So erlebten Kinder die Befreiung
80 Jahre nach Kriegsende: Letzte Zeitzeugen berichten vom Einmarsch der G.I.s in Aschau
Heimatforscher engagieren sich für den Frieden: 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges berichten die letzten Aschauer Zeitzeugen, wie das Dritte Reich zerschlagen wurde, die US-Armee ihr Dorf erreichte, was sie erlebten, und wovor sie Angst hatten.
Von Elisabeth Kirchner und Kathrin Gerlach
Aschau im Chiemgau – Acht Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkrieges gibt es nur noch wenige Zeitzeugen. In Aschau im Chiemgau sind es Kriegskinder wie Hans Rucker, Gottfried Wimmer und Sepp Hobelsberger. Sie waren sieben oder acht Jahre alt, als die Amerikaner das Priental befreiten. Und es sind die Kriegsenkel wie Thomas Bauer und Rupert Wörndl, die die Erinnerungen ihrer Eltern und Großeltern bewahrten, die für die Heimatforschung von Aschau und Frasdorf Zeitzeugen befragten und die Ereignisse vom Mai 1945 dokumentierten.
22. Februar – ein Abend der Erinnerung
Am Samstag, 22. Februar, um 19 Uhr, lassen sie im evangelischen Pfarrheim in Aschau die Erinnerungen aufleben. Der Gedenkabend „80 Jahre Kriegsende: Als die Amerikaner ins Priental kamen“ ist auch als Mahnung gedacht: „80 Jahre Kriegsende bedeuten auch 80 Jahre Frieden. Und dafür müssen wir dankbar sein“, sagt Thomas Bauer. „Und der Frieden war in den vergangenen 80 Jahren nie so fragil wie heute.“
Erstkommunion und Luftangriffe im April 1945
Bauer, der zweite Vorsitzende des Aschauer Heimat- und Geschichtsvereines, hält ein Foto seiner Großmutter Katharina und Mutter Isolde Obermaier in der Hand. „Das wurde am Tag ihrer Erstkommunion aufgenommen. Da ist meine Mutter etwa neun Jahre alt“, erzählt er. Zwischen Oktober 1944 und dem Einmarsch der US-Truppen am 2. Mai war Rosenheim Ziel von 14 Luftangriffen. „Auch am Tag der Erstkommunion meiner Mutter am 8. April 1945 gab es wieder einen Fliegeralarm.“ Einen Hinweis darauf hat Bauer in einem Feldpostbrief seiner Großmutter an ihren Sohn gefunden. „Darin beschreibt sie, dass die Messe wegen Fliegeralarms unterbrochen werden musste, alle die Schutzräume aufsuchten, und dass amerikanische Tiefflieger beobachtet wurden, die möglicherweise Ziele auf der Autobahn oder den Raum Rosenheim angegriffen haben“, berichtet Bauer.
Am 3. Mai 1945 befreien die Amerikaner Aschau
Wenige Wochen vor Kriegsende eroberten amerikanischen Truppen mit großer Geschwindigkeit weite Teile Bayerns. Die US-Armee besetzte am 11. April Würzburg, am 20. April Nürnberg, am 30. April München, am 1. Mai Landshut und am 2. Mai Rosenheim. Der deutsche Oberst Cord von Hobe war mittendrin in diesen Kämpfen. Er war der Schwiegersohn von Generaloberst Franz Halder, dem in Aschau lebenden Generalstabschef des Heeres. Hobe befehligte in jenen Tagen die Panzerkampfgruppe XIII. In seinem Tagebuch beschrieb er die Ereignisse so: „Die Kampfgruppe erhält den Befehl, die Enge bei Bernau nördlich von Aschau im Chiemgau zu sichern. Der Gefechtsstand wird nach Hohenaschau verlegt.“
Die Verbände der deutschen Wehrmacht lösten sich langsam auf. „Am 3. Mai 1945 erreichten die amerikanischen Truppen Aschau im Chiemgau“, berichtet der Heimatforscher Bauer. Im Kriegstagebuch der „Panzergruppe XIII von Hobe“ wurde der Einmarsch in Aschau so beschrieben.: „Amerikanische Einheiten greifen mit Panzerunterstützung bei Bernau und Frasdorf an und stoßen nach kurzem Gefecht auf Aschau vor. Die Reste der Panzerkampfgruppe XIII ziehen sich unter Aufgabe aller noch vorhandenen Kfz auf die Almen in den Bergen beiderseits des Prientals zurück. Letzter Gefechtsstand: Elandalm.“
So wollten deutsche Soldaten der Kriegsgefangenschaft entgehen
Hobe habe auch notiert, wie deutschen Soldaten ihre Flucht planten, um der Kriegsgefangenschaft zu entgehen, berichtet Heimatforscher Bauer. Im Tagebuch hielt er am 5. Mai 1945 fest: „Nach der Bekanntgabe der deutschen Kapitulation im Westen durch den Rundfunk wird die Panzergruppe XIII nach einem kurzen Appell aufgelöst und die Männer entlassen.“ Damit sie in ihren Uniformen nicht auffallen, „wandern“ sie „als harmlose Zivilisten einzeln ins Tal.“ Daran konnte sich die Mutter von Heimatforscher Thomas Bauer noch gut erinnern: „Sie erzählte, dass sich Wehrmachtssoldaten vor ihrem Haus mit Zivilkleidung versorgten, die Großmutter ihnen einen Kaffee kochte, und die Soldaten den Frauen sagten, dass sie die weiße Fahne hissen sollten, wenn sie weg wären.“
Wie erlebten die „einfachen Menschen“ diese Zeit?
