Bergwacht Chiemgau exklusiv im Gespräch
Der Winter ist da – was Ihr jetzt beim Bergsteigen beachten solltet
Schnee, Kälte, schlechte Sicht: was ein plötzlicher Wintereinbruch für unvorbereitete Bergsteiger bedeuten kann – das hat am Hochkalter traurige Geschichte geschrieben. Wie wir uns in der Übergangszeit richtig verhalten, um solche Unglücke zu verhindern? David Pichler von der Bergwacht weiß es:
Bad Reichenhall/Chiemgau/Rosenheim – „Es ist schwieriger voranzukommen, wenn man bei jedem Schritt im Schnee wegrutscht oder einbricht.“ Diese Feststellung vom Geschäftsführer der Bergwacht Region Chiemgau ist wohl jedem geläufig – möchte man meinen. Tatsache ist aber, dass sich auch zur kalten Jahreszeit Menschen in Gefahrensituationen bringen. Und wer länger braucht um voranzukommen, so Pichler, der brauche eben auch mehr Zeit zum Gipfel.
Es wird schneller dunkel
Zeitmanagement sei ein wirklich wichtiger Faktor wenn die Tage im Winter immer kürzer werden. Denn: Bei vereistem, rutschigem Untergrund braucht man nicht nur länger, es ist auch einfach weniger lang hell. Aber sind die Bergwachteinsätze zu Winterbeginn höher als im Sommer? „ Wir haben saisonabhängige Einsatzspitzen“ antwortet Pichler im Gespräch mit Chiemgau24. Es gäbe zum einen die Skisaison, wo viel los ist und dann natürlich im Sommer die Ferienzeit. Es entstehe eher durch Einsätze wie am Hochkalter und die entsprechende mediale Aufmerksamkeit der Eindruck, dass zum Wintereinbruch viel passiere. Eigentlich sei es in der Übergangszeit eher ruhig.
Vorsicht Rutschgefahr
Das sei aber keinesfalls ein Grund zur Entwarnung und schlimmstenfalls Unvernunft warnt Pichler. Gerade die nasskalte Jahreszeit birgt so einige ganz spezielle Gefahren: „Ich muss besser aufpassen, wenn ich auf irgendwelchen ausgesetzten Stellen bin, wo ich auf keinen Fall ausrutschen darf, wie am Steinernen Jager.“ Bei der anspruchsvollen Tour auf den Hochstaufen war erst letzten Monat ein 22-jähriger Student aus Wien vom Weg abgekommen. Im schneefreien Tal war er aufgebrochen und hatte nicht mit den Zentimeter hohen Neuschneedecken in höherer Lage gerechnet.
Orientierung erschwert
Das sei ein weiteres Problem, so David Pichler: „Wenn da noch keine Spur ist, weil da noch keiner gegangen ist, ist das einfach schwierig, dann kann ich mich viel leichter versteigen als im Sommer.“ Markierungen und Wegweiser verschwinden dann unter dem Neuschnee und sorgen für großes Rätselraten beim Bergsteiger. Das Problem könne man doch mit einer entsprechenden Bergsteiger-App lösen und sich so orientieren? Da ist Vorsicht geboten, warnt Pichler.
Vorsicht bei Bergsteiger-Apps
Es gäbe gute und ungeeignete Berg-Apps um sich im Gelände zurechtzufinden. Er rät zu Apps, die von etablierten Wanderführern angeboten werden. Die würden zwar ein bisschen was kosten, aber das Geld lohne sich. Bei Apps, die auf Anwender basierten Daten beruhen, sogenannte “Open source“ Karten gilt Vorsicht: Jeder kann dort seine Tour tracken und dann hochladen: „ Ich hab Leute getroffen, wenn sie gewusst hätten, dass es ein verfallener Steig ist, wären sie da nicht gegangen. Aber diese Wege sind wieder abhängig von eigenem Können.“ Damit spricht David Pichler, der auch staatlich geprüfter Berg- und Skiführer ist, ein weiteres Problem an.
„ Bergsteigen lernt man nicht im Internet“
In Zeiten von Instagram, Facebook und anderen sozialen Netzwerken ist die Begeisterung groß wenn es um schöne Orte in der Natur geht. Hier ein Selfie vom Watzmann Gipfel, da ein Post zu den Wasserfällen am Königssee. Und die Follower folgen – unvorbereitet und ohne kritische Selbsteinschätzung: „ Wenn ich als Bergläufer in drei Stunden über den Watzmann rennen kann, dann hilft das ja nix, wenn ein anderer das dann als Tourendaten eins zu eins auf sich überträgt.“
Die diversen Tourenberichte im Internet führten in der Vergangenheit immer wieder zu Verwirrung. Im Sommer waren zum Beispiel 100 Schüler in Bergnot, weil die Lehrer einer Toureneinschätzung im Internet vertrauten. Dort war die Wanderung als leicht eingestuft worden. Was leicht ist und was schwer, das hänge aber immer mit dem eigenen Können zusammen, so Pichler. Zur Tourenplanung gehöre also immer, sich gute Führerliteratur zu besorgen, mehrere Berichte zu lesen. Dann müsse man sich selbst ehrlich einschätzen und überlegen ob das bei seinem eigenen Fitness- und Erfahrungslevel klappen kann.
Eine Frage der Einstellung?
Outdoorsport und im speziellen Bergsteigen liegt im Trend. Durch die Corona-Regeln blieb vielen nur, ihre Freizeit in der Natur zu verbringen: „ Viele haben den Sport für sich entdeckt und ich denke, dass auch viele dabei bleiben“ bilanziert Der Bergführer. Es sei auch eine deutliche Zunahme von Einsätzen in den Saisonspitzen erkennbar. Früher seien vor allem Einheimische auf die Berge gegangen und da seit ihrer Kindheit Stück für Stück reingewachsen. Heute, so Pichler, fehle es vielen an Erfahrung. Dazu käme das sogenannte “Finaldenken“. Die Leute wollen in ihrem kurzen Urlaub nach weiter Anreise, dass alles genau so läuft, wie geplant – egal bei welchem Wetter: „ Wenn man unerfahren ist, weiß man ja vielleicht gar nicht, wie Verhältnisse sein sollen, damit es überhaupt passt.“
Gut vorbereitet in den Winter
Und nicht zuletzt sollte für jeden, der im Winter abseits von präparierten Pisten unterwegs ist, eine Ausrüstung zur Lawinenverschüttetensuche (LVS), Pflicht sein. Pichler legt allen ans Herz, sich schon vorab beim Lawinenwarndienst Bayern ein Bild zur Gefahrenlage zu machen. Generell gilt bei Lawinen was bei genereller Tourenplanung auch gilt. Prävention ist die beste Methode, Gefahrensituationen zu vermeiden.
Checkliste für Touren im Winter:
- Tourenplanung mit etablierter Führerliteratur
- Wetterbericht beachten
- Kurze Tage im Winter: Durch gute Selbsteinschätzung nicht in die Dunkelheit geraten
- Entsprechende Ausrüstung und warme Kleidung bei sich tragen: Daunenjacke, Grödel, Stirnlampe
- Erste Hilfe Set mit Biwaksack
- LVS-Ausrüstung bei Touren im freien Gelände
- Lawinenwarndienste Bayern und Salzburg geben Auskunft zur Gefahrenlage
- Erfahrungsberichte anderer hinterfragen und mit eigenem Können abgleichen
- Im Zweifelsfall rechtzeitig umkehren