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Interview

„Milch müsste entsorgt werden“: Molkerei-Chef aus dem Berchtesgadener Land rechnet mit Gas-Lieferstopp

Rinder (Symbolbild)
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Kühe (Symbol)

Um Milch zu pasteurisieren und Maschinen mit Wasserdampf zu reinigen, brauchen Molkereien extrem viel Energie. Ein Gas-Lieferstopp könnte die ganze Branche über Nacht stillstehen lassen. Bernhard Pointner ist Geschäftsführer der Molkerei Berchtesgadener Land – und sorgt jetzt auf eigene Faust für den Fall der Fälle vor.

Von Cornelia Schramm

Reden wir über den schlimmsten Fall: Morgen ist das Gas aus – was passiert in der Molkerei Berchtesgadener Land?

Pointer: Wir brauchen etwa eine Stunde – dann läuft der Molkerei-Betrieb mit Heizöl, auch bei Stromausfall, über einige kleine und zwei große Notstrom-Aggregate weiter.

Haben Sie wegen des Krieges auf Öl umgerüstet?

Pointer: Der Ukraine-Krieg hatte da noch gar nicht begonnen. Vor einem Dreivierteljahr wurde eine benachbarte Molkerei Opfer eines Cyberangriffs. Deshalb haben wir uns mit Krisenszenarien beschäftigt. Ein gängiges ist, dass der Strom länger ausfallen könnte. Eine Molkerei wie unsere verbraucht pro Stunde etwa 4000 Kilowatt – deshalb haben wir uns eine eigene Notstromversorgung aufgebaut. Außerdem könnte jetzt sogar noch ein Gas-Lieferstopp drohen… Meine Vorgänger in der Geschäftsleitung und der Technische Leiter entstammten der Nachkriegsgeneration. Sie haben schon früher darauf geachtet, nicht nur auf eine Energiequelle angewiesen zu sein. Unsere Dampfkessel etwa hätten sich schon immer mit Gas und Heizöl betreiben lassen. Zum Glück mussten wir also nicht bei null anfangen und konnten einfach nachrüsten – und das System mit einigen Investitionen perfektionieren.

Bernhard Pointer, Geschäftsführer Molkerei Berchtesgadener Land

Welche denn?

Pointer: Neben den beiden Notstrom-Aggregaten, die jeweils so groß wie ein Vierzigtonner sind und pro Stunde etwa 600 Liter Heizöl verbrauchen, haben wir uns einen eigenen Lastwagen für Heizöl zugelegt und Tanks auf dem Gelände installiert. Jetzt können wir selbst Öl bei Raffinerien bestellen und abholen. Vergangene Woche haben wir für 1,2 Millionen Euro eine Million Liter Öl im Hamburger Hafen gekauft. Mit dem Zug kommt es nach Kiefersfelden, wo wir es abholen. Als Diesel könnten wir es für die Milchfahrzeuge verwenden, als Heizöl für die Notstrom-Aggregate.

Wie bereiten Sie sich noch auf einen Gasstopp vor?

Mit den Rohstoffen wäre es ja noch nicht getan. Zwei Mitarbeiter haben extra die Gefahrgut-Prüfung abgelegt, um den Lastwagen fahren zu dürfen. Zudem bräuchten wir Verpackungsmaterial. Wir können so viel Milch verarbeiten, wie wir wollen, wenn wir sie dann nicht verpacken können. Daher haben wir extra ein Areal gemietet, um Europaletten, Folien, Plastik und GlasLeergut zu lagern. Zudem haben wir Desinfektions- und Reinigungsmittel für längere Zeit auf Vorrat. Sollte die Chemieindustrie nicht mehr arbeiten, könnten wir ja unsere Anlagen nicht mehr reinigen.

Wie lange würden Ihre Depots halten?

