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„Jeder sollte sich an die Regeln halten“

Mit dem Bike auf den Berg – der Versuch, dem Radsporttrend gerecht zu werden

Die Berge zu erkunden, geht auch mit dem Rad. Die Nutzerzahlen steigen in touristischen Regionen wie dem Berchtesgadener Land.
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Die Berge zu erkunden, geht auch mit dem Rad. Die Nutzerzahlen steigen in touristischen Regionen wie dem Berchtesgadener Land. 

Immer mehr Radfahrer tummeln sich auf den Wegen und Forststraßen im Berchtesgadener Land - neben Wanderern und Spaziergängern. Im Nationalpark Berchtesgaden, wo auch Landwirte ihre Almen bewirtschaften, „ist es voll geworden“, heißt es gar im offiziellen Nationalpark-Magazin „Vertikale Wildnis“. Das hat auch damit zu tun, dass immer mehr Wege testweise freigegeben werden: Dem Radboom wird Rechnung getragen. Das Problem: Je voller, desto mehr Konflikte. 

Berchtesgadener Land - Radfahren ist Volkssport. Seitdem Räder mit E-Motoren auf dem Markt sind, sind auch die Hochlagen kein unerreichtes Ziel mehr. In der Bayerischen Verfassung ist festgelegt, dass der Genuss der Naturschönheiten und die Erholung dort „jedermann gestattet“ ist. Auch das Radfahren fällt unter eben dieses Recht, wobei es hierfür eigens festgelegte Wege gibt.  

Regionen wie das Berchtesgadener Land, in dem der einzige Alpennationalpark Deutschlands beheimatet sind, bekommen die Auswirkungen des zunehmend beliebter werdenden Hobbys am eigenen Leib zu spüren. Und auch beim Bayerischen Bauernverband in Traunstein weiß man von Nutzungskonflikten zwischen Wanderern, Radlern und Landwirten, die in der Alpenregion ihrer Arbeit nachgehen. 

Nationalpark zählt aktuell rund 1,3 Millionen Besucher pro Jahr

Am Beispiel Nationalpark Berchtesgaden zeigt sich das Problem insofern eindrücklich, weil hier verschiedene Nutzungsinteressen auf vergleichsweise kleinem Raum aufeinander prallen: Während Landwirte ihre Almen bewirtschaften und ihre Tiere den Sommer über auf die Almen treiben, wollen Wanderer die schönen Landschaften erleben, eine Brotzeit auf der Alm genießen, Bergsteiger hingegen die Gipfel erklimmen, Radfahrer Ziele erreichen, für die man zu Fuß deutlich länger bräuchte. Alle nutzen dabei dieselben Wege. Schon jetzt zählt der Nationalpark rund 1,3 Millionen Besucher pro Jahr. Tendenz steigend. 

Im Nationalpark Berchtesgaden kommt erschwerend hinzu: Der Schutz der Natur soll „nicht unter die Räder“ kommen. Doch Räder gibt es mittlerweile sehr viele. Das weiß auch Martin Huber, einer der beiden Geschäftsführer des Bayerischen Bauernverbands in Traunstein. „Das Problem ist grundsätzlich kein neues“, sagt er auf Anfrage. Aber immer mehr Radler bedeutet auch immer mehr mögliches Konfliktpotenzial.   

Martin Huber, Geschäftsführer des Bayerischen Bauernverbands in Traunstein. 

Titelstory über dieses Thema

„Die Interessen und Belange jeder Nutzergruppe sind grundsätzlich nachvollziehbar“, heißt es etwa im aktuellen Nationalpark-Magazin „Vertikale Wildnis“. Das halbjährlich erscheinende Magazin widmet dem Thema gar eine Titelstory unter der Überschrift „Wege sind für alle da! (Wirklich?)“. Geworben wird darin für ein möglichst konfliktfreies Miteinander angesichts stark steigender Nutzerzahlen. Im Mittelpunkt des Spannungsfeldes steht die steigende Zahl der Radfahrer, die der Tatsache geschuldet ist, dass sich die Region ihnen öffnet und auf politischer Ebene der Weg für Radnutzer bereitet wird.

Im vergangenen Jahr sind in Deutschland erstmals mehr Pedelecs als klassische Fahrräder verkauft worden. Der Absatz von elektrisch unterstützten Zweirädern hat sich in den vergangenen zwölf Jahren mehr als vervierfacht.

