Jeder muss sich selbst schützen
Sturzflut-Risiko in Bad Reichenhall: Wie steht es um mein Haus?
Extremwetterereignisse nehmen zu und damit auch die Gefahr von Sturzfluten. Erst im August ging eine Superzelle über Salzburg nieder. Bad Reichenhall hat mit einem Projekt vorgesorgt: Jeder Bürger kann nun sehen, wie es um das eigene Haus bei einer Sturzflut steht. - Und muss sich selbst davor schützen.
Bad Reichenhall – Ein „Vorzeigeprojekt“ nannte es Oberbürgermeister Dr. Christoph Lung im Stadtrat am 19. September. „Wir haben uns als Reaktion auf den Klimawandel vorbereitet.“ Bereits im April 2020 hatte die Stadt das Ingenieurbüro Aquasoli aus Siegsdorf beauftragt, ein umfassendes Konzept zu den Risiken durch Sturzfluten zu erstellen. Die Kosten hierzu wurden zu 75 Prozent vom Freistaat Bayern gefördert.
Eigenverantwortung der Bürger bei Starkregenereignissen
Sollte etwa die Saalach über die Ufer treten, hat man als Bürger zwar einen Anspruch darauf, vor Hochwasser aus Gewässern geschützt zu werden. Es gibt jedoch keine kommunale Verpflichtung, die Bürger vor Starkregen zu bewahren. Das heißt: Jeder muss sein Haus selbst vor solchen Gefahren schützen. Oftmals reichen einfache bauliche Maßnahmen wie die Erhöhung von Kellerlichtschächten aus, um die Situation zu verbessern. Die Stadt hat hierzu auch Tipps zur Eigenvorsorge veröffentlicht.
Simulationskarten für jeden einsehbar
Ob und wie stark ein Gebäude von solch einem Unwetter betroffen wäre, kann man nun auf der Website der Stadt Bad Reichenhall einsehen. Dort werden Regenfälle simuliert, die 120 Minuten dauern und statistisch gesehen alle 30 Jahre (HN 30) oder alle 100 Jahre (HN 100) auftreten. Die Bedienung der interaktiven Karten für die vier Stadtteile Thumsee, Karlstein, Stadtgebiet und Marzoll ist sehr einfach. Man sucht sich den richtigen Stadtteil aus, dann wird man schon angeleitet, welche Einstellungen man vornehmen kann. In der Adressleiste lässt sich das eigene Wohngebäude suchen. Auf der animierten Satellitenkarte sieht man nun, wo sich das Wasser bei einer Sturzflut seinen Weg bahnen würde.
Das Ergebnis beunruhigt die Stadträte
Bei der Betrachtung der Karten im Stadtrat zeigten sich einige Mitglieder sehr besorgt. „Die Abflusskarte vom Hochstaufen war furchterregend“, meinte Friedrich Hötzendorfer (FWG). Er appellierte an die Eigenverantwortung: Der Hausbesitzer sei verpflichtet, seinen Gehsteig zu reinigen. „Immer wieder beobachte ich, dass auf die Straße gekehrt wird. Das verstopft die Gullis und dann schimpft man über die Stadt.“ Julia Schmied (fraktionslos) verwies darauf, dass das Areal um das Krankenhaus stark gefährdet sei und forderte Maßnahmen.
„Wir müssen den Ablauf aus den Hängen verlangsamen“, sagte Hans Hartmann (CSU). Stadtbauamtsleiter Thomas Knaus erklärte, dass man die Erkenntnisse bereits in die Bauleitplanungen eingebracht habe. Man achte nun mehr auf durchlässige Beläge und Grünflächen sowie das sichere Ableiten von Niederschlagswasser. So bringe etwa die Bundesstraße von Bayerisch Gmain viel Wasser in die Stadt. „Am besten eingreifen kann man bei Baumaßnahmen, etwa durch geringe Änderung der Neigung.“
Rainer Hüller (Grüne) nannte es angesichts der Extremwetterzunahme einen „völligen Blödsinn“, bei den Modellberechnungen von Jahrhunderthochwassern zu sprechen. In dem Zusammenhang wollte er auch wissen, ob die Erfahrungen der letzten Jahre mit in die Berechnungen eingeflossen seien. Bernhard Unterreitmeier von Aquasoli erklärte, dass in das zweijährige Projekt zum einen die Daten vom Deutschen Wetterdienst integriert seien. Zum anderen sei er selbst unterwegs gewesen und habe Messungen gemacht. „Wir berechnen auch, was um ein Vielfaches über dem Jahrhunderthochwasser liegt, also den worst case.“
Bei Bodenfrost sei die Saugfähigkeit nicht mehr gegeben, meinte Manfred Hofmeister (Bürgerliste). Unterreitmeier erwiderte, dass Starkregen überwiegend im Sommer auftrete. Zudem liege die Genauigkeit der Vermessungen bei unter zehn Zentimetern. Die Entwässerung der Stadt sei ohnehin nicht berücksichtigt worden, da etwa Hagel die Einläufe verschließen könnte. Es wurde somit der Fall berechnet, wenn das gesamte Wasser über das Gelände abfließen müsste.
Schaut man sich die Karten genau an, wird klar: Beruhigen wird das Szenario wohl kaum jemanden, sind doch viele Bereiche der Stadt gefährdet. Dennoch macht es keinen Sinn, die Augen vor den Gefahren zu verschließen. Unterreitmeier nannte die Karten einen „ersten Schritt zur Eigeninitiative“.
mf

