Gegen die Scheinselbstständigkeit
Schluss mit 12 Jahren Provisorium? Endlich klare Regeln für Rundgangsleiter der Doku Obersalzberg
Rund 20 Rundgangsleiter der Dokumentation Obersalzberg sind nun fest angestellt. Dieser Schritt soll einer Prüfung der Deutschen Rentenversicherung zu Scheinselbstständigkeit vorbeugen. Die Entscheidung folgt auf eine ähnliche Situation im Jahr 2013, die für Aufsehen sorgte.
Berchtesgaden – Ein durchaus bedeutsamer Schritt: Seit Dezember vergangenes Jahr sind rund 20 Rundgangsleiter der Dokumentation Obersalzberg offiziell beim Bergerlebnis Berchtesgaden angestellt. Einer Prüfung der Deutschen Rentenversicherung zum Thema Scheinselbstständigkeit wollte man zuvorkommen. Die Causa in der vom Institut für Zeitgeschichte betreuten Einrichtung ist nicht neu und sorgte bereits für Schlagzeilen. „Wir haben nun aber proaktiv gehandelt“, sagt der Vorsitzende der Tourismusregion, Dr. Bartl Wimmer, als neuer Arbeitgeber.
Bislang war von den auf dem Obersalzberg arbeitenden Rundgangsleitern, die seit Jahren Führungen durch eine der erfolgreichsten Ausstellungen Bayerns anbieten, keiner fest angestellt, bestätigt Wimmer auf Nachfrage. Alle Führungen liefen im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit. Das Schlagwort der Scheinselbstständigkeit fiel auf dem Obersalzberg das erste Mal bereits 2013. Die resultierende Entwicklung damals: dramatisch. „Es war uns wichtig, dass wir jetzt proaktiv handeln“, sagt Dr. Bartl Wimmer, Vorsitzender des Zweckverbands Bergerlebnis Berchtesgaden. Denn die Deutsche Rentenversicherung erwog nun die erneute Prüfung einer Scheinselbstständigkeit.
Historische Problematik und frühere Entscheidungen
Fakt ist: Im Oktober 2013 entließ das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) alle 22 damals freiberuflichen Rundgangsleiter mit sofortiger Wirkung – ohne Vorwarnung und ohne Perspektive für die Betroffenen. Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Noch heute erinnern sich Beteiligte an das Gespräch von damals, wie sie aus dem Betrieb ausscheiden. Nüchtern, endgültig, alternativlos. Die Gründe waren rechtlicher Natur, vermutlich war es die Befürchtung, es könne eine Scheinselbstständigkeit vorliegen.
Die Reaktionen vor zwölf Jahren waren entsprechend heftig. „Viele waren enttäuscht, andere wütend – einige weinten“, berichtete damals eine langjährige Rundgangsleiterin. „Jeder polnische Spargelstecher wird besser behandelt“, sagte eine Rundgangsleiter. Die Enttäuschung galt nicht nur dem Inhalt der Entscheidung, sondern vor allem ihrer Form: mangelnde Kommunikation, fehlende Rückendeckung, ein Gefühl der Austauschbarkeit trotz jahrelanger Expertise. Die Beendigung der Zusammenarbeit erfolgte damals auf Weisung des Finanzministeriums – juristische Auseinandersetzungen folgten.
Optimal gelaufen ist der Rauswurf damals nicht: Die Entscheidung fiel ausgerechnet in eine Zeit, in der die Dokumentation auf dem Obersalzberg in den Sommermonaten Besucherrekorde verbuchte: etliche Führungen täglich, auf Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Ungarisch. Die freiberuflichen Rundgangsleiter – zertifiziert vom Institut für Zeitgeschichte München, geschult und erfahren in der NS-Geschichte – waren nicht nur Inhaltsvermittler, sondern eben auch das Gesicht des Erinnerungsortes, der die Geschichte des Nationalsozialismus vermittelt. Ihr plötzlicher Wegfall riss eine Lücke. Manche sahen damals gar die Bildungsarbeit am Obersalzberg in Gefahr.
Aktuelle Lösung und Ausblick – Wie es künftig weitergehen soll
Was folgte, war ein Ringen um neue Strukturen. Die Berchtesgadener Landesstiftung, Trägerin der Dokumentation Obersalzberg, sprang ein Jahr später ein. Eine neue Rahmenvereinbarung war abgestimmt worden, die auf „rechtssicherer Basis“ eine Organisation der Besucherführungen in der Dokumentation künftig ermöglichen sollte. Die Mitarbeiter sollten erneut auf selbstständiger Basis arbeiten, jedoch unter „verbesserten Voraussetzungen“, wie es damals hieß. Mehreren der entlassenen Rundgangsleiter wurde innerhalb einer neuen Rahmenvereinbarung – entstanden unter rechtsanwaltlicher Begleitung – angeboten, auf freiberuflicher Basis in der Dokumentation weiterzuarbeiten. Eine feste Anstellung wollte man umgehen und in der Dokumentation Obersalzberg „flexibel“ bleiben, wie der damalige Stiftungsvorstand Georg Grabner sagte: „Es gibt Tage, an denen haben wir 14 Führungen, an anderen Tagen haben wir nur eine.“
Der Ansatz war gut gemeint, aber nicht risikofrei. Zuvor hatten bereits zwölf der zuvor Gekündigten geklagt, und auch die Stiftung selbst wies immer wieder auf das juristische Restrisiko hin. Die Lösung war eine Brücke – kein Fundament. Wimmer will mit der Festanstellung ein solches nun schaffen. Er kann sich an die Zeit vor zwölf Jahren und die damit verbundenen Querelen noch gut erinnern. Damals war er zwar noch nicht im Amt des Vorsitzenden der Tourismusregion tätig. Eine erneute Prüfung auf Scheinselbstständigkeit seitens der Deutschen Rentenversicherung möchte Wimmer in jedem Fall aber umgehen. Deshalb jetzt das proaktive Handeln in Abstimmung mit Ministerium und allen weiteren Beteiligten.
„Es würde keinen Sinn ergeben, Dinge zu tun, die in zwei, drei Jahren wieder infrage gestellt werden“, sagt er. Die neue Lösung sieht nun eine direkte Anstellung der selbstständig arbeitenden Rundgangsleiter beim Bergerlebnis Berchtesgaden vor – abgesichert durch das Bayerische Finanzministerium, das die Personalkosten vollständig übernehmen wird. Die administrative Verantwortung liegt beim Bergerlebnis Berchtesgaden, das auch den Betrieb der Dokumentation koordiniert. Versuche, das IfZ oder die Berchtesgadener Landesstiftung als Arbeitgeber einzubinden, scheiterten an Satzungsgrenzen oder strukturellen Bedenken. Die neu angestellten Rundgangsleiter arbeiten überwiegend in Teilzeit, sagt Wimmer, oder etwa als 520-Euro-Kräfte. (kp)