Dass die Auswirkung dieses Trends auch nicht vor dem Schutzgebiet in den Alpen Halt macht, weiß man beim Nationalpark Berchtesgaden. Weil Radfahren als Freizeitsport boomt, boomt auch die Nutzung der Wege, vor allem in touristischen Hochzeiten, wenn Hauptwanderwege, Forststraßen und Steige im Sommer stark frequentiert sind. 

Zahl der Radunfälle habe zugenommen

Der Kreisverband Berchtesgadener Land des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) hatte es in diesem Jahr bereits mit einer Reihe an Unfällen zu tun. Die Zahl der Radunfälle habe wieder zugenommen, heißt es dort. Im vergangenen April musste das BRK an einem Tag siebenmal ausrücken, weil Radfahrer gestürzt waren oder in Konflikt mit anderen Nutzergruppen gerieten.

Die Unfälle ereigneten sich unter anderem in Höhenlagen, etwa auf einer Forststraße in Anger, auf der ein Urlauber bergab gestürzt war. Ohne Helm unterwegs war ein 48-Jähriger am selben Tag an der Kunsteisbahn am Königssee. Alleinbeteiligt, heißt es, zog sich dieser eine schwere Kopfverletzung zu, nachdem er sich überschlagen hatte.

Ermittlungen gegen Landwirt

Zu einem Konflikt zwischen landwirtschaftlicher Nutzung und Freizeitsport kam es ebenfalls am selben Tag in Saaldorf-Surheim. Eine Salzburgerin war mit ihrem Pedelec unterwegs. Sie übersah einen schwenkbaren Arm einer Gülle-Maschine. Dieser ragte in Kopfhöhe in den Weg. Es kam zum Zusammenstoß. Gegen den Landwirt wird wegen fahrlässiger Körperverletzung ermittelt. Der Vorfall ist eine Ausnahme. 

Die Berge zu erkunden, geht auch mit dem Rad. Die Nutzerzahlen steigen in touristischen Regionen wie dem Berchtesgadener Land immer weiter.

Häufiger sind es Radfahrer selbst, die Regeln missachten, über Felder kurven und abseits der Wege unterwegs sind. Eine Umfrage aus dem Jahr 2019 zeigt, dass das Konfliktpotenzial durchaus vorhanden ist: Laut Nationalpark hatten elf Prozent der Besucher mitgeteilt, „eine unerfreuliche Begegnung mit Mountainbikern erlebt zu haben“. Häufig könne rücksichtsloses und unfreundliches Verhalten von Radfahrern und Wanderern gleichermaßen zu Konflikten führen, heißt es weiter. 

Verbale Auseinandersetzungen gab es schon öfter

„Natürlich gibt es Situationen, die man sich als Landwirt nicht wünscht“, sagt etwa ein Landwirt aus Berchtesgaden, der selbst eine Alm bewirtschaftet. Rasende Radler oder Spaziergänger mit Hund, die bellend Nutztiere verschrecken. „Ja, das gibt es.“ Verbale Auseinandersetzungen mit Pedelec-Fahrern hatte er deshalb schon mehrfach.

Absicht unterstellt er dabei aber niemandem. Klar ist auch: Jeder Freizeitsportler ist auf der Alm potenzieller Einkehrer. Pedelecs werden immer häufiger auf den Almen gesichtet. 

Der Lebensraum wird eingeengt

Doch soll unüberlegtes Handeln nicht zu einer Missachtung von offiziellen Wegen führen: „In den Bergen ist an manchen Tagen zu viel los“, sagt der Landwirt. Hinzu kommt: Immer mehr Apps locken Nationalpark-Besucher an Orte, die ohne die heute vorhandenen technischen Möglichkeiten unerreichbar wären. „Vor allem das E-Bike verleitet zu frühmorgendlichen und spätabendlichen Touren an Orte, an denen ohne Motorunterstützung zu dieser Zeit sonst niemand unterwegs wäre“, heißt es im Schutzgebiet.

Dort weiß man: Biker überraschten Tiere „vor allem abseits der offiziell freigegebenen Wege durch Unvorhersehbarkeit und hohe Geschwindigkeiten“, heißt es im aktuellen Nationalpark-Magazin „Vertikale Wildnis“. Dies könne „kräftezehrende Fluchten zur Folge haben“. Dass es immer wieder Begegnungen mit weidenden und verschreckten Rindern gab, bestätigt man auch beim Bayerischen Bauernverband.

Geschäftsführer Martin Huber setzt auf Toleranz auf beiden Seiten - sowie die Beachtung von Regeln. Im Nationalpark Berchtesgaden greift ein weiterer Faktor: schutzbedürftige Tiere. Weil Wildtiere wie etwa das Auerhuhn stark frequentierte Wege meiden, ist eine Folge unausweichlich: Der Lebensraum wird eingeengt.  