Pointer: Den Molkereibetrieb könnten wir mit den eingelagerten eine Million Litern Öl 45 Tage lang aufrechterhalten. Uns stünden zwar nur 3000 Kilowattstunden Strom zur Verfügung, aber mit einigen Anpassungen im Ablauf könnten wir wie bisher produzieren. Uns treiben zwei Überlegungen an: Zum einen wollen wir verlässliche Partner für die Landwirte sein, von denen wir unsere Milch beziehen – und zum anderen auch unseren gesellschaftlichen Auftrag, die Versorgung mit Lebensmitteln, sicherstellen. Der Molkereiverband nennt alarmierende Zahlen: Bei einem Gasstopp würde schon nach zwölf Stunden keine Milch mehr an Höfen abgeholt – zwei Tage später wären die Supermarkt-Regale leer… Scharf formuliert, aber das Szenario tritt natürlich früher oder später ein. Supermärkte haben auch Kühllager, aber das Kaufverhalten der Kunden würde sich ja schnell ändern – die Hamsterkäufe beim Sonnenblumenöl haben wir ja schon gesehen.

Wie viele Landwirte wären in Ihrem Fall betroffen?

Pointer: Wir holen bei 1800 Landwirten jeden zweiten Tag Rohmilch ab – in einem Gebiet vom Watzmann bis zur Zugspitze, teils auch in Österreich. In der Molkerei können wir sechs Millionen Liter kurzfristig in Stapeltanks lagern. Wird die Milch dann nicht weiterverarbeitet, wird sie dick und gerinnt. Aber wer ohne Energie nicht produzieren kann, füllt auch keine Tanks, um die Milch darin vergammeln zu lassen.

Was hätte das zur Folge?

Pointer: Wir müssten den Landwirten sagen, dass sie ihre Milch behalten müssen. Nur wohin damit? Keine Güllegrube ist so groß, um dort tage-, gar wochenlang Milch zu entsorgen. Stellen Sie sich den Gestank vor! Die Milch müsste in Biogasanlagen entsorgt werden, aber dafür fehlen die Kapazitäten. Es ist eine entsetzliche Vorstellung, dass die Milch weggeschüttet werden müsste. Aber unverarbeitet verdirbt sie zu schnell. Und die Verarbeitung ist eben energieintensiv: Rohmilch muss laut Gesetz auf 72 bis 74 Grad pasteurisiert und H-Milch auf 150 Grad ultrahocherhitzt werden – daher ist der Energieverbrauch in Molkereien auch so enorm hoch.

Gäbe es für Sie auch Alternativen zum Öl?

Pointer: Wir haben das ausgebaut, was wir hatten. Im Bayerischen Wald gibt es Großmolkereien, die mit Hackschnitzelanlagen arbeiten. Dort ist viel Holz und vor allem Platz wegen der möglichen Schimmelsporenbildung vorhanden – hier nicht. Verhältnismäßig sind wir eine kleine Molkerei und verarbeiten täglich etwa eine Million Liter Rohmilch zu rund 150 Produkten. Das entspricht 0,8 Prozent von dem, das in Deutschland gemolken wird. Heizöl ist teuer – und noch teurer bei Gasstopp.

Erhöhen Sie Ihre Preise?

Pointer: Wir haben bereits moderate Preiserhöhungen vorgenommen. Aber die Kunden haben schon jetzt weniger Geld – und was hilft es uns, wenn die Produkte stehen bleiben, weil sie zu teuer sind? Ein Beispiel: Die Butter kostet nun statt 2,49 Euro 2,79. Noch können wir einige Mehrkosten abfedern. Aber in so einer Energiekrise braucht es irgendwann ein neues Preisniveau, das muss jedem bewusst sein. Würden wir nur noch mit Heizöl arbeiten, hätten wir zwei Millionen Euro an Mehrkosten im Monat.

Rechnet sich das?

Pointer: Für die 1800 Landwirte hinter uns rechnet sich das – und auch für unsere Mitarbeiter. Aber deshalb ist es ja nur ein Notfallplan. Hoffentlich. 

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