Bitte deaktivieren Sie Ihren Ad-Blocker

Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.

Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für . Danach können Sie gratis weiterlesen.

Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
  • Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
  • Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
  • Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
  • Jederzeit kündbar

Sie haben das Produkt bereits gekauft und sehen dieses Banner trotzdem? Bitte aktualisieren Sie die Seite oder loggen sich aus und wieder ein.

Behandlung von Zwangsstörungen an der Schön Klinik Berchtesgadener Land

Nur Tic oder schon Zwang? Wieso das Krankheitsbild oft falsch verstanden wird

Dr. Doerr, Chefarzt der Psychosomatik an der Schön Klinik Berchtesgadener Land
 über Zwangsstörungen
+
Den Herd nochmal vor dem Verlassen des Hauses kontrollieren hat sicherlich jeder schon gemacht. Doch ab wann werden Handlungen wie diese zwanghaft? Dr. Robert Doerr, Chefarzt im Fachzentrum für Psychosomatische Medizin an der Schön Klinik Berchtesgadener Land, kennt die Hintergründe und Symptome einer Zwangsstörung.

Anders als Tic‘s sind Zwänge von Angst geleitet. Sie können so stark werden, dass sie den gesamten Alltag bestimmen. Dr. Robert Doerr, Chefarzt im Fachzentrum für Psychosomatische Medizin in der Schön Klinik Berchtesgadener Land, ist es ein Anliegen, offen über Zwänge zu sprechen.

In Deutschland leiden jedes Jahr etwa 2,3 Millionen Menschen unter den Symptomen einer Zwangsstörung. Die Schön Klinik Berchtesgadener Land bietet aufgrund des steigenden Bedarfs die Behandlung von Zwangsstörungen bei Erwachsenen an. Herr Dr. Doerr, welche Anzeichen deuten auf eine Zwangserkrankung?

Vor dem Verlassen des Hauses nochmal den Herd kontrollieren - das haben wir alle schon gemacht. In dem Moment, in dem es als unsinnig empfunden wird und sich Gedanken sowie Handlungen aufdrängen, geht es in Richtung Zwang. Mit dem Wissen im Hintergrund, dass der Herd wirklich aus ist, genügt den betroffenen Personen das fünfte Mal nachschauen immer noch nicht, um in Ruhe das Haus verlassen zu können. Der Patient erlebt das selbst als übertrieben. Solche Verhaltensarten können weitere Dimensionen annehmen: Patienten filmen oder fotografieren, um sich später nochmal zu vergewissern, dass der Herd tatsächlich aus ist.

Welche Arten von Zwängen gibt es und wie erlebt der Patient das Krankheitsbild?

Das Spektrum ist irrsinnig groß: Von übertriebenem Waschen oder Kontrollieren bis hin zu absurdem Verhalten wie das Zählen der eigenen Zähne mit der Zunge. Auch automatisiertes Verhalten, wie beim Spazierengehen auf der Straße nicht auf Fugen zu treten, zählt zu einer Zwangshandlung. Sie dient dazu, inneren Druck und Spannung abzubauen oder drohendes Unheil abzuwenden: Wenn ich das nicht tue, könnte als Folge etwas Schlimmes passieren.

Führen solche zwanghaften Verhaltensweisen zu Isolation und sozialem Rückzug bei den Betroffenen?

Häufig sind beruflich, privat und finanziell negative Folgen spürbar. Je ausgeprägter die Erkrankung ist, umso weniger Zeit bleibt für andere Dinge. Die Betroffenen schaden sich selbst immer mehr. Das Krankheitsbild wird von Unbeteiligten oft falsch verstanden, denn Zwanghaftigkeit hat nichts mit Ordentlichkeit und Sauberkeit zu tun. Vielmehr ist das Verhalten für denjenigen, der unter einer Zwangserkrankung leidet, belastend und eine Qual.

Wie entwickelt sich eine Zwangsstörung?

