Talente berichten von ihrem Alltag
Etwas Heimweh, viel Disziplin und große Träume - So läuft das Leben im Ski-Internat am Dürreck
In Berchtesgaden haben 80 Wintersporttalente den großen Traum von der Profikarriere. Der Alltag der Jugendlichen an den Christophorusschulen (CJD) unterscheidet sich fundamental zu dem ihrer Altersgenossen. OVB Media blickt hinter die Kulissen.
Berchtesgaden - „30 Minuten für ein Interview, das ist aber lange!“ Die ersten Worte von Charlotte Grandinger wirken distanziert. Schnell stellt sich aber das Gegenteil heraus. Die 17-Jährige ist alles andere als unhöflich. Auch von Desinteresse ist im Nachgang nichts zu spüren. Die junge Skifahrerin ist vor allen Dingen eines – diszipliniert. Sie steckt mitten im Training, Kraft- und Stabilitätsübungen stehen an.
Mit dem Versprechen, dass es maximal 20 Minuten dauern wird, gibt ihr der Coach seinen Segen. Und auch die U18-Weltmeisterin im Slalom findet schnell gefallen daran, von ihrem ungewöhnlichen Alltag an den Christophorusschulen Berchtesgaden (CJD) zu berichten – dazu später mehr.
Rund eine Stunde vorher gestaltet sich das Szenario anders. Biathlet Noah Schüttler und seine Trainingsgruppe sind am Ende des Schießtrainings angekommen. Der 18-jährige Allgäuer ist gut gelaunt. 32 Minuten und 20 Sekunden wird das Gespräch dauern.
Zeit und Planung sind wichtige Faktoren im Leben eines Nachwuchssportlers. Die täglichen Abläufe und Routinen unterscheiden sich in vielen Bereichen fundamental zu den eigenen Erfahrungen, die man als Teenager gemacht hat.
Circa 80 Wintersporttalente beheimatet der Internatskomplex hoch über dem beschaulichen Berchtesgaden. Die Christophorusschule ist darüber hinaus ein staatlich anerkanntes privates Schulzentrum. ‚Normale‘ Schüler zahlen ein Schulgeld, für die angehenden Wintersportler gestaltet sich die Ausgangslage anders.
„Wintersport ist nicht günstig“ - So finanziert sich das Leben am CJD
685 Euro kostet ein Monat am Internat. Unterkunft, Verpflegung und Schule sind damit gewährleistet. Vom Kultusministerium erhalten die Eltern einen Zuschuss von 150 Euro pro Monat. Je nach Einkommen der Eltern und Kaderstatus des Sportlers gibt es zusätzliche Fördermittel der Deutschen Sporthilfestiftung. Auch die Ehemaligenvereinigung hilft bei Bedarf aus und unterstützt aktuell eine Schülerin an der Fachoberschule mit einem Stipendium.
„Wintersport ist nicht günstig, da müssen wir uns nichts vormachen. Dennoch hängt hier nicht alles vom Geldbeutel ab“, sagt Florian Lenz, der am CJD für die Internatsleitung und die Sportkoordination verantwortlich ist.
Die potenziellen Internatsschüler werden von regionalen Skiverbänden aus ganz Deutschland vorgeschlagen. Wer sportliches Talent mitbringt, darf sich an der Christophorusschule bewerben. Die Trainer werden von den Verbänden zur Verfügung gestellt. Trainingsmöglichkeiten, Unterbringung und Schule werden vom Internat gewährleistet.
Prominente Absolventen legten am CJD den Grundstein ihrer Erfolge
Der Weg in den Profisport über ein spezifisches Internat ist nicht neu. Ehemalige Topathleten wie Maria Höfl-Riesch, Viktoria Rebensburg, Vanessa Hinz, Georg Hackl oder Tobias Angerer haben am CJD ihren Weg in den Spitzensport geebnet. Aktuell sorgen ehemalige Schüler wie Andreas Wellinger, Emma Aicher, Ramona Hofmeister oder die „Rodel-Tobis“ Wendl/Arlt für große Erfolge.
Schon die Weltmeister und Olympiasieger von damals kamen in den Genuss der gewaltigen Ausstrahlung vor Ort. An einem der wenigen Wintersportinternate in Deutschland haben Watzmann, Hochkalter, Jenner und Kahlersberg das Geschehen stets im Blick. Und auch die örtlichen Sportanlagen wie die neue Landing Bag spielen eine wichtige Rolle.
