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Vortragsreihe Nationalpark Berchtesgaden

Wiederansiedlung des Steinbocks im Hagengebirge: Wie lange bleiben die Bestände gesund?

Ein Steinbock steht auf einem schneebedeckten Bergweg.
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Die Population im Hagengebirge stagniert.

Kaum ein Tier steht so symbolisch für das Hochgebirge wie der Alpensteinbock. Im Rahmen der traditionellen Winter-Vortragsreihe des Nationalparks Berchtesgaden widmete sich ein hochkarätig besetzter Themenabend nun der spannenden Geschichte der Tierart aus der Gattung der Ziegen: Unter dem Titel „Steinböcke im Hagengebirge – von der ersten Auswilderung im Jahr 1924 bis heute“ präsentierten fünf Fachleute im Kulturhof Stanggass Erkenntnisse aus Geschichte, Naturschutz und Wildtierforschung. 

Bischofswiesen - Zum Auftakt spannte der Umwelt- und Naturschutzhistoriker Dr. Andreas Zechner vom Salzburgmuseum den Bogen weit zurück: Bis ins Spätmittelalter waren Steinböcke auch im Ostalpenraum heimisch - etwa in Salzburg, Tirol und dem Zillertal. Doch mit der zunehmenden Jagd durch den Menschen, der Ausbreitung der Almwirtschaft und klimatischen Belastungen wie der Kleinen Eiszeit verschwanden die Tiere allmählich aus der Region. „Für die geschwächte Population war das der Todesstoß.“

Um 1709, nach einem der strengsten Winter der letzten Jahrhunderte, war der Alpensteinbock im deutschsprachigen Raum ausgerottet. Nur eine kleine Population in Oberitalien überlebte - im heutigen Nationalpark Gran Paradiso.

Keine grenzüberschreitende Zählung

Einen Blick auf die ersten erfolgreichen Wiederansiedlungen im Blühnbachtal warf Franz Hoffmann aus Werfen, der sich intensiv mit der Geschichte der Steinwildrückkehr beschäftigt hat. Das Blühnbachtal ist ein rund zehn Kilometer langes Seitental der Salzach im österreichischen Bundesland Salzburg. Es trennt das Hagengebirge vom Massiv des Hochkönigs am Rand der Berchtesgadener Alpen.

1924 wurden zwei Böcke und sieben Geißen aus dem Tierpark Peter und Paul in St. Gallen nach Salzburg gebracht. Auf den Hochflächen des Hagengebirges entwickelte sich die Population anfangs gut. Heute werden dort rund 160 Tiere gezählt, davon etwa 30 nahe des Schneibsteins. Die Population auf österreichischer Seite wird regelmäßig neu erfasst – eine grenzüberschreitende Zählung mit Bayern gibt es laut Hoffmann aber nicht. Eine solche wäre aber wünschenswert.

Die Referenten des Themenabends (von links): Wildtierbiologe Rudolf Reiner, Umwelt- und Naturschutzhistoriker Andreas Zechner vom Salzburgmuseum, Nationalparkleiter Roland Baier, Historiker Florian Beierl und Franz Hoffmann, der sich mit der Wiederansiedlung des Steinbocks beschäftigt.

Eng mit NS-Ideologien verbunden

Der Leipziger Historiker Dr. Nils Franke, der terminlich verhindert war, zeigte in einem eingespielten Video auf, wie eng die Auswilderung des Steinwilds in der Röth – oberhalb des Obersees am Königssee – mit den Ideologien des Nationalsozialismus verknüpft war. Für führende NS-Funktionäre wie Hermann Göring war die Rückkehr des Steinbocks ein symbolischer Akt. Die Alpenlandschaft, so das Denken der Zeit, galt als Wiege der „nordischen Rasse“, deren Überlegenheit sich im Kampf gegen Natur und Wildnis ausgebildet habe. Der Steinbock wurde so Teil eines ästhetischen Idealbilds - eingebettet in die nationalsozialistische Erzählung vom deutschen Alpenraum.

Wildtierbiologe Dr. Rudolf Reiner, gebürtiger Kärntner und studierter Forstwissenschaftler, war mehrere Jahre bei den österreichischen Bundesforsten tätig. Seit 2021 arbeitet er im Nationalpark Berchtesgaden. Sein Forschungsschwerpunkt: das Steinwild im Hagengebirge. In seinem Vortrag präsentierte Reiner aktuelle Daten zur genetischen Situation, zur Bestandsentwicklung und zum Hornwachstum des Alpensteinbocks. Im Alpenraum leben heute rund 60.000 Tiere, davon etwa 600 auf deutschem Gebiet, 9000 in Österreich.

Ursprung in Italien

Die Population im Hagengebirge geht - wie nahezu alle heutigen Vorkommen - auf eine kleine Restgruppe aus dem Gran Paradiso-Nationalpark in Italien zurück. Diese genetische Verarmung führe zunehmend zu Inzuchtproblemen, so Reiner: geringere Fitness, verlangsamtes Wachstum, eingeschränktes Hornwachstum und eine höhere Krankheitsanfälligkeit seien die Folge.

Besonders auffällig: Das Hornwachstum, ein wichtiges Merkmal für Revierverhalten und Fortpflanzung, nehme im Hagengebirge seit Jahren kontinuierlich ab. Reiner nennt dafür mehrere Ursachen - allen voran die schwindende Nahrungsverfügbarkeit im Lebensraum. Im Vergleich dazu zeige sich im Schweizerischen Nationalpark, wo weder gejagt werde noch die Vegetation stark beansprucht sei, ein gegenteiliger Trend mit teils wachsendem Hornmaß. Zudem erschwere die dichte Besiedelung der alpinen Standorte im Hagengebirge weiteres Wachstum der Population.

Ein Beispiel nehmen?

Trotz stabiler Zahlen - derzeit rund 160 Tiere - sei die Entwicklung limitiert. „Der Lebensraum gibt nicht mehr her“, sagte Reiner. Um die Steinwildbestände langfristig gesund zu halten, sei eine gezielte Aufstockung mit genetisch unterschiedlichen Tieren notwendig - wie sie zuletzt 2023 an der Benediktenwand im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen erfolgreich durchgeführt wurde.

Die Rückkehr des Steinbocks in den Nationalpark Berchtesgaden gilt als eine Erfolgsgeschichte. Sie ist aber auch ein Beispiel für die langfristigen Herausforderungen im Artenschutz: beginnend bei der genetischen Verarmung über Wildkrankheiten wie die von Parasiten ausgelöste Räude bis hin zum Klimawandel. Beim Themenabend wurde aufgezeigt, wie wichtig interdisziplinäre Forschung, historische Aufarbeitung und moderne Wildtierökologie im Zusammenspiel sind.

Im Anschluss an die knapp zweieinhalbstündige Veranstaltung diskutierten die Referenten mit dem Publikum. Dabei wurde auch der Wunsch nach einem besseren Monitoring des Steinbocks auf bayerischer Seite laut - und nach einer kritischen Auseinandersetzung mit der ideologischen Instrumentalisierung des Naturschutzes in der Vergangenheit. (kp)

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