Wie es sich genau entwickelt, ist nicht bekannt. Es spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Zum Einen die Genetik: Eine Zwangsstörung kann vererblich sein. Zum anderen können neurobiologische Gründe dahinter stecken, wie eine Störung im Gehirn. Auch neuroimmunologische Faktoren können Zwangsstörungen auslösen. Dazu zählen beispielsweise Entzündungen nach einer Streptokokken Infektion. Da das Krankheitsbild sehr oft schon in der Jugend oder Pubertät auftritt, können Traumata in der Kindheit Zwangshandlungen begünstigen. Die Palette ist riesig, die Auslöser sind immer multifaktoriell.

Das bedeutet, der Fokus liegt eher auf der Behandlungstherapie denn auf der Ursachenforschung?

Genau, das ist das Entscheidende: Nicht herauszufinden, wo es herkommt, sondern erkennen, wie sich die Erkrankung äußert und eine passende Therapie zu entwickeln. Wir sprechen mit den Patienten über die Anfänge der Erkrankung, wann, warum und wie Symptome zum ersten Mal aufgetreten sind, führen Verhaltensanalysen durch und gehen auf die Biographie ein. Um physische Hintergründe auszuschließen, führen wir zusätzlich Untersuchungen in Labor und EKG durch.

Was ist das Entscheidende bei der Behandlung in der Schön Klinik Berchtesgadener Land?

Wichtig ist, den Patienten Mut zuzusprechen und sie zu entlasten. Viel führt über Gespräche und Aufklärung über die psychische Erkrankung. Unbehandelt ist eine Zwangserkrankung chronisch und besteht lebenslang in 50 Prozent der Fälle. Betroffenen zu erklären, dass sie mit diesem Krankheitsbild nicht allein sind, ist für sie bereits sehr entlastend. Bei einer Behandlung im Rahmen eines Krankenhausaufenthalts setzen wir neben einer medikamentösen Behandlung vor allem auf die Verhaltenstherapie.

Verhaltenstherapie - Was darf ich mir darunter vorstellen?

In der Verhaltenstherapie versuchen wir Stress-Situationen wie die möglicherweise angeschaltete Herdplatte zu entzerren, die Lage zu kanalisieren, Reaktionen in Lernprozessen abzubauen und einen neuen Weg zu konditionieren. Das Entscheidende bei Zwangserkrankungen: Die Exposition begleitend mit dem Patienten durchzuführen und ihn mitzunehmen. Das gilt in erster Linie für junge Patienten. Je eher und schneller die Krankheit erkannt und behandelt wird, umso weniger kann sie Kinder und Jugendlichen in ihrer Entwicklung beeinträchtigen.

Während der Corona-Pandemie waren wir mit stetigen Wasch- und Desinfektionsregeln konfrontiert. Hatte dies Auswirkungen auf Patienten mit Zwangsstörungen oder entwickelten sich dadurch möglicherweise neue Zwänge?

In der Bevölkerung hat es während der Krise zugenommen, dass die Leute öfter Hände waschen. Doch normalerweise reguliert sich das Verhalten ohne psychische Erkrankung wieder von selbst. Wir sind durch die Pandemie und ihre Maßnahmen nicht zu einer Nation von Zwangsgestörten geworden, Erkenntnisse über vermehrte Zwangserkrankungen liegen nicht vor. Bei jenen, die schon erkrankt waren, haben wir allerdings eine Verschärfung der Symptomatik bemerkt. Gerade bei Patienten, die unter einem Waschzwang leiden, Angst oder Ekel vor Infektionen haben, haben die Symptome in der Zeit zugenommen.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie geht es weiter mit der Station in der Schön Klinik Berchtesgadener Land?

Behandlungsplätze für Patienten mit Zwangserkrankungen sind rar in der Republik und auch in der Schön Klinik Berchtesgadener Land. Patienten benötigen in der Regel pro Woche zwei bis drei Expositionsbehandlungen (Konfrontationstherapien). In der Psychosomatik haben wir uns bereits vergrößert, geplant ist die Erweiterung der Abteilung für Zwangserkrankungen. Doch dafür brauchen wir auch geeignetes Personal.

Herr Dr. Doerr, herzlichen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch.

mb

Kommentare