Berchtesgaden: Iss mit uns!
„Gegen Lebensmittelverschwendung“: Daniela Spitzer und ihr Team kochen Mahlzeiten für alle
„Kostenlos“ prangt am Eingang der Kneipe „Kleiner Kuckuck“ in Berchtesgaden. „Foodsaverin“ Daniela Spitzer hatte die Idee dazu. Sie steht im kleinen Garten hinter der mobilen Herdplatte und sagt: „Wir kochen nicht für Bedürftige – sondern gegen Lebensmittelverschwendung.“
Berchtesgaden – Die vielen Salate auf dem Tisch wären alle in den Müll gewandert. Zubereitet wurden diese eigentlich für Gäste eines heimischen Hotels. Weil dort zu viel übrig blieb, profitieren nun all die, denen der Magen knurrt und die ein Konzept unterstützen, das im weiten Umfeld ziemlich einmalig ist: Die Initiative nennt sich „Berchtesgaden - Iss mit uns”.
„Es wird viel zu viel weggeworfen“
Der Name ist Programm. Alles, was die Woche über in den örtlichen Supermärkten und Hotels entsorgt worden wäre, hat das Potenzial für Daniela Spitzers Mittagsmahl. Kreativ sein ist Programm. „Ich überlege dann, was ich aus den geretteten Waren kochen kann“, sagt die Berchtesgadenerin, die das Projekt leitet und gemeinsam mit Unterstützern hinter den Kochplatten steht. Seit langem betreibt die 42-Jährige Lebensmittelrettung und sagt: „Es wird viel zu viel weggeworfen.“ Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft landen allein in Privathaushalten rund 78 Kilogramm pro Kopf und Jahr im Müll. Elf Millionen Tonnen sind das pro Jahr.
Hier, im „Kleinen Kuckuck“, einer Berchtesgadener Kneipe mit angeschlossenem Gastgarten, darf sie ihr Projekt verwirklichen und für andere kochen. Eigentümer Jakob Palm unterstützt den Gedanken. Palm sagt: „Ich möchte einen Raum schaffen für alle. Einen Platz, den die Leute heute oft nicht mehr haben.“ Einmal in der Woche wird hier bei ihm zum „MiTi“ gebeten, wie es auf einem selbst gestalteten Schild heißt – zum gemeinsamen Mittagstisch. Dass der MiTi stattfinden kann, verdanken die Initiatoren auch der Bereitschaft vieler Einheimischer, zu spenden. Kühlschränke haben diese zur Verfügung gestellt, Teller, Töpfe und Besteck. Ob Alt oder Jung, ob bedürftig oder nicht – der Grundgedanke des Projekts soll jeden ansprechen.
Vor der kleinen Kneipe steht ein öffentlich zugänglicher Bücherschrank – und seit Kurzem auch ein Zeug-Schrank mit verschiedenen Fächern. Diese sind beschriftet und befüllt mit Artikeln aus den Bereichen Haushalt, Kinder, Klamotten, Hygiene. Ganz nach dem Motto: „Nimm, was du brauchst und gib, was du übrig hast.“ Etwas übrig für andere Leute hat auch Daniela Spitzer, die seit Ende vergangenen Jahres für alle kocht. Seit Jahren rettet sie Lebensmittel vor dem Müll und hilft anderen, als „Foodsaver“ - als Lebensmittelretter - richtig zu agieren.
„Wir tun alles, um Essen vor der Entsorgung zu bewahren“
Sie sucht Bäckereien, Supermärkte und Hotels auf und holt ab, was dort nicht mehr benötigt wird oder kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums steht. Die Berchtesgadenerin verwertet das Essbare zum einen selbst und verteilt es an Freunde und Bekannte. Im Hintergrund existiert zudem ein großes Netzwerk von ähnlich Handelnden. „Wir tun alles, um Essen vor der Entsorgung zu bewahren“, sagt die 42-Jährige. Mitstreiterin ist Fini Walther aus Bayerisch Gmain. Die junge Frau findet das Konzept mit dem Mittagstisch klasse. Lebensmittel, die in der Tonne landen? Für sie ein Unding. Fini Walther ist Social Media-affin. Sie kümmert sich um den neu geschaffenen Instagram-Account, um den Mittagstisch für alle und jeden bekannt zu machen. Kochen unter freiem Himmel: Die 20-Jährige findet das eine gelungene Idee.
Der Tisch ist an diesem ersten Freitag des neuen Jahres eingedeckt. Teller und Besteck stehen bereit. Draußen hat es drei Grad Celsius, der Himmel ist bewölkt, es riecht nach aufkommendem Schnee - Duft von Essen liegt in der Luft, und ein paar Gäste sind schon da. Es gibt Nudeln mit Kraut und Eiern sowie Fleisch. Vier verschiedene Salate warten darauf, gegessen zu werden. Auf dem Tisch stehen Croissants aus einer Bäckerei. Es gibt zudem Muffins und Donuts. Alles zur Selbstbedienung. Daniela Spitzer hat einfach drauflos gekocht.
Jeder MiTi-Gast darf sich bedienen
Kurz zuvor war sie noch bei der Lebensmittelrettung. Ein Supermarkt hatte dutzende Dosen Pflaumen zur Verfügung gestellt, deren Haltbarkeit demnächst abläuft. „Kommende Woche könnten wir einen Kuchen machen“, freut sie sich. Die weitere Ausbeute hat sie auf einem Tisch platziert. Jeder MiTi-Gast darf sich daran bedienen: Joghurt, Brot, Kaffee, Obst und Gemüse.
Als es Ende vergangenen Jahres am Mittagstisch Schoko-Crepes gab, war der Gastgarten voll mit Menschen. Bei schönem Wetter kamen vor allem Familien mit Kindern, die das kostenfreie Angebot zum Mittagessen nutzten. Ein Supermarkt hatte eine Schokocrème aus den Regalen genommen. Der kiloweise vorhandene Schokoaufstrich musste verwertet werden.
„Das größte Problem bei den Leuten ist die eigene Scham. Man muss sich abgewöhnen, zu denken, man sei ein Schnorrer, nur weil man kostenlos isst und damit nur Lebensmittel vor dem Wegwerfen bewahrt“, sagt Daniela Spitzer.
Gekocht wird beim MiTi entweder donnerstags oder freitags. Manchmal auch an beiden Tagen. Weitere Informationen und Termine finden sich auf Instagram. Der Kanal dort heißt „berchtesgaden_iss_mit_uns“.
kp
