Besondere Aktionswoche an Grundschule
Elterntaxis und „Schneepflüge“: Freilassinger Schüler erziehen Autofahrer mit Schoki oder Zitrone
„Schokolade oder Zitrone“: Mit einer ungewöhnlichen Aktion machten Viertklässler auf das Tempolimit an der Grundschule Freilassing aufmerksam. Auf Initiative des Elternbeirats fand zum vierten Mal die Verkehrs-Projektwoche (31. März bis 4. April) statt, das Motto: „Sicher zur Schule - sicher nach Hause“. Im Fokus der Polizei, deren Nachwuchskräfte und der Schule standen neben dem Tempolimit und Halteverbot auch die Elterntaxis und „Schneepflug-Eltern“. Doch wie kam das an? Gab es ein Umdenken oder werden die Kinder noch immer bis ans Schulgebäude gebracht?
Freilassing - Mit Polizeikelle, gelber Warnweste und Polizeimütze ausgerüstet, wagen sich die beiden Mädchen zusammen mit Nicol Mayer auf die Straße und bringen die Autofahrerin zum Anhalten. Etwas schüchtern laufen sie mit der Polizistin zum Fahrzeug, die Fensterscheibe fährt herunter. Die Dame darf sich über eine Schokolade freuen, denn sie hat sich an das Tempolimit gehalten, wie ihr die Mädchen erklären. Wäre sie schneller als 30 km/h gefahren, hätte sie stattdessen eine Zitrone und mahnende Blicke erhalten. Auch das kommt an diesem Morgen vor, wenn auch deutlich seltener. „Regeln sind Regeln“, betont Mayer und hat auch kein Problem damit, resistente Verkehrsteilnehmer deutlich darauf aufmerksam zu machen.
Schließlich soll mit der Verkehrs-Projektwoche (31. März bis 4. April) unter dem Motto „Sicher zur Schule - sicher nach Hause“ die Schulwegsicherheit gefördert werden. Schon zum vierten Mal arbeitet die Grundschule Freilassing mit der Kreisverkehrswacht BGL und der Freilassinger Polizei, zu der auch die Jugendbeamtin Mayer gehört, zusammen. Während im Unterricht die Theorie besprochen wird, freuen sich die Kinder vor allem auf den kindgerechten praktischen Teil. Neben den Übungen für die motorischen Fähigkeiten sowie das Wahrnehmungs- und Reaktionsvermögen gehört die „Schokolade oder Zitrone“-Aktion zu den absoluten Höhepunkten.
„Kommt er dann ins Gefängnis?“
Kein Wunder: Gemeinsam mit Mayer und ihrem Kollegen Harry Göb führen die Kinder Laser-Kontrollen durch, messen die Geschwindigkeiten und verteilen je nach Tempo Schokolade als Belohnung oder eine Zitrone als Denkzettel. Das kommt eben doch nicht so häufig im Alltag vor. „Das ist immer etwas Aufregendes für die Kinder“, bestätigt eine Lehrerin. Das Thema Verkehr werde immer wieder fächerübergreifend im Unterricht aufgenommen. „Aber die Inhalte in der Realität umzusetzen, das macht natürlich noch mehr Spaß.“ Am meisten würden sich die Viertklässler dafür interessieren, welche Konsequenzen den Autofahrern drohen, wenn sie zu schnell fahren. „Kommt er dann ins Gefängnis?“, oder „Verliert der seinen Führerschein?“: Das Interesse ist groß, berichtet die Lehrerin.
Für die Polizistin Mayer ist die Verkehrs-Projektwoche fast schon eine Herzensangelegenheit: „Die Aktionswoche gibt es schon länger im Landkreis und mit der Grundschule Freilassing machen wir sie zum vierten Mal.“ Sie findet es schade, dass die Eltern ihre Kinder immer häufiger zur Schule fahren würden. „Das nimmt zu und sie würden ihre Kleinen am liebsten in die Schule hineinfahren. Das ist so schade, dass man den Kindern nicht mehr zutraut, alleine zu laufen“, berichtet sie von ihren jahrelangen Beobachtungen.
