Mietfreies Wohnen in Freilassing
Premiere für Inklusions-WG: Umbau läuft, Wohnprojekt voraussichtlich im Herbst 2025 fertig
In Freilassing soll es ab Herbst 2025 eine WG für Inklusionswohnen geben. Am Dienstag (11. Juni) wurde dieses Projekt zunächst dem Stadtrat und anschließend interessierten Bürgern vorgestellt.
Hofham/Freilassing - Es gibt bereits rund 100 Wohnplätze für behinderte Menschen im gesamten Landkreis, im nächsten Jahr sollen fünf neue, besondere Plätze dazukommen, in einer Inklusions-Wohngemeinschaft. Die Idee dahinter: Menschen mit und ohne Beeinträchtigung sollen zusammenwohnen, sich gegenseitig helfen und voneinander lernen.
Realisiert wird das 1,6-Millionen-Euro Projekt derzeit im Stadtteil Hofham, wo derzeit bereits ein Anbau an ein geerbtes Haus steht, die neun Bewohner sollen im Herbst 2025 einziehen können. Am Dienstagabend (11. Juni) stellte die Lebenshilfe erste Details erst dem Stadtrat und anschließend rund 40 interessierten Freilassingern vor.
Menschen kümmern sich umeinander
Mit dem Begriff „Inklusion“ kann nicht jeder sofort etwas anfangen, aber eigentlich drückt es etwas ganz Selbstverständliches aus: Jeder Mensch gehört dazu, egal wie man aussieht, welche Sprache man spricht oder ob man eine Behinderung hat. So gibt es zum Beispiel in der Grundschule Freilassing schon seit Jahren Inklusionsklassen, also Kinder mit und ohne Handicap lernen zusammen, wobei mit Behinderung meist eine geistige Behinderung gemeint ist.
Dieses Zusammenleben will die Lebenshilfe Berchtesgadener Land jetzt erstmals auch beim gemeinsamen Wohnen testen, mit der WG in der Gaisbergstraße betritt man Neuland. Das Konzept kurz erklärt: Vier nicht-behinderte Bewohner kümmern sich im „Schichtdienst“ um die Bewohner mit Beeinträchtigung und wohnen dafür mietfrei in der Wohngemeinschaft.
Erfahrungen bereits in Rosenheim und München
Der Rohbau für den Anbau steht bereits, noch heuer soll der gesamte Bau, also die Grundsanierung des bestehenden, geerbten Einfamilienhauses, sowie der Anbau an der Ecke Gaisbergstraße, Staufenstraße fertig sein, am Ende werden rund 360 m² Wohnfläche auf dem insgesamt 730 m² großen Grundstück zur Verfügung stehen. Für die Bewohner werden dann zehn Zimmer inklusive eines Gästezimmers zur Verfügung stehen, dazu acht barrierefreie Badezimmer, sowie ein gemeinsamer Bereich für Kochen, Essen und Wohnen.
Die ersten Bewohner können im Herbst 2025 einziehen, „zu Beginn des Wintersemesters, weil wir mit unserem Angebot vor allem Studenten ansprechen werden, die zum Beispiel in Salzburg studieren, das wird unsere Hauptzielgruppe sein“, erklärt Dieter Schroll von der Lebenshilfe den weiteren Zeitplan. Das Konzept „Menschen mit und ohne Behinderung wohnen gemeinsam“ ist zwar neu im Landkreis, aber in Rosenheim und München gibt es schon Erfahrungen mit dieser inklusiven Wohnform.
Mietfreies Wohnen gegen Hilfe
Ein spezieller Anreiz für die vier betreuenden Bewohner wird wohl sein, dass sie als Gegenleistung für die Unterstützung mietfrei wohnen können. „Es muss ein Interesse am Zusammenleben da sein, bei allen Bewohnern, auch bei Menschen mit Behinderung, die leben auch nicht immer gerne in Wohngemeinschaften“, berichtet Schroll.
Neben den Mitgliedern der Wohngemeinschaft wird sich aber auch ein hauptamtliches Personal kümmern, wenn ein Bewohner zum Beispiel einen Pflegedienst braucht. „Auch Menschen mit Behinderung müssen eine gewisse Selbstständigkeit haben, sie brauchen keine 24-Stunden-Betreuung, aber zwischendurch eben doch immer wieder mal Hilfe“.
„Diese WG ist auch für uns eine unbekannte Reise“
„Inklusion muss gelebt werden, als Teilhabe“, ist sich Martin Rihl sicher, zuständig für den Bereich Wohnen in der Lebenshilfe BGL mit Sitz in Teisendorf. Daher sollen sich die Bewohner die Regeln selbst aufstellen, zum Beispiel, wer kocht wann, wer macht sauber. „Diese WG ist auch für uns eine unbekannte Reise“, räumt Rihl ein.
Fix sind bisher nur die Dienste, die die vier betreuenden Bewohner übernehmen sollen: Von Montag bis Donnerstag hat dann einer der Vier Dienst von 16 Uhr bis 8 Uhr des Folgetages, „also wenn einer um 7 Uhr in der Arbeit sein muss oder in der Uni, dann geht das leider nicht“. An den Wochenenden ist jeweils einer der Vier für die Betreuung zuständig, von Freitag, 16 Uhr, bis Montag, 6 Uhr. „Das heißt aber nicht, dass er durchgehend im Haus sein muss, aber er soll an diesem Wochenende zum Beispiel eben nicht nach Hause fahren, wenn es sich um einen Studenten handelt“.
„Casting für die WG“
Nach zahlreichen Presseberichten haben sich die ersten Interessenten schon gemeldet, sowohl für die Betreuer-Seite, also auch für die Seite der betreuten Personen. „Wichtig ist, dass sich die neun Leute vor dem Einzug kennenlernen“, so Rihl, der sich auch eine Art Casting vorstellen kann, eine sozialpädagogische Fachkraft soll bei der Auswahl helfen.
Unter den Stadträten tauchten in diesem Zusammenhang die Fragen auf, ob auch ältere Bewohner in die WG aufgenommen werden und „ob nur Männer“ kommen? Da sich in der Regel eher Jüngere für Wohngemeinschaften begeistern können, wird das nach Ansicht der Lebenshilfe auch bei der Inklusions-WG der Fall sein.
Innenarchitekten und Wirtschaftsstudenten sind es in Rosenheim
Wie geschlechtsgemischt die Wohngemeinschaft sein wird, lasse sich jetzt noch nicht sagen, es gebe allerdings keinerlei Vorgaben, „die Bewohner müssen einfach zusammenpassen“. Welche „Art von Studenten“ man sich als Mitbewohner vorstelle, war eine weitere Frage im Stadtrat. „Also es werden sicher keine Sozialpädagogen sein, die hier Feldversuche machen wollen“, scherzte Riehl, in der vergleichbaren Inklusions-WG in Rosenheim seien es beispielsweise Studenten der Innenarchitektur und der Wirtschaft.
Begeistert und voller Lob für das Projekt waren nicht nur die Mitglieder des Stadtrates, sondern auch Bürgermeister Markus Hiebl. „Es ist uns ein Brückenschlag gelungen, beide Seiten sind ein Teil der Gesellschaft und die eine Seite (gemeint war die Nicht-Behinderte-Seite, Anm.) kann etwas zurückgeben, das haben wir in großen Teilen ohnehin verlernt“. Unmittelbar nach dem Stadtrat stellten die Verantwortlichen das Konzept einen Stock tiefer im Rathaussaal auch rund 40 interessierten Nachbarn vor.
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