„Wir sind Krieger an unserem Platz“
Durch Krieg getrennt, im Tanz vereint – Ukrainisches Ballett-Duo in Bayerisch Gmain
„Wir sind Krieger an unserem Platz“, fasst es die Ballerina Viktoria Tkach zusammen. Sie floh mit ihren Söhnen aus der Ukraine, während ihr Mann weiterhin an der Staatsoper in Lviv tanzt. - Ständig in Angst, eingezogen zu werden. Doch die beiden kämpfen als Künstler gemeinsam gegen den Krieg und sammeln Spenden für Kinder in Not. Kürzlich auch in Bayerisch Gmain.
Bayerisch Gmain – Der Klosterhof ist ein sehr friedlicher Ort: Man blickt auf eine schöne, hügelige Wiese, dahinter ein dichter Wald und über allem thront das Lattengebirge. Man hört keine Fahrzeuge. Es ist ein lauer Sommerabend, der 18. Juli, und keiner mag angesichts der Umgebung daran denken, dass gar nicht weit weg Krieg herrscht. Doch darauf wollen uns Viktoria Tkach und ihr Mann Sergej Kachura mit ihrer Ballettperformance im Freien hinweisen. Der Reinerlös geht nämlich an das ukrainische Kinderhilfswerk. Die beiden kommen aus der Ukraine, genauer gesagt aus Lviv. Viktoria ist aus dem Krieg mit ihren beiden Söhnen geflohen. Sergej arbeitet immer noch als Solotänzer an der Lemberger Staatsoper. Er zählt zu den besten Balletttänzern Europas.
„Wir wussten, dass es Zeit ist zu gehen“
Den Krieg hat Viktoria dennoch immer im Herzen, erzählt sie im Interview mit BGLand24.de. „Man weiß einfach, dass es die ganze Zeit geschieht. Das können wir auch hier nicht vergessen.“ Die Entscheidung zur Flucht fiel spontan. „Wenn man die Raketen hört und große Angst um seine Kinder hat, weiß man, dass man damit nicht klar kommt. Denn es hängt nicht von einem selbst ab in dem Moment. Zunächst waren wir zu Hause und dachten, wir würden das irgendwie hinbekommen. Aber dann war der Moment da, wo wir wussten, dass es Zeit ist zu gehen.“
Benefizveranstaltungen bringen die Familie hin und wieder zusammen
Sergej muss in der Ukraine bleiben. Er möchte zwar nicht ohne die Familie sein, aber als Mann ist es ihm nicht gestattet zu gehen, da er möglicherweise eingezogen wird. Aktionen wie der Charity-Event bringen die Familie zumindest hin und wieder zusammen, denn Sergej ist Botschafter des ukrainischen Kinderhilfswerks. „Wir haben immerhin in dieser Zeit die Gelegenheit, uns zu sehen. Es gibt viele Familien, die auf Dauer getrennt sind“, sagt Viktoria. Dennoch haben sich die beiden erst dreimal in diesem Jahr getroffen. Natürlich sind sie ständig im Kontakt, „aber das ist nicht dasselbe. Vor allem nicht für die Kinder, die brauchen ihren Vater.“
Für den älteren Sohn war die Umstellung schwierig
Für Viktoria und die Kinder bedeutete die Flucht nach St. Johann in Tirol eine große Umstellung. Zwar seien die Natur und die Berge sehr ähnlich, es rieche sogar manchmal so wie in ihrer Heimat, aber es sei nun mal nicht ihr Zuhause, sagt sie. Für den Jüngeren, der fünf Jahre alt ist, sei es einfacher gewesen. „Er ist glücklich, wenn seine Mutter da ist. Er versteht auch nicht wirklich, was los ist.“ Dem Älteren fiel der Ortswechsel deutlich schwerer. „Er litt wegen der Familie, den Freunden, den Orten, den Spielplätzen und den Schulkameraden. Es war eine schwierige Zeit für die Kinder, aber jetzt haben sie verstanden, dass wir hier bleiben müssen. Es gibt viele nette Leute hier, sie haben auch schon ein paar Freunde gefunden. Im Moment sind sie okay. Sie sind zumindest in Sicherheit.“
Einschränkungen an der Lemberger Staatsoper
Lviv befindet sich etwas abseits vom Kriegsgeschehen. Dennoch gibt es auch hier regelmäßig Bombenalarm. Die Lemberger Staatsoper hat nach wie vor geöffnet, allerdings mit Einschränkungen. „Es kommt schon vor, dass sie mitten während der Vorstellung in den Keller laufen und dort bleiben müssen. Auch ist das Publikum nicht voll besetzt, denn es ist notwendig, dass jeder genug Platz hat, um zu fliehen“, übersetzt Viktoria ihren Mann ins Englische für uns. „Somit ist es nicht mehr der gleiche Job, aber es ist cool, dass sie in dieser Zeit trotzdem versuchen, es hinzubekommen.“
Das Tanzpaar unterstreicht, wie wichtig Kunst und Kultur in Zeiten des Krieges sind. Kunst diene dazu, die Dinge „von oben“, also distanzierter zu sehen, meint Viktoria. „Was gerade passiert, ist wirklich schrecklich und beängstigend. Die Leute brauchen auch ein bisschen Zeit, um all das vergessen zu können.“ Daher sieht sie sich selbst auch als Kämpferin. „Wir sind Krieger an unserem Platz. Es gibt niemanden im meinem Land, der gerade einfach gar nichts macht. Jeder kämpft an seinem Platz. Das ist unser Platz und hier geben wir unser Bestes.“ Freude empfindet sie nach wie vor, wenn sie tanzt. „Ich vergesse dabei alle Sorgen und Probleme und genieße den Moment mit meinem Mann.“ Während sie das sagt, schmiegt sie sich liebevoll an ihn.
Das Kinderhilfswerk steht ukrainischen Kindern in dieser schwierigen Zeit bei
Bereits vor dem Krieg hat das Paar sich für das ukrainische Kinderhilfswerk engagiert. Und vor allem seit Beginn des Krieges brauchen Kinder mehr Hilfe denn je. „Wir haben viel Unterstützung anderer Länder bezüglich der Waffen, aber jemand muss auch an die Kinder denken“, erklärt die Ballerina. Das gespendete Geld fließt in Medikamente, Operationen und weitere lebenswichtige Dinge. Außerdem haben so einige Kinder die Gelegenheit, einmal im Rahmen eines Kurzurlaubs aus allem raus zu kommen und sich auszuruhen. Und auch an Weihnachtsgeschenken soll es nicht fehlen. „Meistens erledigen wir das sehr direkt. Mein Mann spricht mit den Eltern. Das Geld kommt an die richtige Stelle. Ich bin glücklich, helfen zu können. Und ich bin glücklich, dass die Leute weltweit mit uns mitfühlen. Das ist großartig.“
Mit der Unterstützung von Olga Balabon und Stephanie Hente am Klavier tanzen die beiden schließlich vor rund 80 Zuschauern. Ausschnitte der Performance seht Ihr im Video. Das Wetter war auch bis zum Schluss gnädig. Erst bei der letzten Verbeugung startete der Regenguss.
mf