Hatten die Menschen Angst? Waren sie enttäuscht, weil der Krieg „verloren war“ oder fühlten sie sich befreit? Thomas Bauer hat Antworten auf diese Fragen gesucht. Und seine Großmutter sagte ihm: „Endlich konnte man wieder frei reden und musste keine Angst mehr haben, wenn es an der Tür klopfte.“
Hans Rucker (87) hat miterlebt, wie die G.I.s mit ihren Panzern und Jeeps aus Richtung Frasdorf in Aschau einrollten. Im Burghotel, dem Hotel zur Post und auf Schloss Hohenaschau, das damals ein Lazarett war, bezogen sie Quartier. Rucker war 1945 sieben Jahre alt, ging nicht gern zur Schule und war froh, dass die Amerikaner die Nazilehrer aus der Schule jagten. „Doch lange konnte er seine schulfreie Zeit nicht genießen“, erzählt Thomas Bauer. „Ab Herbst 1945 wurde der Unterricht wieder aufgenommen.“
Der Geschmack des ersten Kaugummis
Rucker kann sich mit 87 Jahren noch immer gut an seinen ersten Kaugummi erinnern. Er weiß noch, dass Waffen, Ferngläser und Fotokameras drei Wochen nach Kriegsende auf dem Kirchplatz von Aschau abgeliefert werden mussten. Und, so erzählt er: „Der Gartenbaubetrieb unserer Familie war ein ernährungswichtiger Betrieb. Selbst die Amis kamen gern vorbei, denn ihnen war das frische Gemüse lieber als ihre Dosenrationen.“
Als Flüchtling nach Aschau gekommen
Seine Frau Astrid (83) war damals noch ein Kleinkind. Mit ihrer Mutter, der Großmutter, der Tante und deren fünf kleinen Kindern war sie aus Berlin über eine Zwischenstation im schlesischen Gleiwitz –dem heutigen Gliwice in Polen – nach Aschau geflüchtet. „Es war eine entbehrungsreiche Zeit“, erinnert sie sich, die als Flüchtling im Schulhaus unterkam und auf Strohballen schlief.
Ausführlich werden die letzten Zeitzeugen sowie die Heimatforscher Thomas Bauer und Rupert Wörndl über das Ende des Zweiten Weltkrieges beim Gedenkabend „80 Jahre Kriegsende: Als die Amerikaner ins Priental kamen“ erzählen. „Der Abend soll auch ein Impulsgeber für unsere Erinnerungskultur sein“, wünscht sich Bauer. „Er soll nachdenklich stimmen und das Bewusstsein dafür schärfen, wie dankbar wir dafür sein müssen, dass wir seit 80 Jahren in Frieden leben dürfen.“
Erinnerungen sollen Friedensbewusstsein schärfen
Bauer sieht es als Aufgabe der Nachkriegsgeneration an, „die Eindrücke und Erlebnisse ihrer Eltern und Großeltern aus dieser Zeit an die künftigen Generationen weiterzugeben“. Bauers Großvater kam aus dem Zweiten Weltkrieg nicht zurück, sein Vater wurde schwer verwundet, sein Onkel mit 17 Jahren zum Kriegsdienst verdammt und fünf Jahre in Kriegsgefangenschaft. „Mir läuft es bei der momentanen Kriegsrhetorik kalt den Rücken runter“, sagt Bauer, „denn Krieg ist die schlechteste Lösung. Und jedes Kriegstreiben müssen die kleinen, einfachen Leute ausbaden.“

