig, dass Forschungspartner auf dem Land im Projekt mitwirken: „Der ökumenische Sozialdienst ist Ihr Ankerpunkt, Ihr Kompetenzzentrum in der Region.“

„Wir wollen eine Netzwerk für Angehörige, Nachbarn, Freunde, aber auch Mitarbeiter von öffentlichen Einrichtungen wie Verwaltungen, Banken oder Supermärkten schaffen, um all jene zu erreichen, die sich Sorgen um Menschen mit demenziellen Erkrankungen machen“, betont Elmar Stegmeier. Wie wichtig eine sorgende Gemeinschaft ist, hat Altbürgermeister Werner Weyerer im eigenen Bekanntenkreis erlebt: „Es ist sehr bedrückend, wenn man erlebt, wie ein Mensch seine Persönlichkeit verliert und sich in eine dauerhafte Abwesenheit verabschiedet.“

Gut gerüstet für die Zukunft

Die Teilnehmer des ersten Demenz-Screenings in der Region sind gut gerüstet für die Zukunft. Sie erhielten – unabhängig von ihrer Punktezahl im Test – eine Infobroschüre über Demenz und eine Liste mit wichtigen Anlaufstellen in der Region: Dazu gehören beispielsweise die Gedächtnissprechstunde in Agatharied, das Alzheimer Therapiezentrum in Bad Aibling oder das Neurozentrum in Prien. Und so hat der Ökumenische Sozialdienst Prien für die ersten 70 Menschen schon ein kleines Netzwerk geknüpft.

Weitere Demenz-Screenings sind geplant. Nähere Informationen dazu erhalten Interessenten bei bei Anna Jell-Hochwarter vom Ökumenischen Sozialdienst Priental unter der 01 76/84 10 73 66 oder per E-Mail an a.jell@sozialdienst-aschau.de.

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