Zu Besuch bei der Handwerkskunst
Von wegen Weihnachtskugeln: Warum am Berchtesgadener Christbaum Holzspielzeug hängt
An den Christbäumen der Familien im Talkessel hängt traditionell die „Berchtesgadener War“. Was es mit den Holzminiaturen auf sich hat, wann sie entstanden sind und warum die Nachfrage kein Ende nimmt, erklärt Dirk Fress, der Leiter der Berchtesgadener Handwerkskunst.
Berchtesgaden – Im 500 Jahre alten denkmalgeschützten Gebäude der ehemaligen Fronfeste befindet sich das Geschäft der Berchtesgadener Handwerkskunst. Diese ist dem Landratsamt unterstellt, seit über 20 Jahren ist Dirk Frees ihr Leiter. Er weiß auch ganz genau, wie der Christbaumschmuck entstanden ist.
Die Berchtesgadener Handwerkskunst begann 1840 mit der Gründung der Industrie-Zeichenschule, die den Holzhandwerkern neben handwerklichen Fähigkeiten auch künstlerischen Ausdruck vermittelte. Die Wittelsbacher förderten die Schule, die 1924 zur Bauernkunstgenossenschaft wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete Georg Zimmermann die Berchtesgadener Handwerkskunst, um der bäuerlichen Bevölkerung Gelegenheit für Nebenverdienste zu bieten. Das Holzhandwerk in Berchtesgaden hat tiefe Wurzeln, begann im 12. Jahrhundert und entwickelte sich zu einem künstlerischen Handwerk. Die Handwerkerordnung von 1535 legte die Regeln für Drechsler, Schachtel- und Löffelmacher fest. Trotz Veränderungen ist die Berchtesgadener Volkskunst bis heute lebendig, und die Handwerkerrichtlinien von 1872 sind weiterhin gültig. Die Produkte der Handwerkskunst kann man in drei Sparten teilen: die Spanschachteln, die Grobschnitzerei und den Christbaumschmuck.
Vom ausgedienten Holzspielzeug zum Christbaumschmuck
Als Holzspielzeug gab es die Produkte schon lange vor dem eigentlichen Weihnachtsschmuck. „Am ältesten sind die ganzen Gebrauchsgegenstände“, erklärt Frees, „von Eimer und Rechen über Holzschuhe, eben alles, was der Bauer an Holzgegenständen brauchte.“ Doch gegen Ende des 19. Jahrhunderts wäre das Holzspielzeug fast verschwunden. Der Grund: Mit der Industrialisierung schwemmten immer mehr Spielwaren aus Blech und Bakelit auf den Markt. „Kein Mensch wollte mehr das historische Holzspielzeug haben. Da kam aber ein schlauer Berchtesgadener, der Herr Reinbold, auf die Idee, das Spielzeug in verkleinerter Form an die heimische Fichte zu hängen“, so Frees. Der Kunstmaler Anton Reinbold war der Großvater der heutigen Leiterin des Heimatmuseums, Friederike Reinbold. So kam es zu einer Renaissance der Handwerkskunst, der neue Geschäftszweig des Christbaumschmucks war geboren.
Im Laden der Handwerkskunst geht es recht bunt zu. In den einzelnen Körbchen liegen die verschiedensten Gegenstände aus, darunter:
- Möbelstücke wie Stühle, Tische, Betten, Nachtkästchen, Wiegen
- Weihnachtliche Symbole wie Kometen, Glocken, Engel, Kirchen, Marterl und Kramperl
- Musikalisches wie Liederbücher, Pfeifen, Trompeten und Zither
- Alltagsgegenstände wie Kraxn, Bügeleisen, Werkzeugkasten, Klohäuschen
- Tiere wie Vögel und Pferde
Es werden immer mehr Teile
Doch ganz so vielfältig wie heute war die Auswahl nicht immer, erklärt Dirk Frees. „Früher gab es nur ein Set: Eine acht- oder zehnteilige Krippe und ein paar Einzelteile. Das hat der Berchtesgadener aber alles schon gehabt, und dann habe ich angefangen, neue Sachen zu kreieren.“ Die Krippe wurde so um Schafe, Geißen und Gämse erweitert. Ähnlich lief es dann auch beim Christbaumschmuck. Los ging es mit einer Kaffeemühle, die sich zum absoluten Renner entwickelte.