Eben jene Berge sind die Welt von Charlotte Grandinger. 2023 kam die Münchnerin ans CJD in Berchtesgaden. Früh wurde ihr Talent entdeckt, schnell wurde aus einem Hobby mehr. „Für mich gab es nur die Option - ein Internat zu besuchen, das auf den Sport spezialisiert ist. Nur so lassen sich Training und Schule miteinander vereinbaren. Die Wege sind kurz, die Bedingungen für mich ideal“.
Was sie genau meint, wird schnell klar, wenn sie von ihrem Alltag erzählt. „Die Tage sind durchgetaktet. Im Sommer trainieren wir schon vor Schulbeginn und danach sowieso. Im Winter sind wir super viel unterwegs, da wird auch mal zwischen Trainings und Wettkämpfen der Unterricht organisiert. Das ist nicht immer einfach“.
Die Technikerin ist eines der größten Talente im deutschen Ski alpin. Bei den Olympischen Jugendspielen 2024 in Gangwon (Südkorea) gewann sie die Silbermedaille im Slalom, 2024 wurde sie Slalom-Juniorenweltmeisterin in der Kategorie U18. Jüngst wurde sie vom Deutschen Skiverband als beste Nachwuchssportlerin der Saison 2023/24 im Bereich Ski alpin ausgezeichnet.
Da müssen die Ziele doch gewaltig sein! Der erste Eindruck, den Charlotte im Kraftraum vermittelt, bestätigt sich in ihrer Antwort. Sie ist fokussiert – nicht auf mögliche Zukunftsszenarien, sie lebt im Hier und Jetzt. „An den Weltcup denke ich noch nicht, ich konzentriere mich auf meine Entwicklung. Ich will besser werden, alles andere wird man dann sehen“.
Noah Schüttler tickt da anders. Er hat sich den Biathlon-Weltcup langfristig als klares Ziel gesetzt. Beim Europäischen Olympischen Jugendfestival 2023 hatte er die Silbermedaille in der Mixed-Staffel gewonnen – in einem Team mit Julia Tannheimer, die jüngst Deutsche Meisterin im Sprint wurde und der eine große Biathlon-Karriere nachgesagt wird. Dann wurde der Karriereplan durch die vergangene Saison aber durcheinandergebracht. „Ich hatte mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und konnte an meine starke Vorsaison nicht anknüpfen“, erklärt er.
Knapp drei Jahre ist Noah schon am Internat in Berchtesgaden. Als Allgäuer war der Schritt für ihn ein großer, die Heimat ist doch ein gutes Stück entfernt. Die ersten Monate waren für den damals 15-Jährigen alles andere als einfach. „Ich hatte schon mit Heimweh zu kämpfen. Freunde und Familie aus der Heimat sind weit weg, ich kannte nur einige Weggefährten aus der eigenen Sportart – und das auch nur flüchtig“, berichtet der 18-Jährige von seinen Anfängen in Berchtesgaden.
„Die Umstellung ging dann aber recht schnell. Wir leben hier oben unter vielen Gleichgesinnten, da entstehen auch Freundschaften. Natürlich gibt es auch mal Reibereien, das ist unter jungen Leuten aber ganz normal“, führt er weiter aus.
Und kommt doch mal schlechte Laune auf, entschädigt der Blick aus seinem Einzelzimmer. Noah hat ein sogenanntes Watzmann-Zimmer bekommen. Der zentrale Gebirgsstock der Berchtesgadener Alpen begrüßt den angehenden Biathleten mit seiner imposanten Erscheinung. „Die Zimmer mit Ausblick auf den Watzmann sind begehrt und meist den Schülern vorbehalten, die im letzten Jahrgang sind. Das ist schon ein Privileg, mit diesem Anblick lässt es sich aufwachen“.
Die Internats-Schüler sind auf zwei Stockwerken untergebracht. In der Gemeinschaftsküche und im Gruppenraum ist das Leben recht gewöhnlich. Noahs Internatskollegen daddeln an der Playstation, Charlotte erzählt von Scharmützeln, die man mit den Mitbewohnern macht. „Da hat man auch mal dumme Ideen im Kopf“, sagt sie mit einem Lachen.
Ob sie das Leben eines normalen Teenagers manchmal vermisst? „Eigentlich nicht. Ich gehe gerne auf Konzerte, das ist logistisch manchmal etwas schwer. Aber ich will mich nicht beschweren, ich bin mit meiner Situation glücklich.“
Glücklich ist Charlotte dann auch mit unserer Zeitplanung. Nach 19:47 Minuten endet das Gespräch. Unter der vorgegebenen Zeit zu bleiben, ist für eine Skifahrerin immer zufriedenstellend. Und sie kann zurück in den Kraftraum – zurück in ein ungewöhnliches Leben für Teenager. truf