Absolutes Halteverbot interessiert nicht jeden
Bei der „Schokolade oder Zitrone“-Aktion reagieren die meisten angehaltenen Autofahrer begeistert, das Feedback fällt meistens positiv aus. Doch nicht nur das Tempolimit wird kontrolliert, sondern auch das absolute Halteverbot. Das Einhalten von beiden Regeln ist noch „ausbaufähig“, wie es die Polizisten beschreibt. „Manche interessiert es auch gar nicht, wenn wir hier als Polizei stehen“, sagt sie. Als wäre es abgesprochen gewesen, stellt sich wenige Minuten vorher ein Mercedes an den Gehweg vor der Schule und wartet dort auf sein Kind. Dass überall mehrere Schilder deutlich das absolute Halteverbot kennzeichnen, scheint ihn nicht zu stören. Erst als Mayer den Mann darauf anspricht, sucht sich dieser einen anderen Platz zum Warten.
Rektor Johannes Zeitel ist froh über die Projektwoche, die auf Initiative des Elternbeirats den Weg zur Grundschule gefunden hat. „Wir haben 670 Kinder, die jeden Tag kommen und gehen. Hier vor Ort haben wir eine Verkehrssituation, die durchaus Gefahren birgt“, erklärt Zeitel. Das absolute Halteverbot in der Schulstraße sei deswegen so wichtig, weil früher die Kinder zwischen den wartenden Autos die Straße überquert haben. „Leider stellen sich immer noch manche Eltern dorthin. Wir sprechen sie dann auch persönlich auf das Halteverbot an“, so der Rektor.
Ein Eis als Belohnung und Ansporn
Die Schule will nicht nur für den Verkehr, dessen Regeln und Gefahren sensibilisieren: Die Kinder sollen auch dazu animiert werden, mehr zu laufen, mit dem Fahrrad zu fahren oder dem ÖPNV. Deshalb gibt es einen Gemeinschaftswettbewerb: Gelingt es der Schulgemeinschaft während der Projektwoche, dass mindestens 75 Prozent der Kinder ohne Auto kommen, spendiert der Elternbeirat jedem Schulkind ein Eis. „Es geht nicht nur um gesundheitliche Aspekte, sondern auch um soziale: Wenn ich eine Viertelstunde mit meinem Klassenkameraden zur Schule laufe, komme ich dort anders an, als wenn mich meine gestresste Mutter fährt und ich schnell aus dem Auto hüpfen muss“, erläutert Zeitel.
Die Aktionswoche trägt durchaus Früchte, denn vor allem im Sommer reichen die Radständer auf dem Gelände nicht mehr aus und die Grundschule musste bereits zwei Mal bei der Stadtverwaltung weitere Ständer beantragen. Zeitel macht seine Intention klar: Er will den Eltern den Standpunkt der Schule deutlich machen, dass es für die Kinder besser ist, wenn sie nicht jedes Mal gefahren werden.
An Vorbildfunktion erinnern
Doch der Rektor betont auch: „Es ist nicht unser Anspruch, die Eltern zu erziehen. 90 Prozent von ihnen finden die Projektwoche gut, der Rest sieht darin eine Bevormundung. Aber ich finde, als Schule sollten wir gesellschaftlich Flagge zeigen. Umwelt, Gemeinschaft, Verkehrssicherheit, Werteerziehung: Da verstecken wir uns nicht.“ Und es gibt immer noch sogenannte „Kiss and Go“-Parkplätze, an denen die Eltern ihre Kinder herauslassen und diese mittels Unterführung sicher zum Schulgelände laufen können.
Auch für die Polizistin Mayer müssten sich die Eltern und Großeltern viel häufiger ihrer Vorbildfunktion bewusst werden. „Wir hatten neulich eine ältere Dame bei einer Kontrolle, die das gar nicht eingesehen und mich gefragt hat, ob ich nichts Besseres zu habe“, erinnert sie sich. Sie weiß, dass auch Autofahrer mal einen schlechten Tag haben. Vor allem die Mütter kämen häufig unter Zeitdruck zur Schule. „Die Kinder berichten selbst, dass ihre Mütter morgens oft unter Stress stehen.“
Kindern mehr zutrauen
Die meisten Eltern halten sich ihren Beobachtungen zufolge an die Verkehrsregeln und tragen damit auch zur Sicherheit der Schulwege bei. Doch Mayer würde sich wünschen, dass die „Schneepflug-Eltern aufhören, ihren Kindern alle Probleme zur Seite zu schieben“. Sie meint: „Ihnen wird zu viel abgenommen und manchmal der Ranzen sogar bis zur Schule getragen. Manche Kinder wollen sich selbst mehr zutrauen und es alleine ausprobieren, aber sie dürfen nicht.“
Mit einer Portion Ironie und einem Augenzwinkern fragt sie: „Wie haben wir Älteren das früher immer geschafft?“ (ms)