„Jedes Jahr sind dann die Leute gekommen und haben gefragt, was es Neues gibt.“ Inzwischen kommen jährlich bis zu sechs Novitäten auf den Markt, vom Liederbuch über die Gießkanne, den Liegestuhl bis hin zur Zither und zum Marterl. Selbstverständlich achtet der Leiter darauf, dass man sich die Artikel auch am Christbaum vorstellen kann. „Ein Handy oder ein Computer sind natürlich nicht passend.“ Das Drehscheibentelefon sowie ein altes Bügeleisen findet man hingegen schon, auch oder gerade weil Kinder so etwas häufig nicht mehr kennen. „Es kommen viele Fünfjährige, die fragen: ‚Mama, was ist das?‘.“
Von der Idee zum fertigen Schmuck
Doch wie entsteht eigentlich ein neuer Baumschmuck? Am Anfang steht natürlich immer eine Idee. Über das Jahr sammelt Frees schon Inspirationen und Vorschläge von den Menschen, die in den Laden kommen. Manchmal sieht er auch etwas in einem Spielzeugladen oder auf einem Christkindlmarkt. Dann geht es an die ersten Muster. „Das Bügeleisen habe ich zum Beispiel auf einem Flohmarkt gesehen. Dort habe ich es fotografiert und es dann aus Styropor grob ausgeschnitten.“ Doch es soll ja auch „funktionstüchtig“ sein, zumindest als Spielzeug. Daher muss man es öffnen können. Also braucht man ein kleines Schanier. Innen wird es ausgehöhlt. Ein winziger Magnet ist zum Verschließen angebracht. Schließlich fehlt noch der Griff. Dazu musste ein Werkzeugmacher extra eine kleine Heizplatte bauen, mit der man das Holz biegen kann.
In der Regel ist es so, dass immer ein Hersteller das ganze Produkt macht. Im ersten Jahr werden etwa 700 bis 900 Stück produziert, die dann zur Adventszeit herauskommen. Produziert wird ausschließlich von Handwerkern aus dem Talkessel im Nebenerwerb. „Würden wir irgendwo in Kroatien, Tschechien oder China produzieren, wäre die Berchtesgadener Handwerkskunst irgendwann beim Teufel“, betont Frees. Meist steckt eine ganze Familie hinter einem Produkt, wie es auch früher schon immer war. „Man muss sich das fast kleinindustriell vorstellen: Die Familie ist in der beheizten Stube gesessen. Mama, Papa, das vierjährige Kind, die Geschwister und der 80-jährige Opa. Vorne hat man angefangen, und dann hat die Ware eine Runde gemacht.“ Einzelne Exemplare des Christbaumschmucks stellen wir Euch noch in einem eigenen Artikel vor.
Touristen kaufen das ganze Jahr über
Die Adventszeit bedeutet auch das Hauptgeschäft für die Berchtesgadener Handwerkskunst. Im Dezember kommt so viel Umsatz zusammen wie sonst in neun Monaten. Früher war es so, dass man in der ruhigen Zeit ab Schulbeginn gut vorproduzieren konnte. Aber diese „tote“ Zeit gibt es nicht mehr. Auch im September und Oktober bis hinein in den November sind inzwischen sehr viele Touristen da. „Die kaufen einfach und bis Weihnachten müssen wir schauen, nicht leer zu sein“, erklärt der Leiter. Dass das Handwerk einmal aussterben könnte, befürchtet er nicht. Die Berchtesgadener War schwimmt derzeit auf einer Welle der ländlichen Renaissance mit. „Die Jugendlichen tragen wieder Tracht und kochen alte Rezepte von der Oma nach. Auch durch Zeitschriften wie Servus oder Landliebe ist das alles wieder publik geworden. Davon profitieren wir natürlich extrem.“
Dirk Frees erzählt zum Schluss unseres Besuchs, dass er als Kind am liebsten die Kraxe gemocht hat. „Die gibt es auch schon wahnsinnig lang und ist sehr aufwändig in der Herstellung.“ Inzwischen wurde die Kraxe bei ihm aber durch den Vogelkäfig abgelöst. „Den finde ich ganz süß. Aber ich mag eigentlich alles, was wir neu kreiert haben, weil dort überall viel Liebe und Arbeit drinnen steckt.“
mf