BGL hat den einzigen Alpennationalpark

Bereits seit Anfang der 1990er-Jahre gibt es erste Überlegungen im Nationalpark, welche Auswirkung eine verstärkte Nutzung des Schutzgebietes mit sich bringt. Vor 32 Jahren initiierte das Landratsamt Berchtesgadener Land bereits eine Verordnung „über die Regelung des Betretens in Form des Radfahrens“ im einzigen Alpennationalpark. Mit der Radverordnung soll Konflikten entgegengewirkt werden. 

Mittlerweile kann der Nationalpark auf knapp 50 Kilometern mit dem Fahrrad erkundet werden. Die freigegebenen Wege sind im Gelände markiert und an weißen Schildern mit grüner Schrift zu erkennen. Erst kürzlich hatte die Untere Naturschutzbehörde in Zusammenarbeit mit den Nationalparkgemeinden Ramsau und Schönau am Königssee, der Verwaltung des Schutzgebietes und weiteren Verbänden ein Konzept ausgearbeitet, das Wegenetz für Radfahrer abermals zu erweitern - „ohne Konflikten mit anderen Interessen Vorschub zu leisten“, wie es beim Nationalpark heißt.

Radfahrer befürworten Wegeöffnung

Die testweise Freigabe von zusätzlichen Radwegen im Nationalpark ist zeitlich auf drei Jahre begrenzt. Künftig lassen sich Ziele wie die Ragertalm, die Priesbergalm, aber auch die Stubenalm per Rad ansteuern. Wenn das Konfliktpotenzial gering bleibt, könnten die Strecken dauerhaft freigegeben werden - und sogar weitere Wege im Schutzgebiet geöffnet werden, die weitere Almgebiete eröffnen. Radfahrer befürworten die Wegeöffnungen, wie eine Umfrage aus dem Jahr 2019 zeigt. Sorge bereitet die Erweiterung selbst Kaspar Stanggassinger, Bezirksalmbauer in Berchtesgaden, keineswegs.

Kaspar Stanggassinger, Bezirksalmbauer in Berchtesgaden. 

„Natürlich gibt es gewisse Gebiete bei uns, in denen immer wieder mal mehr Radler unterwegs sind.“ Das sei vergleichbar mit der Präsenz von Tierbesitzern. Auch Konflikte zwischen Hunden und Rindern sind dem Bezirksalmbauer bekannt. Jedoch: Sie stellen Einzelfälle dar. „Jeder sollte sich an die Regeln halten“, rät Kaspar Stanggassinger.

Illegale Nachtfahrten im Rosenheimer Raum vor zwei Jahren

Denn insgesamt funktioniere das Zusammenspiel zwischen Landwirten, Wanderern und Freizeitsportlern „ganz gut. Ich persönlich höre nur wenige Beschwerden“, äußert sich Stanggassinger auf Nachfrage. Klar ist aber auch: „Wie sich die Situation in Zukunft weiterentwickeln wird, das müssen wir uns anschauen.“ So sieht das auch Hans Stöckl, Geschäftsführer des Almwirtschaftlichen Verein Oberbayern.

Ein richtiges Problem erkennt der Vertreter landwirtschaftlicher Interessen zwar noch nicht. „In Österreich ist das Problem bereits deutlich größer“, sagt er. Trotzdem weiß er von Vorfällen, in denen Weidezäune durchtrennt wurden - zum Querfeldein-Fahren. Im Rosenheimer Raum wurden vor zwei Jahren bei illegalen Nachtfahrten immer wieder Tiere aufgeschreckt, die dann mit Zäunen kollidierten und sich verletzten. 

Toleranz und Rücksichtnahme sind sehr wichtig

Der Nationalpark hat einen Katalog zum richtigen Verhalten für die wachsende Gruppe der Mountainbiker und Pedelecfahrer ausgearbeitet, in dem behutsame Rücksicht eingefordert wird - auf tierische Bewohner der Berge und andere Nutzergruppen. Im Nationalpark soll noch in diesem Jahr eine weitere Umfrage Klarheit schaffen, wie die verschiedenen Nutzergruppen miteinander klarkommen. 

Fakt ist: Durch den stetig wachsenden Fahrrad-Boom erleben Nationalpark, aber auch in der Region tätige Landwirte, mehr und mehr Radfahrer aller Art. Toleranz und Rücksichtnahme, sagt auch Martin Huber vom Bayerischen Bauernverband, seien hier das A und O.

kp

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